Zwei Familien in einem steirischen Dorf im emotionalen Ausnahmezustand
Irene Kemmer (Franziska Weisz) ist nach dem Todesfall des gerade erst gewählten Ortsvorstands Interimsbürgermeisterin ihrer Gemeinde geworden. Sie macht den männlichen Platzhirschen umgehend klar, dass sie nicht nach ihrer Pfeife tanzen wird: Mit ihr werden Wiesen nicht so schnell zum Bauland erklärt. Die etwas spröde Mittdreißigerin will auch kein zweites Esslokal im Dorf. Der Grund: Sie erkennt in dem renommierten Haubenkoch (Michael Menzel) den Mann, der sie vor 18 Jahren vergewaltigt hat. Dass dieser ausgerechnet der Ausbilder ihres Bruders Georg (David Christopher Roth) war, der in dem neuen Restaurant als Koch arbeiten soll, bringt viel Aufregung in die Familie. Nachdem Irene ihr Beschuldigung öffentlich gemacht hat, wird auch die Situation im Dorf immer angespannter. Der aus dem Gefängnis entlassene Anton (August Schmölzer) braucht dringend Geld, sein verwitweter Sohn Franz (Max von Thun) will Irene endlich einen Antrag machen und Antons große Liebe Erna (Franziska Walser) würde am liebsten mit ihm weggehen. Sorgen plagen auch Irenes Mutter (Sissy Höfferer) und ihren Stiefvater (Harald Schrott). Es sind nicht nur Geldsorgen.
Eine Bergdorf-Trilogie: und wieder fällt als erstes die Bildsprache ins Auge
Das moderne Bergdrama „Die Fremde und das Dorf“ war vor zwei Jahren eine kleine filmästhetische Überraschung mit großer Zuschauerwirkung, ganz besonders in Österreich. Da Autorin Konstanze Breitebner („Meine Tochter nicht!“) ihre Geschichte längst nicht auserzählt sah, haben sich ORF und ZDF entschieden, diesem modernen Heimatfilm noch zwei weitere Filme folgen zu lassen. Episode 2 der Trilogie, „Ein Geheimnis im Dorf – Schwester und Bruder“, ist in Österreich bereits gelaufen, ähnlich erfolgreich wie der Vorgänger mit Henriette Confurius und Manuel Rubey als den spannendsten Charakteren jenes Films. Die beiden sind in der Fortsetzung nicht mehr dabei. Ihre Figuren, die schöne Italienerin und der heißblütige Bauernsohn, haben das Dorf verlassen. Alle anderen sind geblieben. Auch die Crew vor wie hinter der Kamera ist fast identisch. Und so ist auch „Ein Geheimnis im Dorf“ eine handwerklich gute Filmerzählung über einen ländlichen Mikrokosmos. Auf den ersten Blick beeindruckt die Bildgestaltung, ihre kunstvolle Düsternis, die trockene, erdige Ausstrahlung der Mensch-in-Landschaft-Situationen, die kontrastreiche Fotografie und im Gegensatz dazu die unterspielten, häufig sprachlosen Genre-Charaktere.
Die Autorin benutzt ihre Protagonisten als Schachfiguren für ihr Rätselspiel
Dem ersten aber folgt der zweite Blick – und der richtet sich auf Personal und Interaktionen. Plot und Psychologie sind nicht immer harmonisch aufeinander abgestimmt. Es hat den Eindruck, als ob die Figuren manchmal ihrem Kenntnisstand hinterherlaufen. Man fragt sich, weshalb sie sich so schwer tun, das Offensichtliche zu benennen. Als Zuschauer glaubt man jedenfalls bald, die Antwort auf all die Fragen zur Vergangenheit zu kennen. Schließlich lässt auch schon der wenig elegante Filmtitel, „Ein Geheimnis im Dorf – Schwester und Bruder“, einiges erahnen. Dass der Fall am Ende – das erinnert an die Auflösungsdramaturgie vieler Krimis – etwas anders liegt als angenommen, erklärt dennoch nicht, weshalb sich einige Figuren nicht klarer positionieren. Vom Ende her betrachtet, erscheint das Verhalten der Figuren dann zwar nicht ganz unplausibel, was aber nichts daran ändert, dass man beim Sehen des Films immer wieder über jenes Verhalten stolpert. Breitebner benutzt ihre Protagonisten nur als Schachfiguren für ihr Rätselspiel. Dabei ließen sich doch mit aufgeklärten Charakteren, die sich dem Zuschauer mitteilen, tiefere Konflikte und Spannungsmomente etablieren, weil man deren Leidensgründe kennt. Damit ihre Dramaturgie 90 Minuten durchhält, muss die Autorin zu Vieles in der Schwebe lassen. Die gegenseitigen Verstrickungen in den beiden Familien machen eine stringente Dramaturgie selbstredend nicht ganz einfach, lenken den Normalzuschauer dafür von den Schwächen des Drehbuchs ab. So ist denn auch reichlich was los in diesem Bergdorf, in dem die Autorin diesen Anzengruber-haften Stoff in jenen Soap-Modus überführt, dem die Häufung von Konflikten alles ist.
Ein überzeugendes Ensemble, aber Confurius & Rubey sind nicht zu ersetzen
So kann es trotz Peter Keglevics elaborierter Filmsprache nicht gelingen, der Geschichte von „Ein Geheimnis im Dorf“ eine poetische Transzendenz zu verleihen, wie es beispielsweise bei Hans Steinbichlers „Das Dorf des Schweigens“ oder Andreas Prochaskas „Wenn du wüsstest, wie schön es hier ist“ gelungen ist. So bleibt denn als weiteres Plus neben der ambitionierten Inszenierung allein das angenehm beiläufig dramatisch aufspielende Ensemble, allen voran Franziska Weisz in der Hauptrolle. Die 36jährige Österreicherin ist seit Jahren eine feste Größe im alpenländischen Film und als neue Partnerin von Wotan Wilke Möhring im „Tatort“ eine gute Wahl. Aber die anrührende Magie einer Henriette Confurius („Die geliebten Schwestern“) besitzt sie ebenso wenig wie der Schwiegermutterschwarm Max von Thun die vielschichtige, ambivalente Ausstrahlung von Manuel Rubey („Seit du das bist“).