Der Apparat ist schwerfällig, nicht nur in der parlamentarischen Politik
Im April 2015 begann auf ZDFneo die vierteilige Politkomödie „Eichwald, MdB“. Bis zur Fortsetzung, die nun sechs Episoden umfasst, gingen vier Jahre ins Land. Die Gründe dafür beschreibt der zuständige ZDF-Redakteur Daniel Blum im Presseheft zur zweiten Staffel diplomatisch verklausuliert: „Eine ganze Legislaturperiode hat es gedauert, bis ‚Eichwald, MdB‘ in die verdiente zweite Staffel geht. Nach den Reaktionen auf die erste Staffel war ihm eigentlich ein Direktmandat sicher, sein starker Landesverband hat ihn nicht fallen lassen und die Sondierungsgespräche, obwohl sie bis tief in die Nacht gingen, waren auch erfolgreich, aber letztlich zogen sich die Auszählung der Zweitstimmen und die Berechnung der Überhangmandate in die Länge, bis die Koalition der Unterstützer stand.“ Feinsinnig formuliert und darin gleichsam das Gegenteil der Tonart, die in der Serie angeschlagen wird.
Ein Hinterbänkler, dem weder seine Arbeit noch sein Privatleben leicht fallen
Hans-Josef Eichwald (Bernhard Schütz), meist Hajo genannt, ist ein Veteran der Bundespolitik, der seinen nordrhein-westfälischen Wahlkreis schon im Bonner Parlament vertrat und bislang, wenn auch mittlerweile knapp, immer noch ein Mandat für den Berliner Reichstag ergattern konnte. Der Vorspann markiert stimmig Eichwalds Werdegang anhand seiner früheren Wahlplakate, alle verunstaltet durch Graffiti, Aufkleber, Krakeleien. Aus den Plakat-Layouts – oranges Rechteck, manche Fotos erinnern an Gerhard Schröder zu seinen hemdsärmeligen Zeiten – und Eichwalds Bochumer Wahlkreis lässt sich auf eine Partei-Zugehörigkeit in der SPD schließen. Aber die spielt letztendlich keine Rolle. Eichwald ist Hinterbänkler und eher mit Banalpolitik befasst, als die großen Räder zu bewegen. Selbst in dieser Position hat er es schwer genug. Obwohl lange im Politikbetrieb und inzwischen mit einer gewissen Routine ausgestattet, gilt doch immer noch, was Fraktionschefin Birgit Hanke (Maren Kroymann) in Folge vier der ersten Staffel angesichts einer weiteren von Eichwalds vielen Tölpeligkeiten über ihn sagte: „Du hast deine Ehe an die Wand gefahren. Du bist überhaupt kein Frauentyp. Freunde? Pfff – praktisch keine. Weil du auch keiner bist, dem seine Arbeit leichtfällt. Weil du einer bist, der sich wirklich strecken muss, um mitzuhalten.“
Foto: ZDF / Maor Waisburd
Als Eichwald mal wieder in ein Fettnäpfchen tritt, steigt sein Bekanntheitsgrad rapide
Politische Visionen sind von dieser glücklosen Figur nicht zu erwarten. Dem alternden Politprofi geht es hauptsächlich um Besitzstandswahrung. Sein Bekanntsheitsgrad ist beschränkt, er blieb ohne Begabung und ist nicht ausgefuchst genug, um von der politischen Bühne auf einen dieser lukrativen Posten in der freien Wirtschaft zu wechseln. Bei der letzten Wahl hatte er sich nur äußerst knapp gegen einen 24-jährigen rechtspopulistischen Youtuber und eine vorbestrafte Bürgerkandidatin durchsetzen können. Das Delikt der Dame: Sie hatte Herbert Grönemeyer belästigt. Also muss sich Eichwald gelegentlich nach vorne spielen. Sein Team, bestehend aus dem langjährigen Wegbegleiter Berndt Engemann (Rainer Reiners), dem ehrgeizigen Streber Sebastian Grube (Leon Ullrich) und der im Quartett qualifiziertesten, aber auf den Part der Büroleiterin reduzierten Julia Schleicher (Lucie Heinze) ist gehalten, ihn so oft wie möglich in die Medien zu bringen. Aber wenn es denn mal gelingt, hechtet Eichwald garantiert kopfüber ins nächstbeste Fettnäpfchen. Er ist Mitglied im Sportausschuss, und als in den benachbarten Niederlanden ein Fall von Fußball-Doping ruchbar wird, spricht er eilig den deutschen Fußball von vergleichbaren Sünden frei. Kaum geht das Interview über den Sender, wird bekannt, dass ausgerechnet in Eichwalds Wahlkreis systematisches Doping betrieben wurde, von einem Arzt mit eigenem Institut, dessen Ansiedlung in NRW von Eichwalds Partei massiv gefördert wurde. Mit beachtlichem erzählerischen Geschick macht Autor Stefan Stuckmann diesen Skandal zum Ausgangspunkt einer Reihe von Ereignissen, die die Staffel bestimmen, wobei die einzelnen Folgen durchaus auch für sich betrachtet werden können.
