„Menschen, mit denen man länger als zehn Jahre nichts zu tun hatte, sollten sich wie Fremde benehmen – ansonsten ist es wie Hausfriedensbruch.“ So ähnlich fühlt sich Helmut jetzt, überfallen im Urlaub am Bodensee, wohin er und seine Frau Sabine seit 12 Jahren jeden Sommer fahren. Der Gymnasiallehrer, Mitte 40, will seine Ruhe haben, Vögel erkunden statt vögeln, mal ein gutes Buch lesen – und seine bessere Hälfte auf Distanz halten. Und da steht auf einmal Klaus vor ihm, ein zotenseliger Studienfreund, den ein Vierteljahrhundert jüngeren Männertraum Hel im Arm. Er ist das genaue Gegenteil des grummeligen Misanthropen: er liebt das Leben, will Spaß. Dieser notorische Angeber geht Helmut tierisch auf die Nerven und weicht ihm fortan nicht von der Seite. Selbst nach einem Eklat klopft der „Matchmaker“ wieder beim angezählten Ehepaar an die Tür. Um des lieben Friedens Willen und ein bisschen auch wegen der aufreizend frischen Hel reißt sich Helmut ab sofort zusammen. Dann machen die beiden Männer einen Segelausflug. Ein Unwetter zieht auf. Nur einer schafft es zurück.
Foto: ZDF / Jan Betke
„Ein fliehendes Pferd“, die Verfilmung eines 30 Jahre alten Walser-Romans, fürs Kino, 2007 gedreht – was kann man da erwarten? Nicht unbedingt einen so intelligent vergnüglichen, lebensklugen, erfrischend schlüpfrigen Film wie diesen von Rainer Kaufmann. Der deutsche Miesepeter und der hedonistische Aufschneider im Konversations-Nahkampf um zwei Frauen und um das bessere Lebenskonzept. „Ich bin nicht pessimistisch, ich bin Melancholiker“, gibt Helmut irgendwann zum Besten – und Sabine bekommt einen strengen Zug um den Mund. Diese Ehe ist ein einziger Krampf. Da klappt nicht mal die Selbstbefriedigung. Kein Wunder, dass Sabine ziemlich scharf auf dieses lustvoll verspielte Alpha-Tierchen ist, während sich der Studienrat zunächst seine Verspannung, dann seine Erektion wegmassieren lässt. Die sexuellen Motive der Vorlage werden wie ein latenter erotischer Subtext über die Handlung gelegt. „Latte oder nicht?“, fragt die Schöne lächelnd, bevor die frustrierte Ehefrau im Supermarkt hingebungsvoll mit einer Gurke hantiert. „Du kennst dich ziemlich gut aus mit Vögeln.“ Das ist nicht immer die hohe Schule erotischer Ästhetisierung, aber es ist höchst unterhaltsam.
Ulrich Noethen als lebensmüder Biedermann, der schwer über den eigenen Schatten springen kann. Ulrich Tukur als energiegeladene Nervensäge, ein Brandstifter, der den alten Freund (oder nur dessen Frau?) zu mehr Lebendigkeit verführen will. Beide Figuren sind nicht geschrieben zum Gernhaben. Da kommen die Frauen fast besser weg: Katja Riemanns Sabine, die gefangen ist im Ehekäfig und gelegentlich leise aufbegehrt. Und Petra Schmidt-Schallers Hel, die darin aufzugehen scheint, eine perfekte (Wunsch-)Projektion zu sein. Fazit: „Ein fliehendes Pferd“ ist eine zwar nachdenklich stimmende, aber doch leichte Tragikomödie. Eine stimmige, luftig inszenierte Nabelschau einer in die Jahre gekommenen Beziehung.
Foto: ZDF / Jan Betke