Dies ist fürwahr ein Ritter von der traurigen Gestalt. Die Einzelteile der Rüstung gehörten unverkennbar früher mal zu einem Auto, auf dem Kopf trägt er eine Schüssel, und das Medaillon mit dem Antlitz der hübschen Dulcinea ist in Wirklichkeit eine Dose mit Pfefferminzbonbons. Immerhin ist der Klepper echt, wenn auch weitgehend unkooperativ. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei diesem etwas würdelos ergrauten Herrn um Don Quichote de la Mancha, und für seine 500 Lebensjahre hat er sich ganz schön gut gehalten.
An die 20 Mal ist der berühmte Roman von Miguel de Cervantes schon verfilmt worden, doch Christian Zübert überträgt die Handlung virtuos in die Neuzeit. Dass Don Quichote anstelle der Windmühlen nun Windkrafträder bekämpft, die in seinen Augen zu Riesen werden, ist ein netter Gag, aber beinahe bloß Nebensache: Der Mann von La Mancha ist zwar Titelheld dieser hübschen Geschichte, aber nicht Hauptfigur. Genau genommen ist er sogar nur Mittel zum Zweck. Im Zentrum steht ein zwölfjähriger unglücklicher Junge. Vor zwei Jahren ist seine Mutter gestorben, und weil sein Vater ständig unterwegs ist, um irgendwo neue Windparks zu bauen, lebt Moritz bei seiner Tante. Die schickt den Jungen kurzerhand nach Spanien, wo Vater Michael so beschäftigt ist, dass er vergisst, seinen Sohn am Flughafen abzuholen. Also macht sich Moritz zu Fuß auf den Weg und begegnet prompt dem wunderlichen alten Kauz, der ihn unerschrocken vor einem bissigen Hund rettet. Weil Michael auch am Todestag seiner Frau, den Vater und Sohn gemeinsam am Meer verbringen wollten, was dazwischen kommt, haut Moritz ab und trifft erneut auf den Mann, der sich Don Quichote nennt. Gemeinsam wandern sie zum Meer, wo der Ritter die Riesen für immer besiegen will.
Geschickt spielt Zübert mit einem Motiv aus der Kinderliteratur; mit dem Unterschied, dass der „Unsichtbare Gefährte“ hier durchaus manifest ist. Aber auch Don Quichote hat letztlich allein die Aufgabe, dem Jungen zu helfen, sein Trauma zu bewältigen. Das gelingt ihm, als Moritz in einer bewegenden Szene die Welt – „ein magischer Ort!“ – durch die Augen des Ritters sieht und seine Botschaft versteht: „Ich bin, so lange ich kämpfe, und ich kämpfe, so lange ich bin“. Deshalb ermatten auch die Lebensgeister des alten Mannes schlagartig, als Michael dafür sorgt, dass er ins Krankenhaus kommt. Nun kann sich Moritz revanchieren.
Die Riesen mögen etwas ungelenk wirken, und das Ungeheuer, als das sich der Schrottplatzhund aus Sicht von Don Quichote darbietet, erinnert lebhaft an die Geschöpfe aus der Augsburger Puppenkiste. Aber darauf kommt es nicht an in diesem Film; die digitalen Effekte sind bloß Beiwerk und nie wichtiger als die Figuren. Gerade der von Regisseurin Sibylle Tafel ausgezeichnet geführte junge Johann Hillmann und Christoph Maria Herbst haben immer wieder wunderschöne Szenen, in denen Komik und Tragik sorgfältig ausbalanciert sind. Der Ritter ist ein schräger Vogel, aber Herbst lässt ihn nie seine Würde verlieren.
Etwas unnötig sind allein Moritz’ Erläuterungen aus dem Off, und anscheinend hat auch niemand gemerkt, dass dem Jungen auf dem Weg vom Flughafen zum Auto des Vaters der Koffer abhanden gekommen ist. Das macht aber nichts, weil er dafür Vicky getroffen hat, eine temperamentvolle junge Spanierin, die sich praktischerweise gerade von ihrem Freund trennt und Michael später hilft, den ausgerissenen Moritz zu suchen. Mag sein, dass Vicky etwas klischeehaft ausgefallen ist, aber für Michael gilt das nicht minder: Natürlich mündet ein Streit mit Moritz in eine Ohrfeige, weshalb sich der Junge dann auch aus dem Staub macht. Aber Vicky darf mit den Spaniern spanisch reden, wofür man richtig dankbar ist; schade nur, dass ihr herzhaftes Fluchen von den Untertiteln ignoriert wird.
Am schönsten ist jedoch Herbsts Interpretation des Ritters, der die Sprache der Liebe spricht und sich deshalb mit Moritz auf deutsch verständigen kann. Zübert hat seinem Helden einige wunderbare Momente geschrieben, aber Herbst erweckt sie erst zum Leben; etwa, wenn sich Don Quichote mit großer Geste zwei aneinander befestigte aufgeschnittene Limonadenflaschen vor die Augen hält, um sie als Fernglas zu benutzen. Noch schöner ist die Szene, in der er Moritz jenen Blick beibringt, der “nach Tod dürstet“ und mit dem er seine Feinde in die Flucht zu schlagen pflegt. Und dann verengen beide ihre Augen zu Schlitzen, pressen die Lippen aufeinander und schieben den Unterkiefer vor: komisch und gleichzeitig anrührend – wie der gesamte Film. (Text-Stand: 25.3.2008)