Machen ihre beiden Männer da so ein Brüder-Ding, „so eine perverse Sex-Kiste“? Charlotte weiß nicht mehr, was sie denken soll. Bis vor Kurzem war ihr Leben noch in Ordnung: Mit Hubertus, dem Mann, der Hamster operiert, hatte sie seit ihrer Hochzeit so gut wie jeden Tag herrlichen Sex, mit seinem Bruder Balthasar, dem Doktor, der Menschenleben rettet, ist sie verheiratet. Doch dann tauchte diese Anastasia auf, eine Russin, die augenscheinlich mit beiden Brüdern ins Bett geht. Muss etwa der Jüngere, der stets benachteiligte und in der Familie belächelte Tierarzt Hubertus, alles haben, was auch sein erfolgreicher Bruder hat? Und ist die Liebe der beiden Brüder überhaupt echt? Oder ist sie nur die andere Seite verdrängter Feindseligkeiten? Und ist die Daueraffäre mit der Schwägerin nur Reflex auf eine Kränkung?
Keine Angst, mit solchen Fragen behelligt einen „Drunter & Brüder“ allenfalls am Rande. So wie Katherine Hepburn im Screwball-Klassiker „Leoparden küsst man nicht“ die Psychoanalyse ins Spiel bringt oder wie Woody Allen gern Sex, Freud und das Gelächter der Geschlechter in Beziehung setzt, so bekommt diese köstlich durchgeknallte ARD-Degeto-Komödie einen familienmythologischen Unterboden, der nur bedingt ernst genommen werden muss. Diese Komödie ist ganz dem Lust-Prinzip verpflichtet. Sich treiben lassen durch absurde Szenen und abstruse Situationen, die mehr mit dem Genre als mit dem realen Leben zu tun haben, und durch diverse Beziehungskonstellationen, die indes durchaus tiefere Wahrheitsschichten freilegen. Witz ist hier weniger eine Frage des Inhalts als der Form – oder anders ausgedrückt: die Form wird zum eigentlichen Inhalt. Der Irrwitz regiert. Tempo ist das Herzstück von Handlung und Dialog. Ständige Repliken, Rückbezüglichkeiten, Typen- wie Charakterkomik mit Protagonisten, die ständig in Bewegung sind und ziemlich dumme Sachen machen, und ein Spiel mit Doppeldeutigkeiten, die nur der Zuschauer (und allenfalls eine Figur) richtig verstehen kann, schubsen diesen kinderspielverrückten Karussell-Film an. „Drunter & Brüder“ (fürs Fernsehen kein schlechter Titel) dreht durch und besitzt doch keine einzige Sekunde Leerlauf. Obwohl sich neben der Gestaltung auch die Handlung – mit dem obligatorischen Höhepunkt im Landhaus – deutlich an den Screwball-Comedies Hollywoods à la „Die Nacht vor der Hochzeit“, „Sein Mädchen für alle Fälle“ oder „Es geschah in einer Nacht“ orientiert und grobdramaturgisch wenig Überraschungen bietet, steckt der Film voller amüsanter Details, die ausreichend sind, um auch noch beim zweiten Sehen Spaß zu haben.
Spaß haben ist der tiefere Sinn dieser furios getakteten Komödie, die in der zweiten Hälfte erntet, was sie in der ersten an Beziehungen & Verwicklungen gesät hat. Alles, jedes Ding, jeder Moment, jedes Zeichen in dem Film des Grimme-Preis-gekrönten Comedy-Experten Ulli Baumann („Nikola“) nach dem klug strukturierten Drehbuch von Kirsten Peters, das auf simple Running Gags verzichtet, findet mindestens eine Entsprechung. Und auch ein Wirrkopf kommt selten allein. Schusselig sind alle drei Hauptfiguren – das ständige Lügen bringt eine gewisse Verwirrtheit mit sich. Alles wird zum Spielmaterial: eine Frau, die pantomimisch tänzelnd ein Telefonat „kommentiert“; ein Gewehr, mit dem sich Löcher in die Decke schießen lassen und auf Brüder und Tiere zielen lässt; ein Hund, der nicht nur beim Sex zuschaut, sondern sich später sagt, was diese Menschen können, das kann ich auch.
Eine dramaturgisch hochwertige Form der Komik ist der handlungstreibende, Szenen übergreifende Witz. Autorin Peters setzt mehrfach auf dieses auch besonders wirksame Comedy-Muster. Da ist zunächst dieses beiläufige Herumgemäkel des Ehemanns an seiner Frau („diese Fältchen am Hals“), das in der Anschluss-Interaktion zwischen Bruder und Geliebter als Witz für den Zuschauer wieder aufgenommen wird: „Was starrst du die ganze Zeit auf meinen Hals?“ Auch der Brötchen-Test ist ein wunderbar skurriles Motiv, das mehrfach als Liebesbeweis herangezogen wird. Wer seinen Partner wirklich liebt, gibt ihm die obere Hälfte. Was ist aber, wenn dieses beste Stück aus Versehen im Maul eines Hundes landet und so der Lover die untere Hälfte in den Händen hält? Schmunzeln ist das eine, wenn es um Spaß geht. Aber nichts geht über herzhaftes Lachen oder kurzes Herausprusten. Bei „Drunter & Brüder“ kann es einen ständig „befallen“. Wann gab es die letzte Fernsehkomödie, bei der man auf der Zielgeraden ständig auf die Uhr geschaut hat, in der Hoffnung, dass das köstliche Treiben nicht so bald ein Ende finden mag?! (Antwort: „Mutter muss weg“).
Dass man sich auch gern über 90 Minuten hinaus mit diesem Komödien-Kleinod – ohne tieferen Sinn – amüsieren würde, liegt nicht unwesentlich auch an dem famosen Ensemble. Stephan Luca als der Pragmatische, der charismatische Macher wandelt eindeutig auf Cary Grants Screwball-Spuren. So einen zum (alleinigen) TV-Sympathen zu machen, ist schwer. Also spaltet Peters die männliche Hauptrolle quasi auf: der andere Bruder ist der Liebenswertere, der Knuffigere, der Unbedarftere. Steve Windolf („Doc meets Dorf“) macht dem Wirrkopf-Image des Genres alle Ehre; obgleich man manchmal den Eindruck hat, dass er gelegentlich ein wenig über das Ziel (und damit ins Alberne) hinausschießt. Ganz anders: Valerie Niehaus („Ausgerechnet Sex“). Sie ist eine der Komödien-erfahrendsten Schauspielerinnen hierzulande, aber wie sie im Spannungsfeld dieser beiden ungleichen Brüder in die verschiedensten Tonlagen rutscht, von der küchenpsychologisch angefütterten Hausfrauen-Parodie über die eifersüchtig angesäuerte Romantikerin bis zur herzerfrischend durchgeknallten „Kameradin“ – das macht sie zur würdigen Vertreterin eines Rollenfachs, in dem einst Katherine Hepburn, Claudette Colbert und Carole Lombard die Königinnen waren. Auch wenn es in dieser Degeto-Komödie vornehmlich um Sex geht, so hat dieser in „Drunter & Brüder“ mehr von einem Kinderspiel. Das freilich hat weniger mit Niehaus oder dem ARD-Degeto-Sendeplatz zu tun als mit der Genre-Tradition der Screwball-Comedy.