Ein Lächeln nachts um vier

Natalia Belitski, Wittgenstein, Froboess, Prückner, Ruzicka. Die Liebe & der Zeitgeist

Foto: ZDF / Sandra Hoever
Foto Rainer Tittelbach

„Ein Lächeln nachts um vier“ (ZDF / Relevant Film) ist nur eine Liebesdramödie und doch ein doppelt bedeutsamer Film: Es ist die einzige weihnachtliche Fiction-Premiere und es ist eines der im Jahr 2017 besonders raren „Herzkino“-Ausreißer nach oben. Es ist ein „ehrlicher“ Liebesfilm mit ernsthaftem Kern, der wertneutral dem verzweifelten „Pursuit of Happiness“ des jungen Paares das Glück der Großelterngeneration gegenübergestellt. Die Autoren umgehen die romantischen Klischees, indem sie sich nicht im Allgemeinen verlieren, sondern immer das Individuelle, das Besondere suchen: Das fängt bei den Figuren an, setzt sich noch deutlicher bei der Top-Besetzung fort und auch filmisch zeigt Regisseur Ruzicka trotz Schneeflocken aus dem Rechner, dass sich Gefühle auch ohne „Herzkino“-Ästhetik nachhaltig vermitteln lassen. Man vermisst nicht mal das echte Schnee-Winter-Feeling.

Der richtige Mann zur falschen Zeit. Beinahe wäre Jule (Natalia Belitski) schwach geworden; dieser Max (August Wittgenstein) ist einfach so herzerfrischend anders, so einfühlsam und grundentspannt. Aber dann bekommt sie das bereits abgehakte Traumstellenangebot doch und die idealistische, frisch gebackene Juristin ist dann erst einmal weg, in Richtung Jordanien – und das kurz vor Weihnachten, dazu noch für ein ganzes Jahr. Der Kontakt bricht ab, vergessen allerdings haben beide die ungewöhnliche erste und einzige Nacht nicht. Sie wissen, da ist mehr zwischen ihnen, dennoch kommen sie auch beim Wiedersehen nicht zusammen. Erneut steht Weihnachten vor der Tür. Jetzt wirft Jule plötzlich ihre Berufsplanung über den Haufen – ihren Großeltern (Cornelia Froboess & Tilo Prückner) zuliebe und sicher auch ein Stück weit wegen Max. Nun ist er es, der andere Pläne hat. Max ist Schauspieler und wurde gerade aus seiner Medical Soap herausgeschrieben. Jule hat ihm ja vorgemacht, wie es geht: Jetzt will er in L.A. seine Karriere vorantreiben. Ein Jahr später scheint sich selbst schon der Gedanke an eine gemeinsame Zukunft endgültig erledigt zu haben: Jule ist jetzt mit Daniel (Nicholas Reinke) verlobt und der beste Freund von USA-Rückkehrer Max ist der Alkohol.

Ein Lächeln nachts um vierFoto: ZDF / Sandra Hoever
Sein Schal ist ihr ständiger Begleiter und bleibt das Zeichen der Verbundenheit von Jule (Natalia Belitski) und Max.

