Düstersee

Jan Josef Liefers, Stappenbeck, Loos, Glatzeder, Josef Rusnak. Pointen aus der Provinz

Foto: ZDF / Stephan Rabold
Foto Martina Kalweit

Frühere Fährten führten Joachim Vernau nach Kuba oder New York. In Fall Nummer 7 muss ein Ausflug mit der S3 Richtung Rahnsdorf reichen. Auf Bitten seiner Mutter beschattet der Berliner Rechtsanwalt deren Freundin Hüthchen. Bevor wir erfahren, was hinter ihren Alleingängen in die Uckermark steckt, überrascht „Düstersee“ (ZDF / Network Movie) mit hellen Sommerbildern vom Lande. In Wirklichkeit ist Düstersee ein Idyll am Wasser, eine Art „Unterleuten“ mit Strandspielplatz. Der Vergleich zur Juli-Zeh-Verfilmung weckt allerdings Hoffnungen, die der siebte Film nach einer Romanvorlage von Elisabeth Herrmann nicht einlöst. Subtile Verweise sucht man in „Düstersee“ vergebens. Alle Figuren tragen ihre Absichten vor sich her, jeder Schauplatz tapeziert eins zu eins, was die Erzählung uns glauben machen will. Nett anzuschauen und in etwa so spannend wie eine unterhaltsam moderierte Rundfahrt mit der Berliner Ringbahn.

Dunkel ist der Beginn. Im Intro springt „Düstersee“ zehn Jahre zurück. Wir werden Zeuge, wie das Date zweier Teenager in Flammen aufgeht. In der Ruine des Herrenhauses von Düstersee stirbt der junge Chris. Der Sprung in die Gegenwart führt uns an der Seite von Joachim Vernau (Jan Josef Liefers) wieder an diesen Ort. Investor Christian Steinhoff (Oliver Sauer) hat das Gut inzwischen zu einem Nobel-Ressort aufgepimpt und wirbt nun für seine Immobilien. Unter den Empfangsgästen ist auch Hüthchen (Carmen Maja Antoni) zugegen. Bevor er sich einen Reim darauf machen kann, findet Vernau am Morgen nach dem Empfang den ermordeten Steinhoff am See. Die vermögende Witwe (Katharina Heyer) misstraut der örtlichen Polizei und bittet ihn, zu ermitteln.

Voila, ein echter Fall! Noch dazu mit freiem Logis im Bootshaus, einem Porsche aus der Großgarage und großzügigem Salär. Vernau-Kenner wissen, dass das zum Standard der Reihe gehört: Vernau und seine Ex-Partnerin Marie-Luise (Stefanie Stappenbeck) nagen entweder am Hungertuch oder blicken verdutzt auf einen Scheck, den vermögende Klienten ungefragt ausstellen. Reich ausgestattet ist „Düstersee“ nach einer knappen halben Stunde auch mit Verdächtigen und Motiven. Da sind die gebrochenen Eltern des toten Chris, Steinhoffs GegnerInnen in der Dorfgemeinde (u.a. Anna Loos), die genervte Geldgeberin des „Wende-Gewinnlers“, vielleicht auch einige Altlasten aus Steinhoffs Vergangenheit als Ost-Waise, dessen Eltern sich in den Westen abgesetzt haben. Auch das ein wiederkehrendes Element der Reihe: Historische Verwerfungen und gesellschaftliche Streitthemen gehören in Herrmanns Roman immer dazu. Leider verkümmern sie in den Verfilmungen allzu häufig zu Stichwortgebern falscher Fährten. In all dem Kuddelmuddel kümmert es dann auch keinen, dass Steinhoffs strahlende Frau und seine eher den dunklen Mächten zugeneigte Tochter (Tara Fischer) auf seinen Tod reagieren, als hätte jemand im Wintergarten die Tür aufgelassen.

DüsterseeFoto: ZDF / Stephan Rabold
„Düstersee“ klingt aufregend. Der Look der Pressefotos ist es nicht. Anna Loos & jan Josef Liefers, im wahren Leben ein Paar.

