Anfang der 1950er Jahre herrschte Goldgräberstimmung in der Pfalz. Die amerikanischen Besatzer, die Jahre zuvor kaum einer als Befreier feierte, bringen nun nicht nur Swingmusik & Blue Jeans, Marboro & Coca-Cola in die Provinz, sie sind auch verantwortlich für einen Bau-Boom und Strukturwandel in Rheinland-Pfalz. Mehr als 100.000 amerikanische Soldaten, ihre Familien und Zivilangestellte des US-Verteidigungsministeriums fanden hier ein neues Zuhause. Denn die amerikanische Mission in Europa stand nach dem Ausbruch des Korea-Kriegs unter neuem Vorzeichen: Die Entnazifizierung war abgeschlossen, der Feind wurde nun hinter dem Eisernen Vorhang ausgemacht und Deutschlands Funktion als Schutzwall gegen den Kommunismus gewann dramatisch an Bedeutung. Vor diesem weltpolitischen Hintergrund, der auf die Überschaubarkeit eines fiktiven Ortes heruntergebrochen wird, erzählt die sechsteilige Miniserie „Ein Hauch von Amerika“ eine Liebeschichte zwischen einer jungen Bauerntochter und einem schwarzen Soldaten. „German Krauts“ treffen auf den American Way of Life. Es ist eine Geschichte, in der Aufbruchstimmung und Emanzipation, Rassismus, Antisemitismus und andere nationalsozialistische Erbsünden miterzählt werden.
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Auch in Kaltenbach erkennt der eine oder andere langsam die Vorzüge der Amerikaner. Hauptnutznießer ist der Bürgermeister und Bauunternehmer Friedrich Strumm (Dietmar Bär) und seine Familie, seine fromme Frau Anneliese (Anna Schudt) und seine lebenslustige Tochter Erika (Franziska Brandmeier), die sich am liebsten einen GI angeln würde. Zu den Verlierern im Dorf gehören hingegen der enteignete Bauer Kastner (Aljoscha Stadelmann) und seine Frau (Winnie Böwe). Doch dank ihrer patenten Tochter Marie (Elisa Schlott) werden auch sie die neuen Zeiten besser überstehen als zunächst befürchtet. Sie selbst findet Anstellung als Hausmädchen bei Colonel McCoy (Philippe Brenninkmeyer), dessen Frau Amy (Julia Koschitz), klug, kultiviert, aber nicht glücklich in ihrer Ehe, die junge Frau unter ihre Fittiche nimmt. Ihr hat es Marie maßgeblich zu verdanken, dass sie flügge wird und Kaltenbach am Ende verlässt. Wird sie es allein tun oder mit George Washington (Reomy D. Mpetho), dem schwarzen GI, der in ihr eine Seelenverwandte erkennt und sich auf den ersten Blick in sie verliebt? Oder wird sie dem aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrten Siegfried (Jonas Nay) das versprochene Ja-Wort geben? Er ist der Bruder ihrer besten Freundin Erika, Tochter des Bürgermeisters. Die drei waren vor dem Krieg unzertrennlich.
„Ein Hauch von Amerika“ erzählt von einer Zeit im Umbruch, von Freiheitsdrang und Emanzipationsbestreben. Noch versucht die Elterngeneration im Schulterschluss mit der Kirche, am Bestehenden festzuhalten. Die jungen Leute indes sind fasziniert von der amerikanischen Populärkultur und den Möglichkeiten des Konsums. Aus der Postschänke wird im Film die Hawaii-Bar: Statt Stammtisch der Honoratioren wird getanzt, getrunken, sich amüsiert. Die schöne Frau des Colonels zeigt dem schmutzigen Bauernmädchen die Vorzüge eines modernen Badezimmers und führt sie durch die schöne neue Warenwelt. Wer sehnt sich da schon zur Waschschüssel und Petroleumfunzel zurück? „Die Amerikaner sind ein Segen“, erkennt denn auch der Bürgermeister. „Die haben Knete und wissen, wie man feiert“, schwärmt seine Tochter. Die allerdings übertreibt es – und so muss es die Kirche, die ihre Rolle als moralische Instanz gefährdet sieht, noch einmal richten: In einer Erziehungsanstalt für „gefallene Mädchen“ soll Erika von ihrer „sündhaften Wolllust“ befreit werden. Der sexuelle Amüsierbetrieb im Ort geht allerdings ungehindert weiter; sodass die Politik den Sitten-Notstand ausruft. Auch Erikas Bruder, der verspätete Kriegsheimkehrer, versteht diese Welt nicht mehr. Er kennt die Amerikaner noch als Erzfeinde, jetzt sollen sie die Heilsbringer sein!? Und wie kann es sein, dass seine treue Marie mit einem schwarzen GI herumturtelt?
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Die Zeit, die Geschichten, die Diskurse sind aus dieser Perspektive noch nicht erzählt worden. Dass die Serie historisch Themen anschneidet, die trotz späterer Zeitenwenden und politischer Umbrüche noch immer auf der Agenda für gleichberechtigtere Formen von Kommunikation stehen, ist gewiss auch ein Qualitätsmerkmal dieser öffentlich-rechtlichen Kraftanstrengung. „Ein Hauch von Amerika“ muss aber auch im Rahmen des aktuellen Serienbooms bewertet werden. Und auch dabei schneidet die Koproduktion von Degeto, WDR, NDR und der Leitung des SWR sehr gut ab. Das fängt schon bei der Verwendung von Untertiteln an, die immer wieder spannungs- und abwechslungsreich eingesetzt werden – und stets auch semantisch sinnvoll sind. Anfangs spiegelt sich in der Untertitelung der knappen Dialoge immer auch das Fremdsein, das Sich-nicht-Verstehen, und die Machtverhältnisse entscheiden nicht selten, ob beispielsweise der Colonel Deutsch oder Englisch spricht. Seine in Berlin geborene Frau scheint sich indes anfangs in der Interaktion mit Marie zu weigern, die Sprache der Täter zu sprechen. Das untertitelte Aneinander-Vorbeireden hat auch mal einen komischen Effekt und bei einem verzweifelten Liebesgeständnis verhindert die (Distanz der) englischen Sprache einen möglichen Kitsch-Moment. Ein in allen Rollen psychologisch stimmiges historisches Drama, wie es in Mehrteilern ohnehin nur selten gelingt, sollte allerdings niemand erwarten. Dafür liefern die viereinhalb Stunden den Zuschauer*innen emotionale Spannung mit historisch-gesellschaftskritischem Mehrwert und in einer bemerkenswerten Inszenierung.
Präsentiert wird das Ganze als nahezu perfekt inszeniertes Melodram, welches seine Themen intelligent – beiläufig oder leichtfüßig in Form kabarettistischer Einlagen (stark: Godehard Giese u.a. als Hitler-Parodist) – in die Narration integriert und bis zuletzt mit effektvollen Wendungen aufwartet. Die Dramaturgie wird dabei nicht neu erfunden; aber Regisseur Dror Zahavi und dem großartigen Schauspielerensemble sollte es gelingen, die Zuschauer*innen zu einem finalen Mitfiebern ohne Reue zu bewegen. Das Genre Melodram hilft dabei, die komplexe Gemengelage zu vereinfachen und herunterzubrechen auf eine überschaubare Handlung, die, indem sie das Gemachtsein der Inszenierung herzeigt, nicht vorgeben will, die Realität eins zu eins abzubilden. Das sinnlich-sinnhafteFarbspiel zwischen warmen Rottönen, kaltem Blau & giftigem Grün und Kamerapositionen zwischen distanzierter Beobachtung & purem Gefühlsausdruck gehören zu den ästhetischen Hinguckern der Serie. Die geschickte Kameraführung, die in ihrer natürlichen Anmutung extrem unterschiedlichen Schauplätze und der weitgehende Verzicht auf das in historischen Produktionen übliche Computer-Getrickse sorgen (auch wahrnehmungspsychologisch) für Abwechslung und verhindern neben Hightec-Look Ausstattungs- & Kostümierungseffekte, denen deutsche Geschichtsdramen früher häufig erlagen. Die US-Populärkultur trägt in „Ein Hauch von Amerika“ maßgeblich dazu bei. Einer, der hierzulande wusste wie Melodram und Pop zusammengehen, war Fassbinder. Zahavis melodramatische Gesellschaftsporträt ist zwar keine „Lola“, zielt aber in dieselbe Richtung.
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Wie bei allen Sechsteilern, die viel zu erzählen haben und ein Dutzend Rollen einführen müssen, so hat es auch hier die erste Folge am schwersten. Damit die Zuschauer*innen wissen, wer wo hingehört, werden noch ein paar Ausrufezeichen zu viel gesetzt. So legt Aljoscha Stadelmann seine Rolle als Maries Vater zwischen Sturheit und Schwermut zu Beginn noch etwas arg stereotyp an. Auch die erste Begegnung des Liebespaars, vom Setting her ansprechend, wirkt auf der emotionalen wie dramatischen Ebene eher konventionell. Dagegen passt die etwas überzogen beflissene Art, wie Dietmar Bär seinen Bürgermeister gibt, gut zu dessen Charakter. Auch kleine Szenen wie die der dementen Großmutter („Hi“ statt „Heil Hitler“) oder der grell american-liken Erika lockern die Exposition auf. Ein Wow-Moment für die Heldin wie für den Betrachter: Maries Kinobesuch und der selbsterkennende, zuversichtliche Blick, mit dem sie Judy Garlands Dorothy ansieht. Dieses „Over the Rainbow“ schenkt ihr Lebensmut, wird für sie zur Sehnsuchtsmetapher – und aus Elisa Schlott wird spätestens jetzt der „Star“ des Films. Belebend auf die Handlung wirkt auch die Figur von Julia Koschitz. Ihre Lady mit Hang zum Hochprozentigen wird zu Maries Mentorin, vermittelt aber auch einen Hauch von antisemitischer Geschichte, vermeintlichem US-Glamour und von einem weggeworfenen Leben. Da es bei ihr zur Selbstermächtigung nicht reicht, will sie die Bauerntochter zu einer modernen Frau modeln, was ihr beinahe zum Verhängnis wird.
Mit der zweiten Episode kommt die Serie noch besser ins Rollen. Das Angedeutete wird ausgeführt, die Konflikte konsolidiert. GI George lässt bei Marie nicht locker, was ihm Demütigungen in der Kaserne einbringt („Weißes Fleisch ist nichts für N**er“). Sie weist ihn noch immer ab; allerdings merklich weniger vehement. Und ihre Freundin Erika hat einen lasziven Tingeltangel-Auftritt vor grölenden Soldaten, der den Unterhaltungswert steigert und in der Geschichte Folgen haben wird. Die dritte Episode verschärft dann die Konflikte: Durch die Heimkehr ihres Verlobten wird die Heldin nun emotional noch verunsicherter. Als sie erkennen muss, dass ihr Siegfried nicht mehr der ist, der er vor dem Krieg einmal war, entscheidet sie sich, ihn zu retten („Er braucht mich“). Das Frauenbild, das Marie zu erfüllen sucht, erinnert nicht zufällig an das der aufopferungsvollen Kameradin, wie es im Nationalsozialismus mit mütterlichem Glanz erblühte. Amy McCoy will Marie einen anderen Weg weisen: „Alles ist möglich. Da draußen ist eine moderne Welt. Die wartet auf dich.“ Erika indes erträumt sich in den Hafen der Ehe mit einem gut situierten Ami. Die Realität aber heißt Paulinenstift. Und in den letzten beiden Folgen kehren sich das bisher Vertraute und Fremde endgültig in ihr Gegenteil, und die Deutsch-amerikanische Freundschaft wird auf eine harte Probe gestellt. Ausdruck findet diese Situation auch in der wunderbar inszenierten Schlussszene des Films: ohne Worte, nur Gesten, Blicke, Gelächter. (Text-Stand: 14.11.2021)