Es gibt Komödien, die es mit der Liebe haben und diese lustvoll-ironisch auf die Spitze treiben wie „Eine Braut kommt selten allein“ (ARD, 6.12.17) oder „Immer wieder anders“ (ARD). Auch amouröse Diskurs-Filme, heitere wie „Sommerliebe zu dritt“ (ARD) oder schwere wie „Sag mir nichts“ (ARD), finden ab und an den Weg ins Programm. Dagegen sind romantische Genres, egal ob Komödie, Drama oder Dramödie, die sich nicht nur nach amerikanischen Genremustern richten, sondern auch ein bisschen Beziehungszeitgeist vermitteln, äußerst selten. Es überrascht, dass ausgerechnet das ZDF-„Herzkino“ nun mit einem solchen „ehrlichen“ Liebesfilm mit ernsthaftem Kern aufwartet – wird auf diesem Sendeplatz die Liebe doch sonst häufig allzu leicht genommen, Klischee-Darstellungen inklusive (die „schwereren“ Filme am Sonntag im ZDF, auch die gibt es ja, sind nur noch selten allein auf das Liebesglück fokussiert). „Ein Lächeln nachts um vier“ zeigt, dass Beziehungen nicht im luftleeren Raum existieren. Die Sehnsucht nach Zweisamkeit und Familie ist nur eines von mehreren Grundbedürfnissen. Außerdem ist der Code der Liebe auch von gesellschaftlichen Konventionen abhängig. Der Film vermittelt dies locker und spielerisch, indem er dem „Pursuit of Happiness“ junger Leute das Glück der Großelterngeneration als Projektionsfläche gegenübergestellt. Da trifft der heute allgegenwärtige Options- und Optimierungszwang auf die Entspanntheit eines glücklichen Paares, das gemeinsam alt geworden ist. Dabei wird die  Liebespolitik der Nachkriegsgeneration – womöglich mit Hinblick auf die altere Zielgruppe – nicht als die klar bessere gefeiert. Viele Möglichkeiten zu haben ist ja nichts Schlechtes, wer viele Möglichkeiten besitzt, hat allerdings auch viele Möglichkeiten, sich falsch zu entscheiden, wie der Film im Subtext miterzählt. Und auch andere kleine Wahrheiten mischen sich immer wieder in diese sympathische Liebesgeschichte: das Bewusstsein beispielsweise für die Endlichkeit des Glücks, die oft an die Endlichkeit des Lebens gekoppelt ist.

Universal dagegen ist die Frage aller Fragen (nicht nur) in Liebesfilmen: Wie man denn den Richtigen findet. „Hör auf dein Herz“, weiß die Großmutter. Dieser Satz fällt zwar in jedem romantischen Liebesfilm so oder ähnlich, aber nicht immer fällt der Rat ohne falschen Schmus aus wie in dem Film von Jan Ruzicka, wo diesen Rat die patent-pragmatische Froboess-Figur ihrer Enkelin gibt. Das hat nicht den Anspruch der Liebeswahrheit letzter Schluss zu sein und ist dem nicht unähnlich, was reale Großmütter zu dem Thema zu sagen haben. Bei denen heißt es vielleicht: „Ich bin immer nach meinem Gefühl gegangen.“ Es geht um Gefühl, Kitsch ist das nicht. So wie die Großeltern der Enkelin, die sie nach dem Unfalltod ihrer Eltern aufgezogen haben, keine Patentrezepte für die Liebe geben, so halten sich Ruzicka & die Autoren auch nicht ans Allgemeine, das in diesem Genre schnell zum Klischee erstarren kann, sondern betonen das Individuelle, das Spezielle. Das fängt bei der Zeichnung der Figuren an: Da schwingt etwas Freches, Unangepasstes mit; jeder der beiden Hauptfiguren und der beiden tragenden Nebenfiguren ist trotz klarer sozialer Verortung ein Unikat.

Ein Lächeln nachts um vierFoto: ZDF / Sandra Hoever
Andere Generationen, anderer Umgang mit der Liebe. Egal ob alt oder jung: Der Film ist mit Natalia Belitski, August Wittgenstein, Cornelia Froboess und Tilo Prückner top besetzt