Berliner auf dem Lande und die Prignitz als Ort, an dem alle unter einer Decke stecken. Zum Klischee vom Landleben als Überlebenskampf auf vermintem Gebiet gehören die entsprechenden Schauplätze: Umkämpftes Bauland, das Vereinshaus, ungedämmte Häuser mit Fensterläden, der unverstellte Seeblick. Dank rotem Porsche und feinem Anzug bewegt sich Rechtsanwalt Vernau in jedem Bild erkennbar als Außenseiter durch diese Welt. Etwas fülliger, weicher und in betont lockerer Gangart legt Jan Josef Liefers eine andere Körperlichkeit an den Tag als man es von seinem Boerne-Spiel gewohnt ist. Verdutzte Blicke und gewollt komische Dialoge (wie gleich zu Anfang im Gespräch mit Elisabeth Schwarz als Vernaus Mutter) erinnern da schon eher an die Paraderolle als Münsteraner Tatort-Kommissar. Eher peinlich ist auch eine Gag-Einlage, in der sich Vernau als Obduktions-Laie und Knochenbrecher nach Diktat versucht. Stefanie Stappenbeck hat als Marie-Luise alle hippiehaften, linksalternativen Attribute abgelegt. Auch sie braucht das Geld, arbeitet also zähneknirschend für solvente Klienten. Wie in den letzten Fällen baut „Düstersee“ Stappenbecks Part nicht weiter aus. Im Episoden-Cast sticht Winfried Glatzeder als ehrenamtlicher Bürgermeister, Vereinshauswirt und Ortsbrandmeister Kurti hervor. Kurti klärt Vernau über die Hintergründe des Herrenhauses auf, liefert damit Hinweise zur Klärung des Falls und stellt die Verbindung zu Hüthchen her. Glatzeders Auftritte umgibt ein Hauch Lonesome-Cowboy-Staub, der durchaus Lust auf mehr macht. Aber auch Kurti ist am Ende eher Funktionsträger als ernstzunehmender Counterpart.

Im Gegensatz zum unentschiedenen Grundton der Geschichte (Krimi? Spaß? Gesellschafts-Kritik?) überzeugt ein Licht, das die Lust auf den Sommer schon fast schmerzhaft spürbar werden lässt, die solide Kameraarbeit und vor allem die durchweg geschmeidige, dabei nie gefällige Soundgestaltung. Mario Grigorov, der neben den Vernau-Filmen „Requiem für einen Freund“ und Totengebet“ auch der Elisabeth-Herrmann-Verfilmung „Der Schneegänger“ eine ganz eigene Klangfarbe verlieh, findet immer wieder neue, elektronisch fein akzentuierte oder jazzige Variationen, die stimmig und interessant zugleich ins Ohr gehen. Mehr Mut zur inhaltlichen Variation wie zu tiefer ausgeleuchteten Nebenfiguren hätte auch der Erzählung gutgetan. Stattdessen wirken viele Szenen und Schauplätze wie beim Schreiben schon gefunden, damit gesetzt und bildfüllend. Passend dazu kreist „Düstersee“ (Drehbuch und Regie: Josef Rusnak) sehr eng um Pointen-Lieferant Vernau und seine treue Gemeinde. In der sind am Ende alle Paare traut vereint und werden, weil die Guten, mit einem unverhofften Geldsegen belohnt. Gesegnet wer es witzig findet, dass dabei keiner in der Runde das nötige Kleingeld für den Pizzaboten in der Tasche hat. (Text-Stand: 11.1.2023)

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

ZDF

Mit Jan Josef Liefers, Stefanie Stappenbeck, Anna Loos, Winfried Glatzeder, Elisabeth Schwarz, Carmen Maja Antoni, Katharina Heyer, Tara Fischer, Barbara Schnitzler

Kamera: Clemens Majunke

Szenenbild: Marcus A. Berndt

Kostüm: Isabella Mirja Hirt

Schnitt: Dirk Grau

Musik: Mario Grigorov

Redaktion: Daniel Blum (ZDF)

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Dietrich Kluge, Lasse Scharpen

Drehbuch: Josef Rusnak

Regie: Josef Rusnak

Quote: 7,32 Mio. Zuschauer (26% MA)

EA: 11.02.2023 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

weitere EA: 13.02.2023 20:15 Uhr | ZDF

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach