„Bringt euch nicht um vor Liebe“, mit diesen Worten verabschiedet sich Top-Anwältin Lavinia Bertok (Petra Schmidt-Schaller) von der Geburtstagsparty ihrer früheren besten Freundin Anja (Deborah Kaufmann) und ihrem Mann Thomas (Mark Waschke). Alle drei waren sich vor 20 Jahren sehr nahe und sie probierten offenbar auch alle drei Partnerkonstellationen aus. Dass Thomas Anja geheiratet hat, könnte Zufall sein, aber genauso auch Kalkül eines Mitgiftjägers: Ihr Schwiegervater ist immerhin ein wohlhabender Bauunternehmer (Hanns Zischler). Die Polizei jedenfalls hat nach dem Verschwinden der Ehefrau noch in der Nacht der Party allein den Ehemann im Visier; Hauptinformant scheint Anjas einflussreicher Vater zu sein, der seinen Nachfolger in der Firma noch nie leiden konnte. Und bald holt er sogar Thomas’ Teenagersohn Anton (Aljoscha Lange) zu sich. Als die Kripo in Gestalt des Kotzbrockens Andreas Roth (Peter Kurth) und der etwas diplomatischer agierenden Rebecca Simon (Annika Kuhl) dem Ehemann immer unangenehmer auf die Pelle rückt und ihn mit immer neuen „Ungereimtheiten“ konfrontiert, die dieser zwar zu widerlegen weiß, was gegen den Satz des Schwiegervaters „Der hat meine Tochter umgebracht“ aber wenig Chancen bei den Kommissaren hat, sucht Thomas Hilfe bei seiner alten Freundin Lavinia. Die hat solche Typen wie Roth gefressen, versucht Thomas aus der Schusslinie zu nehmen, verwickelt sich aber selbst in Ungereimtheiten und ob es so gut ist, dass sie sich ihren Ex-Freund mal wieder für eine heiße Nacht angelt, ist äußerst fraglich und könnte Zweifel an ihrer Professionalität aufkommen lassen. Hat Lavinia vielleicht sogar ein Frauending mit der „Toten“ am Laufen?
Foto: ZDF / Marion von der Mehden
Aus den amourösen Optionen ergeben sich in dem ZDF-Krimithriller „Ein Mann unter Verdacht“ letztlich auch die Optionen für die Spannungsdramaturgie. Drei Möglichkeiten, mehr ist kaum denkbar. In vielen Situationen gibt es meist nur zwei Alternativen: Der Behauptung folgt die Gegenbehauptung. Wer lügt und wer sagt die Wahrheit? In der Beantwortung dieser ständigen Frage erschöpft sich der Beitrag des Zuschauers. Der kann dem Film von Thomas Stuber („Herbert“) nach dem wenig raffinierten Drehbuch von Stefan Kolditz 90 Minuten lang wie einem Rätsel folgen, dem man allenfalls „gefühlt“, nicht aber mit Sinn und Verstand, Logik oder gar Phantasie begegnen kann. Die strenge Linearität dieses und-dann-und-dann-Plots verhindert ein aktives Mitdenken des Zuschauers, der so gut wie nichts diskursiv nachhalten kann bei dieser Geschichte, sondern hilflos dem ausgesetzt ist, was ihm der Autor an Handlungs- oder Figuren-Tricks suggeriert. Man kann sich allenfalls als Zuschauer überraschen lassen von dem, was Kolditz immer wieder und vor allem am Ende aus dem Hut zaubert. Wer sich solchen genrehaften Versuchsanordnungen gern aussetzt, kann durchaus Spaß an dem Film haben. Wer allerdings hofft, dass „Ein Mann unter Verdacht“ irgendetwas mit den psychologischen Unter-Verdacht-Klassikern à la Hitchcock oder Highsmith zu tun haben könnte, oder wer gar einen Ausnahme-Krimithriller wie „Gone Girl“ mit dem Stoff assoziiert – der muss von dieser Genre-Hausmannkost enttäuscht sein.
Auch filmisch fällt Regisseur Stuber für seinen ersten Primetime-Fernsehfilm nicht allzu viel ein. Als visuelles Leitmotiv sehen wir immer wieder die männliche Hauptfigur durch den Wald joggen. Je mehr sich die Umwelt von ihm abwendet, die Freunde ihre Aufträge zurückziehen und die Polizei mit immer neuen Beschuldigungen auf der Matte steht, umso unrunder werden seine Bewegungen beim Laufen. Für 90 Filmminuten etwas dürftig. Auch die Semantik des Szenenbilds wirkt rasch redundant: Die kalte Architektur mit ungemütlichem Beton soll eine unglückliche Ehe markieren und zeigen, was man sich alles für Geschmacklosigkeiten leisten kann mit dem nötigen Kleingeld. Dass die Ehepartner bessere Zeiten gesehen haben, machen nicht zuletzt die Fotos sichtbar, die repräsentativ aufgereiht Teil der Familienfassade sind.
Foto: ZDF / Marion von der Mehden
Nicht nur im Titel, auch in der Machart erinnert „Ein Mann unter Verdacht“ an das, was die Privatsender vor 20 Jahren in ihren TV-Movie-Thrillern erzählt haben. Als Kontrast zum öffentlichen-rechtlichen Fernsehspiel, das damals auch langsam damit begann genrehafter, etwas knalliger und vor allem filmischer zu erzählen, gerieten hier gerne unbescholtene Männer oder Frauen in die Mühlen der Justiz. Auch Kolditz schrieb nicht nur das, wofür er heute gefeiert wird, von „Dresden“ über „Unsere Mütter, unsere Väter“ bis hin zu „Nackt unter Wölfen“, sondern verdingte sich durchaus auch einmal für Sat 1 mit effektvollen, aber durchaus gelungenen Genrefilmen wie „Ein einsames Haus am See“ (2004) oder „Schatten der Gerechtigkeit“ (2009). Sein Drehbuch zu diesem Montagsfilm im ZDF dürfte mit „Der letzte Kronzeuge – Flucht in die Alpen“ wohl sein schlechtestes sein, das er in 25 Jahren geschrieben hat. Das Beste am Plot ist noch die konsequente Perspektive, die er für seine Geschichte wählt. Die Polizei ermittelt quasi im Off und taucht immer nur dann auf, wenn sie gegen den Verdächtigen vermeintlich etwas Neues in der Hand hat. Auch das sicherlich im Drehbuch schon angedachte Prinzip, die erzählte Vergangenheit stets in Rückblenden einzufangen und so die Widersprüche zwischen den Versionen des Verdächtigen und denen der Polizei sinnlich zu vermitteln, gehört zu den handwerklichen Qualitäten des Films.
Dagegen verspricht die Besetzung mehr, als sie am Ende halten kann. Ist Mark Waschke, der bekanntlich sehr gut Alltag und Normalität zu verkörpern weiß, andererseits aber auch etwas Sardonisches („Sechzehneichen“) in seinem Blick haben kann, gemessen an der Durchschnittlichkeit des Films schon eine ideale Besetzung, muss man sich bei der neuen ZDF-Allzweckwaffe Petra Schmidt-Schaller schon fragen, ob sie im „Zweiten“ im Fach attraktive, unterkühlte, rationale Frau Mitte, Ende 30 denn nun wirklich alles spielen muss. Mit dieser Rolle jedenfalls hat sie sich keinen Gefallen getan. (Text-Stand: 26.9.2016)
Foto: ZDF / Marion von der Mehden