Der hoffnungsvolle Jungpianist Luca wird am Abend seines bislang größten Triumphs von einem Auto angefahren. Seine Beine sind gelähmt. Der Rollstuhl wird ein Leben lang sein ständiger Begleiter sein. Seine Träume scheinen für immer ausgeträumt. Der junge Mann, dessen ganzer Lebensinhalt das Klavierspielen ist, verfällt in eine tiefe Depression. Ausgerechnet der Lauteste und Ungehobeltste in der Reha-Klinik, der dem Tod geweihte Roderick, wird dem introvertierten Schöngeist die Lust am Leben wiedergeben und ihm zeigen, wie man sich im Rollstuhl die Würde bewahrt.
Die in den USA geborene Sharon von Wietersheim hat in ihrer Heimat gelernt, wie man populäre Geschichten erzählt. Jede Story muss auf einen prägnanten Satz reduziert werden können, lautet die erste Regel für amerikanische Drehbuchschreiber. Für den Fernsehfilm „Die Zeit, die man Leben nennt“ könnte ein solcher Satz heißen: „Ein außergewöhnlich begabter junger Mann muss fast alles verlieren, um das Wichtigste im Leben zu finden: sich selbst.“ Das klingt nicht nur nach Melodram, der Film mit den aufstrebenden Jungstars Kostja Ullman („Das Wunder von Berlin“) und Hinnerk Schönemann („Dr. Psycho“) zieht tatsächlich auch alle Register in Sachen „Gefühlskino“. Hinter jeder Buch-Idee steckt Kalkül. Ausgangspunkt: das hochemotionale Thema Querschnittslähmung. Doch das reichte nicht. „Um meiner Hauptfigur noch mehr dem Schicksal ausliefern zu können, gab ich ihr noch eine sehr spezielle Begabung“, so von Wietersheim zum Moment der Fallhöhe. Da die Filmemacherin keinen, wie sie sagt, „deutschen Betroffenheitsfilm“ im Auge hatte, sondern vor allem das Unterhaltungsbedürfnis des Zuschauers, kreierte sie die Gegenfigur Roderick, den sarkastischen Rebellen, dem Blödeln das Überleben leichter macht.
„Die Zeit, die man Leben nennt“ ist ein Film, der auf Wirkung aus ist und dabei die Schraube in Richtung Kitsch gelegentlich überdreht. Da ist es gut, dass die Filmemacherin die Hauptrollen perfekt besetzt hat. Kostja Ullmann mag äußerlich dem Klischee des sensiblen Künstlertyps etwas zu genau zu entsprechen, dafür aber ist seine sinnliche Aura perfekt, um den Zuschauer auf eine Reise in eine Welt mitzunehmen, vor der viele Menschen für gewöhnlich die Augen verschließen. Dass der Film stets die Kurve kriegt und nicht in „Rollifahrer-sind-auch-Menschen“-Plattitüden verfällt – das liegt an Hinnerk Schönemann. Sein Roderick ist zwar eine Kopfgeburt, doch der Wahlberliner emanzipiert seine Figur gekonnt von ihrer Funktion und gibt ihr ein Eigenleben. „Die Zeit, die man Leben nennt“ ist ein Film, den man lieber auf einem der zahlreichen Unterhaltungs-Programmplätze sehen würde als ausgerechnet bei Arte und am Montag im ZDF. (Text-Stand: 17.3.2008)