Du bist dran

Lars Eidinger, Ursina Lardi, Enders. Szenen einer Ehe. Sich wiedererkennen erlaubt

Foto: WDR / Oliver Feist
Foto Rainer Tittelbach

Die Frau ist in der Welt unterwegs; der Mann bewegt sich zwischen Küche, Klobürste und Kindergarten. „Du bist dran“ erzählt von einem alten Konflikt in neuem Gewand. Ein Paar in einem Teufelskreis gefangen. Eine stimmige psychologische Grundierung (schwaches Selbstbild, übernommene Rollenmuster aus der Ursprungsfamilie) und eine genaue Realitäts-Beobachtung sind das Herzstück dieses ARD-Fernsehfilms. Da benötigt man wenig Dramaturgie. Sylke Enders ist ein pures, sehr konzentriertes, stark besetztes Alltagsdrama gelungen, bei dem man mit den Protagonisten mit am Tisch sitzt. Mehr solche Stoffe!

Szenen einer modernen Familie. Die Frau ist in der Welt unterwegs; der Mann bewegt sich zwischen Küche, Klobürste und Kindergarten. Tauscht man einfach mal so die Rollen zwischen Mann und Frau, spielt Familie im gesellschaftslosen Raum? Der Fernsehfilm „Du bist dran“ zeigt, dass dieser Sozialrollentausch natürlich nicht konfliktlos vonstatten geht. Die Enttäuschungswut des gekränkten Hausmannes prallt gegen die Schlichtungsversuche der berufstätigen Ehefrau. Dieser Konflikt, den das konzentrierte Alltagsdrama von Sylke Enders erzählt, ist aber keineswegs eine Erfindung des neuen Rollenmodells. Neu ist die Zuordnung, das Problem ist alt. War es früher nur eben immer die Frau, die unzufrieden zu Hause saß, so sind es heute immer öfters auch die Männer, die nörgeln über die Undankbarkeit für all ihre Mühen. „Egal, wie letztlich die Rollen verteilt sind, ob die Frau arbeiten geht oder der Mann – entscheidend ist, wie man damit umgeht und wie viel Respekt man voreinander hat“, betont Autor-Regisseurin Enders. So oder so, sich im Film wiedererkennen ist erlaubt.

Du bist dranFoto: WDR / Oliver Feist
Ein guter Papa, aber tief drinnen ziemlich unzufrieden. Kommunikation außerhalb der vier Wände wird zum Spießrutenlauf. „Und was haben Sie so gemacht die letzten Jahre?“ Eidinger und ein Kind, das nicht spielt, sondern Kind ist: Johanna Scharf!

„Meine Frau kümmert sich um die Dritte Welt und ich kümmere mich um die Kinder.“ Peter, Möbelrestaurator mit abgebrochenem Industriedesign-Studium, ist über die Jahre in die Rolle des Hausmanns gerutscht. Von außen betrachtet scheint er bestens damit klarzukommen; er kann wunderbar mit den beiden Kindern. Innen drin’ muss es anders aussehen – sonst würde Peter kaum von heute auf morgen seine Ehe aufs Spiel setzen: Er ist zum einen schwer enttäuscht darüber, dass seine Frau Elisabeth schon so gut wie zugesagt hat, für die UN – mit Familie – zwei Jahre nach Nairobi zu gehen, ohne mit ihm darüber geredet zu haben; zum anderen fällt die Zwischenbilanz seines Lebens nicht gerade zufriedenstellend aus. Peter sieht sich gegenüber seiner Frau in der Defensive, ja er übernimmt sogar die geringe gesellschaftliche Akzeptanz seines Hausmanndaseins in sein eigenes Denken. Ein Teufelskreis, in dem die Kinder zunehmend aus dem Blickfeld fallen und aus dem sich nur schwer ein Ausweg finden lässt. Seine Frau straft er mit gereizter Verachtung. Und dann auch noch dieser pietätlose Vater, der wenige Monate nach dem Tod von Peters über alles geliebter Mutter schon mit einer „Nachfolgerin“ aufwartet. Das alles macht ihn blind, blind für die „Angebote“ seiner Frau, die ihm klar zu verstehen gibt, dass sie sich nicht trennen will.