Exkurs: die BBC-Serie „The Thick of It“, die „Eichwald, MdB“ als Vorbild dient(e)
Wie schon im Presseheft zur ersten Staffel eingeräumt wurde, folgt „Eichwald, MdB“ der britischen Serie „The Thick of It“. Von „inspiriert“ war dort die Rede, tatsächlich handelt es sich aber im Grunde um eine Formatübernahme. Das Vorbild stammt vom schottischen Autor, Regisseur und Produzenten Armando Iannucci. „The Thick of It“ ging 2005 bei BBC Four auf Sendung und machte rasch Furore. Ein US-Remake unter Iannuccis Federführung scheiterte, stattdessen schuf er mit „Veep“ eine an die dortigen politischen Verhältnisse angepasste satirische Sitcom. Wiederum ein Publikumserfolg und mit zahlreichen Auszeichnungen gekrönt. „The Thick of It“ war, ähnlich wie die drei Jahre zuvor gestartete Sitcom „The Office“, in Deutschland als „Stromberg“ adaptiert, im Stil einer Pseudo-Dokumentationsserie gedreht, mit einer Handkamera, die nervös den Ereignissen zu folgen versuchte. Stilistisch erinnerte das an reale Dokumentationen wie Chris Hegedus‘ und D. A. Pennebakers Oscar-nominierten Kinofilm „The War Room“. Komik bezogen Iannucci, der alle Folgen selbst inszenierte, und seine teilweise improvisierenden Schauspieler aus dem Gefälle zwischen dem öffentlichen Bild der Politiker und dem Geschehen hinter den Kulissen. Hugh Abbot (Chris Langham), Minister für soziale Angelegenheiten, ist strunzdumm, aber sehr von sich überzeugt. Die eigentlichen Hauptfiguren sind die Strippenzieher und Strategen, vorneweg der Kommunikationschef Malcolm Tucker (Peter Capaldi), ein Rabauke, der mit obszönen Schimpfkanonaden, Drohungen, Manipulationen die Regierungs- und später Oppositionsgeschäfte am Laufen hält. „The Thick of It“ war nah am realen politischen Geschehen, gespickt mit Anspielungen und nahm sogar einige Politaffären hellsichtig vorweg.
Foto: ZDF / Maor Waisburd
Satirisch wirksam in aufklärerischem Sinne ist die deutsche Serie eher nicht
In der deutschen Fassung ist die Kameraführung ruhiger, das Ensemble wurde verengt. Dummheit und cholerische Anfälle konzentrieren sich im Abgeordneten Eichwald, die Rollen seiner Berater sind ähnlich angelegt wie in der Vorlage. Viele Intrigen finden untereinander statt, andere Parteien und größere politische Themen erscheinen so gut wie gar nicht oder nur als ferner Wiederhall. Beispiel: Die Aushöhlung des grundgesetzlich verbrieften Rechtes auf Asyl könnte ein Thema sein. Stattdessen übernimmt Berndt Engemann die Betreuung eines syrischen Flüchtlings, den man nie zu sehen bekommt und der Engemann offenbar finanziell ausnimmt. Nach Form und Inhalt eine fragwürdige Darstellung … Satirisch wirksam in aufklärerischem Sinne ist die deutsche Serie nicht, eher schon schürt sie die kurante Politikverdrossenheit. Ungelenk, instinktlos und geldgierig wurstelt sich Eichwald durch den politischen Alltag. Immerhin hat diese Tätigkeit, so weit differenziert Stuckmann denn doch, ihren Preis. Die Knute der Fraktionsvorsitzenden, der Druck der Öffentlichkeit, der Social-Media-Terror machen Eichwald zu schaffen. Tragik klingt an, wenn Hajo Eichwald immer wieder versucht, seine Tochter Annika zu erreichen, die einzige Person, die ihm wirklich am Herzen liegt. Annika ruft nie zurück und erscheint auch nicht zu der Biopsie, die nötig wird, nachdem ein verdächtiger Schatten auf Eichwalds Bauchspeicheldrüse festgestellt wurde.
