Lothar, Mitte 50, von Beruf Strahlenschutzexperte, hat seit Jahren keinen Kontakt mehr zu seiner Tochter. Neuanfang, das hieß für ihn, das Gewesene vergessen. Jetzt ist das 14jährige Mädchen verschwunden. Lothar macht sich auf die Suche nach seiner Tochter. Je genauer er hinschaut, umso beunruhigender sind seine Beobachtungen. Jugendliche lungern in den Städten herum, andere rotten sich auf dem Land zusammen. Lothar wird von Halbwüchsigen beklaut und begegnet der zwölfjährigen Lou, die ebenfalls von Zuhause weggelaufen ist. Sie will sich den anderen Jugendlichen anschließen, die das öde Leben ihrer Eltern nicht länger mitmachen wollen. Doch es formieren sich Bürgerwehren, und auch die Polizei ist nicht untätig: allein laufende Kinder werden aufgegriffen. „Holt euch eure Kinder zurück!“, lautet die Devise der Erwachsenen. Derweil geht die Teenager-Wanderung weiter…
Foto: ZDF / Tom Akinleminu
„Die Vermissten“ ist ein kleiner Film über ein großes Thema: die Unzufriedenheit der Jugend mit der Politik ihrer Eltern. Filmdebütant Jan Speckenbach zeigt keinen Aufstand des Nachwuchses, seine Kids sind keine Rebellen. Jugendbewegung wirkt hier wie ein Automatismus, aus der Not geboren, ein (Herden-)Trieb, dem etwas Verzweifeltes anhaftet. Die Masse Teenager marschiert, doch der Film ist ein Appell an die Erwachsenen, spielt mit einem archaischen Angstbild, dem Verschwinden der Kinder. Erzählt wird aus der Perspektive eines Mittfünfzigers, dem langsam ein Licht aufgeht – auch was sein persönliches Scheitern betrifft. Dieser Mann sucht – geschützt durch Fenster oder seine natürliche Haltung der Distanz – nach Erklärungen für das Verschwinden der Tochter, für die Zustände der Gesellschaft. Dabei stößt er auf eine Community: Ratten der Lüfte. In dieser anonymisierten Welt, in der sicher nur der Zerfall aller Sicherheiten ist, wird es kein Happy End geben.
Viel Sinnhaftigkeit, wenig Sinnlichkeit. „Die Vermissten“ ist eine filmische Anti-Utopie, ist Ideenträger, geeignet zur Reflexion, zur lustvollen Rezeption weniger. In Ansätzen erinnert das an die radikalen Gesellschaftsanalysen eines Jean-Luc Godard („Week-end“). Doch eine echte Provokation ist der Film nur selten. Wie deckt man den Energiebedarf einer Gesellschaft? „Indem man alle tötet, die über 60 sind“, sagt ein Halbwüchsiger im Film. Solche Sprüche bleiben die Ausnahme. Auch bietet Speckenbach dem Zuschauerauge sehr viel weniger an als die Kampfzonen-Cinéasten der 68er. Fast nur einer einzigen Figur durch 80 sehr lange Filmminuten zu folgen, ist ein Härtetest auch für Arthaus-Liebhaber. Das reduzierte Konzept ist gewiss dem niedrigen Budget eines dffb-Abschlussfilms geschuldet. André M. Hennicke macht das Beste aus diesem kontemplativen und doch (mit Gedanken) überladenen Film, der etwas von einem Klagelied besitzt. Es regnet viel in Deutschland. Ein Mann blickt und denkt. Jugendliche setzen sich in Bewegung. Sehr viel mehr erzählt der Film an der Oberfläche nicht und doch hat man ständig den Eindruck, Botschaften präsentiert zu bekommen. „Die Vermissten“ ist ein unausgereifter, beklemmender Kunst-Film, dessen Bedeutung jenseits des Abspanns liegt und dem lebhafte Diskussionen zu wünschen sind. (Text-Stand: 1.6.2013)