Lars Eidinger musste zu seiner Rolle von der Regisseurin überzeugt werden: „Ich hatte das Gefühl, dass es schwer ist, sich mit Peter zu identifizieren, weil er so negativ ist und immer genervt wirkt.“ Und in diesen „Nervton“ wollte Eidinger keineswegs verfallen. „Dieser Tonfall ist ein gern bemühtes Mittel von Schauspielern, weil er schnell herstellbar ist und er auf der ersten Ebene Konflikt behauptet, jedoch keine Realität atmet, sondern rein oberflächlich bleibt.“ Die Gefahr, dass man die Hauptfigur ziemlich unerträglich findet in ihrer gekränkten Larmoyanz, besteht zwischenzeitlich tatsächlich. Dieser Peter ist einer, der lange Zeit nichts begreifen will und der wettert gegen die psychologische „Vergangenheitsbewältigung“. Das liegt offenbar im Wesen dieses Rollenbildes, das ihm seine Mutter vorgelebt hat. Man benötigt als Zuschauer schon ein wenig Phantasie, um glauben zu können, dass sie sich in besseren Zeiten mal als glückliches Paar auf Augenhöhe begegnet sind. Und es bedarf schon einiger psychologischer Grundkenntnisse oder besser noch eigener reflektierter Erfahrungen mit der (Ursprungs-)Familie, um zu verstehen, wie dieser Peter wohl tickt. Zunächst ist das Ventil für dessen allgemeine Unzufriedenheit sein Vater. Dem kann er für die unglückliche Ehe seiner Eltern die Schuld geben, genauso wie für die Nicht-Beziehung, die Vater und Sohn haben. Dabei übersieht er, dass der Vater beginnt, sich noch im Alter „beziehungstechnisch“ weiterzuentwickeln und dass die von ihm kritisierte Verschlossenheit des Vaters ihn selbst längst eingeholt hat. Erst als Peter sieht, wie offen sich sein 15-jähriger Sohn und dessen Großvater über ihre Träume austauschen, geht Peter ein Licht auf.

Du bist dranFoto: WDR / Oliver Feist
Wo stehe ich mit Mitte 30? Unzufrieden mit seiner Zwischenbilanz: Kann Peter (Eidinger) seine Selbstachtung wiedererlangen? Elisabeth (Lardi) streut kein Salz in die Wunden, sondern baut ihm Brücken, die der tief verletzte Peter trotzig einreißt.

Auch wenn man diesen Peter manchmal zur Vernunft schütteln möchte, seine Verletzung, sein Trotz, seine Wut sind nachvollziehbar. Auch gibt es immer wieder Szenen mit dem Helden nach seiner Wandlung zur beleidigten Leberwurst, die mit seinem Verhalten versöhnen. Die Art und Weise, wie er in der zärtlichsten Szene des Films dem „Warum?“-Fragespiel der Tochter begegnet, ein Sinnbild für uneingeschränkte Liebe, ist so ein Moment, in dem zumindest alle Mütter jauchzen und sich in Lars Eidinger verlieben werden. Der lässt mit seinem Spiel ohnehin genug Schlupflöcher für mehr Nuancen (oder projiziert man da vielleicht nur die Rollen, in denen man Eidinger gesehen hat, auf jenen Peter?), als seiner Figur offenbar ins Drehbuch geschrieben worden sind. Aber weshalb nicht auch mal mit einer Hauptfigur ins Gericht gehen? Man kann ja auch zwischendurch mal mit der souveränen, deshalb aber nicht weniger verletzlichen Ehefrau Elisabeth (punktgenau: Ursina Lardi) sympathisieren oder mit dem Großvater, der mit seiner selbstbewussten späten Glückssuche („Es sind meine Gefühle“) durchaus Pluspunkte sammeln kann. Gerade diese flexible Auslotung des kommunikativen Kraftfelds macht „Du bist dran“ zu einem sehr nachhaltigen Film. Sicher auch, weil viele Zuschauer mit der Geschichte persönlich etwas anfangen können. Dieser Film treibt die Handlung nicht auf Eskalationskurs, er erzählt keinen hochdramatischen Einzelfall, sondern kommt mitten aus der Gesellschaft und bleibt ganz bei seinen Figuren. Sylke Enders erzählt eine Geschichte, die jeder Zuschauer mit seinen eigenen Erfahrungen, Einstellungen und Haltungen in punkto Beziehung und Beruf, Verantwortung und Vertrauen, Liebe und Leiden abgleichen kann. Solche Geschichten gibt es viel zu selten im Fernsehen.

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„Warum?“ Die zärtlichste Szene des Films: da sollten nicht nur Mütter, sondern auch alle Väter gerührt sein… Lars Eidinger gibt seinem Peter sehr viel mehr mit als jenen „Nervton“, der ihn selbst nicht zufriedengestellt hätte. „Ich liebe dich“ – „Warum?“

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Fernsehfilm

WDR

Mit Lars Eidinger, Ursina Lardi, Liam van Enschot, Johanna Scharf, Horst Westphal, Beata Lehmann, Ronald Kukulies, Jutta Wachowiak, Ruth Reinecke

Kamera: Jens Harant

Szenenbild: Martina Brünner

Schnitt: Katharina Schmidt, Dietmar Kraus

Produktionsfirma: Zentropa Entertainment

Drehbuch: Sylke Enders

Regie: Sylke Enders

Quote: 3,65 Mio. Zuschauer (12,9% MA); Wh.: 2,42 Mio. (9,6% MA)

EA: 28.08.2013 20:15 Uhr | ARD

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