Zwei Menschen kommen über Jahre nicht zur Ruhe. Der eine ist ein Vater, der sich nicht damit abfinden kann, dass seine Tochter nicht mehr da ist, dass sie ermordet wurde und ihr Mörder nicht überführt werden konnte. Der andere ist der Täter, dem die Angst vor allem im Nacken sitzt, seitdem er Vater geworden ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass sein Glück nicht ewig währt, steigt mit den verfeinerten Methoden der DNA-Analyse. Doch die „Massivspuren“ von damals scheinen nur noch Zelltrümmer zu sein.
„Ein halbes Leben“ wechselt beständig die Perspektiven. Mal steht das stille Leid, die stumme Hilflosigkeit der Opfereltern im Fokus, mal ist es der Mörder, der wie eine schuldige Kreatur durchs Leben schleicht. Der Film erzählt chronologisch über einen Zeitraum von 14 Jahren, er zeigt, wie sich die beiden Männer verändern, wie der eine langsam ins Leben zurückfindet, während der andere sich im Schatten der Tat nur notdürftig einzurichten vermag. Das Damoklesschwert schwebt über ihm. „Beide Geschichten würden wohl auch für sich funktionieren“, so Filmemacher Nikolaus Leytner. „Aber erst die Gegenüberstellung, die Verschachtelung und Spiegelung beider Wirklichkeiten erzeugt etwas Drittes.“
Was es sein kann, muss der Zuschauer selber finden. Die österreichisch-deutsche Koproduktion ist kein Themenfilm, kein klassischer Krimi über die in der Fiktion immer beliebter werdende „Visitenkarte des Mörders“, er erzählt einfach nur eine Geschichte über eine schicksalhafte Verbundenheit zweier Männer. Keine Läuterungsarie, kein Drücken auf die Tränendrüsen, keine künstliche Dramatisierung. Leytner schwingt sich nicht zur moralischen Instanz auf: „Nichts soll entschuldigt oder relativiert werden.“ Leytner wertet nicht, er zeigt, setzt auf Distanz. Für ihn ist der Film „eine Versuchsanordnung, die ungewöhnliche Blickwinkel erschließt“. Darin erinnert er an Kieslowskis Erzählstil – eine TV-Light-Variante.
Ein Film wie „Ein halbes Leben“ steht und fällt mit seinen Schauspielern. Kabarettist Josef Hader, der spätestens mit seinem Kommissar Brenner aus den Wolf-Haas-Verfilmungen den Sprung ins ernsthafte Fach geschafft hat, bleibt einem über die 90 Minuten hinaus im Gedächtnis. „Weil diese Rolle keinen Ausweg in irgendeine Ironie ermöglichte“, habe den Österreicher dieser Ulrich Lenz besonders interessiert. Sein erster Gedanke: „Da kann ich was dazu lernen als Schauspieler.“ Wie ein zum Tode Verurteilter beim Gang zum Schafott wirkt seine Figur, wie ein geschlagener Hund bettelt sein Mörder um Erlösung, sucht Vergebung.
Man spürt in Haders Spiel die Doppelstruktur: für sein eigenes Seelenheil wünscht er sich zunehmend die rechtmäßige Bestrafung, für seine Tochter aber wünscht er sich, dass er immer für sie da sein kann. Auch Matthias Habich spielt den Vater, der nur schwer loslassen kann, mit der ganzen Ausdruckskraft eines erfahrenen Charakterkopfs. Der Film, an dessen zurückhaltende Moll-Tonlage man sich gewöhnen muss, besitzt unvergessliche Szenen. Das Zusammentreffen der beiden Männer ist die nachhaltigste: keine Trennscheibe – zwei Männer in einem Raum, an einem Tisch, zwei Männer, die vieles verbindet. (Text-Stand: 18.5.2009)