Ein ganz gewöhnlicher Jude

Schwerer Stoff: Ben Beckers fulminanter Monolog über „die jüdische Krankheit“

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Das Ein-Personen-Stück „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ ist ein großes Solo für Ben Becker und es geht an die Grenzen des im Fernsehen Möglichen. Wer dem Film etwas abgewinnen möchte, muss zuhören (aber auch hingucken) können. Wen das Thema interessiert, der wird es tun, denn Lewinskys Text hat hohe literarische Qualitäten und er ist auch inhaltlich ein großartiges Essay über die Schwierigkeiten, heute in Deutschland als Jude zu leben.

„Nashörner guckt man sich im Zoo an, Juden lädt man sich in den Unterricht ein!“, wettert Emanuel Goldfarb. Der Journalist wurde eingeladen, vor einer Schulklasse über seine Religion zu sprechen, doch er hat gute Gründe, es nicht zu tun. Und so beginnt er, einen Brief zu schreiben, in dem er dem Lehrer erklären will, weshalb er absagen muss. Was er schreibt, ist nicht freundlich. Goldfarb redet sich den Frust von 40 Lebensjahren von der Seele. „Wir sind eine Glaubensgemeinschaft, die durch das zusammen gehalten wird, was die anderen von uns glauben.“ Aus der Absage wird eine Abrechnung mit Deutschland, dem Judentum und mit sich selbst.

Kein leichter Stoff für einen Fernsehfilm zur besten Sendezeit. Hinzu kommt: „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ ist ein Ein-Personen-Stück. Die heilige Wut eines Juden verschafft sich Luft durch einen Monolog, in dem sein ganzes Leben aufgeht. „Goldfarb rollt mit aller Klarheit und Genauigkeit sein Leben auf“, sagt sein Darsteller Ben Becker. Das fand er unabhängig vom Thema – Becker ist selbst jüdischer Herkunft – für sich als Schauspieler ungemein spannend. Ventile öffnen sich, Gefühle brechen sich Bahn. „Zorn geht über in Trauer, in Depression oder auch Selbstmitleid.“ Und Becker wütet durch die Wohnung seines Helden, hämmert in die Tasten, nimmt sein Diktiergerät und lässt seinen Gedanken freien Lauf. „Es ist aber keine Analyse aus dem Moment“, betont der Drehbuchautor Charles Lewinsky, „sondern eine Selbstreflexion, die dieser Mann sein ganzes Leben lang betrieben hat.“ Hier redet sich ein Intellektueller etwas von der Seele, entsprechend geschliffen sind die Formulierungen.

Einen solchen Text in einem Film zu sprechen, ist eine außergewöhnliche Herausforderung. „Der Text ist ja ein Kunsttext, nicht wirklich aus dem Leben gegriffen“, so Becker. „Und es dann zu schaffen, dass der Text anfängt zu leben und nicht aufgesagt wirkt und trotzdem als Kunstform bestehen bleibt – das war nicht einfach.“ Akzentuiert habe er gemeinsam mit Oliver Hirschbiegel („Der Untergang“) den Text, der keinerlei Handlungsdramaturgie besitzt, sondern ganz von der Rhetorik und dem subjektiven Erinnerungsfluss des Helden angetrieben wird, durch die Emotionen, die bei Goldfarb freigesetzt werden. Becker: „Wann wird er böse? Wann geht ihm etwas nahe? Wann fängt er an zu weinen? Was haut ihn um?“ Der Mann, der nie verstehen konnte, dass seine Eltern nach dem Zweiten Weltkrieg wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind, räumt zunächst mit seinem Leben als Jude in der Bundesrepublik auf. „Ich möchte in einem Deutschland leben, in dem man Jude sein kann, ohne dass die Leute um einen herum es automatisch für notwendig erachten, tolerant zu sein.“ Er erinnert sich an seine Eltern, die stets ängstliche Mutter und den gutgläubigen Vater, an seine Frau und seinen Sohn. Das Familienleben scheiterte an der „jüdischen Krankheit“, wie Goldfarb verbittert anmerkt: „zu viel Geschichte, zu viel Vergangenheit.“

Ein ganz gewöhnlicher JudeFoto: NDR
Oliver Hirschbiegels Ein-Personen-Film mit Ben Becker als deutscher Jude der Nachkriegsgeneration.

Wer dem Film etwas abgewinnen möchte, muss zuhören können. Wen das Thema interessiert, der wird es tun, denn Lewinskys Text hat hohe literarische Qualitäten und er ist auch inhaltlich ein großartiges Essay über die Schwierigkeit, in Deutschland als Jude zu leben. Nicht umsonst ist das Script von „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ als Buch erschienen. Aber auch im Film kommt der Text hinreichend zur Geltung. Oliver Hirschbiegel, der bereits Hannelore Elsner durch das Ein-Personen-Stück „Mein letzter Film“ scheuchte, hat eine (psycho)logische Topographie der Räume entwickelt. Es ist also auch genaues Zuschauen Pflicht bei diesem Ben-Becker-Solo, dessen „Handlung“ fast in Echtzeit erzählt wird und bei dem dreiminütige Einstellungen keine Seltenheit sind. Wie der deutsche Gutmensch Goldfarb auf die Nerven geht, so möchte Becker mit diesem Film „weit weg von jeder Art von moralischer Belehrung“.

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Fernsehfilm

NDR

Mit Ben Becker

Kamera: Carl-Friedrich Koschnick

Szenenbild: Christian Bussmann

Schnitt: Hans Funck

Produktionsfirma: Multimedia Film- und Fernsehproduktion

Drehbuch: Charles Lewinsky

Regie: Oliver Hirschbiegel

EA: 04.04.2007 20:15 Uhr | ARD

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