Aber auch die Dramaturgie unterscheidet sich angenehm von anderen „Herzkino“-Filmen. Die erzählte Zeit mit ihren Jahressprüngen (insgesamt erstreckt sich die Handlung über vier Jahre) betont, dass es beiden einfach nicht gelingt, zusammenzukommen. Erst auf der Zielgeraden müssen die Autoren zur Konvention des retardierenden Moments greifen und einige Zufälle bemühen, damit es dann vielleicht doch noch klappen kann mit der Verbindung dieses Paars, dem man ein Happy End von Herzen gönnen würde. Das liegt zum einen daran, dass das Identifikationspotenzial vor allem der Hauptfigur groß ist. Und es liegt an der Besetzung. Denn auch hier wagen es der Regisseur und die Produzentin Heike Wiehle-Timm, auf zwei Schauspieler zu setzen, die großartig, aber keine Publikumsmagnete sind. Natalia Belitski („Familie!“) und August Wittgenstein („Ku’damm 56“) sind eine ausgezeichnete Wahl. Sie haben etwas Frisches, etwas sehr Eigenes. Sie wie er können ein so schön trauriges Gesicht machen – und wenn die Situationen lockerer werden, schwingt in ihren Lächeln Melancholie mit und eine unverkennbare Angespanntheit, wodurch die Geschichte dieser schwierigen „Beziehung“ stets aktualisiert wird. Auch bei ihnen findet es sich wieder: dieses Individuelle.

Und auch filmisch fällt „Ein Lächeln nachts um vier“ deutlich aus dem Rahmen des „Herzkino“-Codes. Da sind die atmosphärischen Nachtbilder, die gelegentlich sehr straffe, informationsgesättigte Montage und die einfallsreichen Details, die der einfachen Geschichte eine dichte Grundierung geben (eine Badewannenszene beispielsweise, in die Max’ Vater ungeniert hineinplatzt). Dass Max Schauspieler ist, erfährt der Zuschauer durch ein Werbeplakat für eine TV-Soap, das von Jule nicht bemerkt wird; erst als bei den Großeltern der Fernseher läuft, glaubt die Frischverliebte, durch „seine“ TV-Stimme aus dem Halbschlaf geweckt, sie träume respektive sie spinne. Herzstück des Films sind die lang ausgespielten, intimen Zwei-Drei-Personen-Szenen, die dem Film seine besondere Note geben und dem Zuschauer die Figuren mit all ihren Wünschen, Sehnsüchten und Zweifeln nahebringen.

Ein Lächeln nachts um vierFoto: ZDF / Sandra Hoever
Man ist doch schließlich erwachsen … Kommt es also nach dem großen Beziehungs-Kuddelmuddel auf der Zielgeraden doch noch zum weihnachtlichen Happy End?

„Ein Lächeln nachts um vier“ sieht also eher wie eine ARD-Freitagabendproduktion der Degeto aus. Auch dort wäre der Film ein Highlight im Programm. Allerdings würde er es im „Ersten“ leichter haben, sein Publikum zu finden; am Sonntag gegen einen „Tatort“ ist das doppelt schwer. Wohl überlegt, aber auch überaus passend, ist deshalb die Besetzung der Großeltern mit Froboess und Prückner: zwei populäre Gesichter für die ältere Zielgruppe, die für eine lebensklug-schrullige Note sorgen. Und natürlich dürfte auch Weihnachten als feierliches Zentrum der Geschichte seine Wirkung nicht verfehlen. Die winterlich-festliche Stimmung hält sich allerdings in Grenzen. Obwohl größtenteils im Frühjahr gedreht, sieht das Outdoor-Ambiente nach ungemütlichen Spätherbst aus. Man könnte es notfalls als Realismus „verkaufen“: Denn wann liegt in Hamburg im Dezember schon mal Schnee?! Bei der Postproduktion hat man dann fast ein bisschen zu auffällig die Schneeflocken aus dem Rechner gezaubert. Doch wen interessiert das bei einer so schöööönen Geschichte.

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Natalia Belitski, August Wittgenstein, Cornelia Froboess, Tilo Prückner, Lucie Heinze, Nicholas Reinke, Max Herbrechter

Kamera: Gunnar Fuß

Szenenbild: Sonja Strömer

Schnitt: Marcel Peragine

Musik: Micki Meuser

Redaktion: Berit Teschner

Produktionsfirma: Relevant Film

Produktion: Heike Wiehle-Timm

Drehbuch: Manfred Kosmann, Stephanie Blöbaum, Hardi Sturm

Regie: Jan Ruzicka

Quote: 5,35 Mio. Zuschauer (14,6% MA)

EA: 10.12.2017 20:15 Uhr | ZDF

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