„Olle gspian was, kana woas was“, („Alle spüren etwas, keiner weiß etwas“) beklagt der Salzburger Kommissar Martin Merana (Manuel Rubey), als er in seinen Heimatort Krimml kommt, um den Tod der 15-jährigen Laura aufzuklären. Unterstützt wird er dabei von der rustikalen Postenkommandantin Franziska Heilmayr (Stefanie Reinsperger). „Wir habns da so schön, i brauch net wegfoan“, meint die auf seine Frage nach Urlaubsplänen. Musste er doch wegen des aktuellen Falls seinen Urlaub gerade verschieben, dem er ohnehin mit gemischten Gefühlen entgegensah. Am Fuße der Krimmler Wasserfälle wurde Laura gefunden. Unfall oder Mord? Ungewöhnlich ist, dass jemand dem toten Mädchen einen herzförmigen Stein in die Hand gelegt hat. Am Abend zuvor hatte Laura an der Marketenderinnen-Misswahl teilgenommen und gewonnen. Der Fall ist für Merana alles andere als gewöhnlich, hat er doch hier seine – unglückliche – Kindheit verbracht; zudem hat er vor vielen Jahren die Mutter der Toten (Patricia Aulitzky) verlassen. Er wohnt während der Ermittlungen bei seiner spirituell begabten Großmutter (Christine Ostermayer). „Hast du es auch gespürt, da ist etwas Schreckliches passiert“, sagt sie und gibt ihm Hinweise, dass das Verbrechen mit den mystischen Geheimnissen der Sage von der Drachenjungfrau verbunden sein könnte. Deren Herz ist zu Stein geworden. Merana hat viele Verdächtige im Visier – unter anderem den herrischen Bürgermeister Erlinger (Harald Krassnitzer), der die Misswahl organisiert hat und in amourösen Dingen kein Kind von Traurigkeit ist. Aber Merana findet keinen Beweis. Bald klar ist allerdings: Es muss Mord gewesen sein, und Meranas Urlaub muss noch etwas warten.
Mit seinen „Landkrimis“ hat der ORF seit einigen Jahren eine Reihe etabliert, in der namhafte Regisseure jeweils ein Bundesland als Schauplatz eines Verbrechens inszenieren. Die ARD hat sich mit „Steirerblut“ und „Steirerkind“ bereits zwei Filme gesichert und sehr erfolgreich ausgestrahlt. Arte zeigte 2016 „Der Tote am Teich“. Jetzt hat auch das ZDF zugegriffen. „Drachenjungfrau“ führt den Kommissar Martin Merana in die Gegend der Krimmler Wasserfälle. Der gleichnamige Roman des Salzburger Autors und Kabarettisten Manfred Baumann bildet die Vorlage für das Drehbuch von Nikolaus Leytner (preisgekrönter Autor und Regisseur: „Ein halbes Leben“, „Ausgelöscht“), Stefan Hafner und Thomas Weingartner. Jenseits von platter Provinzialisierung erzählen die Autoren sehr unaufgeregt und facettenreich eine Geschichte über Schuld – früher und heute – und werfen gegenwartsbezogen und gesellschaftskritisch einen Blick auf die Bewohner der Region: Hier kaufen arabische Investoren Grundstücke und Häuser auf, die Einheimischen schauen zu und amüsieren sich bei der Fleischbeschau junger Mädchen, die man gerne als Misswahl bezeichnet.
Catalina Molina, argentinisch-österreichische Filmemacherin und ehemalige Schülerin von Michael Haneke, die bisher einige Kurzfilme („Unser Lied“) gedreht hat, gibt hier ihr TV-Film-Regiedebüt und wurde für ihre Arbeit 2016 mit dem „Fernsehbiber“ bei den Biberacher Filmfestspielen ausgezeichnet. Mit viel Gespür für die Landschaft nutzt sie die imposante Kulisse der weltbekannten Krimmler Wasserfälle, macht die Enge dieses Dorfes spürbar, legt die Beziehungen und Abhängigkeiten der Bewohner offen und schafft mit sprachlicher Unverwechselbarkeit eine klare regionale Verortung. Zentrale Figur der Geschichte ist Martin Merana, ein verkopfter und faktenverliebter Melancholiker, von Manuel Rubey mit einer Mischung aus kühler Abgeklärtheit und trockenem Schmäh wunderbar gespielt. Die Figur hat ihre Brüche, das macht sie reizvoll und auch sympathisch. Rubey, der seine Filmkarriere mit der Titelrolle in „Falco – Verdammt, wir leben noch!“ begann und seit Jahren aus vielen österreichischen Produktionen von „Echte Wiener“ über „Braunschlag“ bis „Altes Geld“ nicht wegzudenken ist, spielt hier erstmals einen Kommissar und sagt: „Ich kann mit der Figur viel anfangen, ich mag den gern.“ Und das spürt man über 90 Minuten. Harald Krassnitzer, im Wiener „Tatort“ der Gute, spielt hier genüsslich den fiesen, skrupellosen und moralbefreiten Bürgermeister Erlinger. Stefanie Reinsperger, Ex-Burgtheater-Ensemblemitglied, jetzt am Berliner Ensemble und 2017 „Buhlschaft“ in Salzburg, bedient nicht das übliche Klischee der Dorfpolizistin. Sie gibt ihrer Figur im Zusammenspiel mit Rubey eine ganz eigene Prägung.
„Olle gspian was, kana woas was“, sagt Merana. Am Ende aber ist es er selbst, der etwas spürt, aber nicht weiß was. Der Schluss hat es in sich, bringt eine Überraschung, aber die Macher finden eine pointierte Lösung. Trotz Krimiflut: Solche „Landkrimis“ dürfen ARD und ZDF gerne weiterhin importieren.