„Halt die Schnauze!“ Das Abgeordnetenbüro gleicht einem Kriegsschauplatz
Der Ton in der Bürogemeinschaft ist rau. Der stets dem anderen Geschlecht nachgeifernde, dabei notorisch erfolglose Sebastian Grube und die in der zweiten Staffel schwangere Julia Schleicher konkurrieren um die Gunst des Chefs, wollen aufsteigen in der Berliner Republik und gönnen sich gegenseitig nichts. „Halt die Schnauze!“ ‒ „Kackidee!“ ‒ „Ficker!“ ‒ „Fotze!“, schallt es durch die Räume. Tastaturen, Drucker, Telefone werden zertrümmert. Das Abgeordnetenbüro gleicht einem Kriegsschauplatz. Da sich die für Eichwald eigentlich unentbehrliche Julia Schleicher in den Mutterschaftsurlaub verabschiedet, muss vorübergehend Ersatz gefunden werden. Ein passender Kandidat steht bereit, aber Eichwald hätte der „Diversität“ wegen lieber eine Frau als Schwangerschaftsvertretung. Am liebsten eine Schwarze im Rollstuhl. „Da habe ich auch ein Stück weit auch Verantwortung.“ Es kommt dann aber, Gefälligkeit für einen Parteifreund, die hellhäutige Julia Sonnemann (Hanna Hilsdorf), eine pfiffige 23-Jährige. Und schon fürchtet die ältere Julia, aufs Abstellgleis geschoben zu werden. Weil ja reifere Männer gern einmal die Partnerin durch ein jüngeres Exemplar ersetzen. Und Sensibilität ist Eichwalds Sache nach wie vor nicht. Auf den Hinweis, dass sich der Todestag der Ehefrau des verhassten Parteifreunds Uwe Bornsen (Robert Schupp) jährt, fragt Hajo: „Schenkt man da was?“
Wünschenswert: weniger Hysterie & Radau, mehr Feinschliff in Richtung Politsatire
Die Dialogkaskaden aus Injurien, bewusst schlechten Witzen der Protagonisten, süffisanten Sticheleien, verlogenen Komplimenten haben hohen Unterhaltungswert, zumal sich die Schauspieler mit Verve in ihre Rollen stürzen. Die Handlung aber bleibt unterentwickelt. Trotz einiger durchlaufender Handlungsfäden dominiert eine sequenzielle Struktur, eine Aneinanderreihung von Wortgefechten und gelegentlichen Slapstick-Einlagen, die auch mal irritierend plump geraten, so wenn die hochschwangere Julia von Eichwald losgeschickt wird, ein schweres Paket abzuholen. Sie quält sich ab mit dem unförmigen Karton, und natürlich platzt ihre Fruchtblase … Allgemein wünschenswert wäre eine Abkehr von Hysterie und denunziatorischem Radau, mehr Präzision in der Schilderung des Polit-Betriebs, mehr Feinschliff in Richtung Satire und Tragikomödie. Und mehr Sorgfalt im Hinblick auf zeitliche Abläufe. Eichwalds Konkurrent Bornsen beweint zur Abscheu seiner Kollegen öffentlich seine tödlich verunglückte Ehefrau und trifft einen Verleger, der ihn anregt, seine Trauer in einem Buch zu verarbeiten. Bornsen befolgt den Rat. Ihm gelingt ein Bestseller, er lernt in der Talkshow von Markus Lanz mit Alexandra Neldel eine neue Partnerin kennen. Dies alles binnen weniger Tage. Eine buchstäblich unglaubliche Abfolge der Ereignisse.