An diesen depperten Einheimischen ist offenbar nichts zu verdienen. Der neue Landarzt des beschaulichen Mariengrün muss sich etwas einfallen lassen gegen das leere Wartezimmer und die unverwüstliche Gesundheit in der bayerischen Provinz. „Der Mensch ist ein Keimträger“, weiß Doktor Knock und packt die Männer bei ihrem Geschlecht – mit freundlicher Unterstützung der liebeslustigen Kellnerin Marianne, die sich gern noch ein bisschen was nebenher verdient. Mit untrüglicher Menschenkenntnis und intriganter Energie hat er Mariengrün bald infiziert: ein Dorf voller Kranker – und er der Messias. Der falsch diagnostizierten Krankheit folgt die Wunderheilung und das bringt die Kasse des Herrn Doktor zum Klingeln. Sein geheimes Ziel ist der Bau eines lukrativen Sanatoriums. Allein Tierärztin Richardi gibt sich renitent. Doch Knock hat auf alles die passende Antwort, und er spielt am Ende auch noch seinen größten ärztlichen Trumpf aus.
Mit dem Sinn fürs Geschäftliche gelingt es einem Preußen, sich ein bayerisches Dorf untertan zu machen. Von der Medizin als Segnung der modernen Zivilisation bis hin zur Gesundheitswelle leistet der Doktor Überzeugungsarbeit bei den gutgläubigen Dörflern. Autor Günter Schütter lieferte 1997 mit „Doktor Knock“ seinen satirischen Beitrag zum Thema Gesundheitswesen. Beim genauen Hinsehen: ein Alptraum. Und so scheint hinter dem Lächeln von Gert Voss etwas Diabolisches auf. Milderung erfährt das böse Spiel gelegentlich durch den sexy-Kälbchenblick der jungen Veronica Ferres. Ein TV-Stück, bei dem die Titelfigur alles andere als einen Sympathen abgibt – wann sieht man heute so etwas noch im emotionalisierungssüchtigen und identifikationshörigen Fernsehfilm?! „Dominik Graf lässt Gert Voss diesen Dr. Knock spielen als einen, der mit scharfem, durchdringendem Blick die Umwelt beobachtet, in einer faszinierenden Mischung aus liebevoller Neugier, Verachtung und der unstillbaren Lust an der Macht, die Welt nach dem eigenen Bild zu prägen“, hieß es 1998 in der Grimme-Preis-Begründung. „Doktor Knock“ geht dramaturgisch nicht auf Nummer sicher. Knocks Blick ähnelt Grafs Blick. Da ist Distanz im Spiel. Die Intrige des Arztes wird nicht krimimäßig hochgejazzt, sondern komödiantisch geerdet. Auch das Bekenntnis zum Dialekt zeigt sich in einer sehr belebenden, heute unüblichen Weise: auch wenn nicht jeder alles verstehen mag, der Atmosphäre tut’s gut.
Bei Fernsehfilmen aus den 1990er Jahren fällt einem heute zumeist das fehlende Tempo auf. Vor allem Krimis wirken oft langatmig. Dagegen ist ein Film wie „Doktor Knock“ zeitlos. Die Komödie von Dominik Graf lebte damals und lebt heute von der bei aller vordergründigen Derbheit klugen Darstellung einer sozialen Gemeinschaft: eine nur scheinbar heile Welt wird von einem Egomanen heimgesucht, in seinen Grundfeste erschüttert und entlarvt. Das ist der Rahmen jenes Doktorspiels, das mit dem Heimatfilmgenre abrechnet. Der eigentliche „Inhalt“, das sind die komischen Szenen, die skurrilen Einfälle, die absurden Momente, die prallen, lustvoll inszenierten Bilder, in denen sich die Banalitäten des Lebens genauso spiegeln wie der Spaß am Erzählen und Filmemachen. Zu Beginn kommen die Protagonisten aus dem Dunkel der Nacht. Sophie Rois gibt wenig später die Lilo in einem wunderbar ausgespielten, krachledernen „Eins, zwei, drei“-Zitat. Benedict Neuenfels‘ Kamera bewegt sich in Max-Ophüls-Art, die Musi spielt dazu und als Zugabe gibt es Feifel & Ferres barfuß bis zum Hals.