Die Eskalation der häuslichen Gewalt
Das Blut muss nur so durch den Raum geschossen sein. Eine Frau hat ihren Mann auf brutalste Weise getötet – das Mordwerkzeug, eine Tranchiergabel, steckt noch in seinem Bauch. Da die Ehefrau ein Teilgeständnis abgelegt und darüber hinaus, den Tatort offenbar manipuliert hat, ist für die Staatsanwaltschaft der Fall klar. Zur Pflichtverteidigerin wird deshalb eine junge, unerfahrene Anwältin berufen – man geht davon aus, dass sie nicht viel zu tun bekommen wird. Die Angeklagte zeigt sich wenig kooperativ, steht lange Zeit unter Schock und beteuert: „Ich wollte ihn nicht umbringen; ich liebe ihn.“ Die Aussichtslosigkeit ihrer Lage veranlasst sie schließlich doch, sich ihrer Anwältin anzuvertrauen. Sie erzählt von den letzten acht Jahren, zunächst von den guten, den glücklichen Zeiten ihrer Ehe, dann von dem Martyrium, das ihr dieser so freundlich und sympathisch wirkende Mann bereitete. Schläge, Vergewaltigung, ständige Verbalattacken, ja sogar die Drohung eines erweiterten Suizids stand im Raum. Und auf der anderen Seite war ihre lähmende Angst und die Erinnerung, dass dieser Mann auch anders sein kann, und die Hoffnung, dass alles gut wird.
Foto: Sat 1 / Britta Krehl
Die tragische Psychologie des Ehekäfigs
Der Sat-1-Fernsehfilm „Die Ungehorsame“, an dessen Ende im Übrigen auf das Hilfe-Telefon für Frauen verwiesen wird (www.hilfetelefon.de), hat sich ganz dem Thema häusliche Gewalt verschrieben. Ausgangspunkt war eine Erfahrung aus dem privaten Umfeld von Produzent Ivo-Alexander Beck. Entsprechend spielt auch der Aspekt, dass die Außenwelt die Zeichen nicht erkennt, eine wichtige Rolle im Film. Die Risse der Fassade sind für andere nicht zu sehen – auch weil der Ehemann seine Frau systematisch isoliert und von ihrer Umwelt mehr und mehr entfremdet. Diese Frau, die ein Mal versucht, mit ihrem Sohn aus dem Ehekäfig zu fliehen, fehlt bald jegliche Energie zum Handeln. Der Film von Holger Haase („Da geht noch was“) nach dem Drehbuch von Michael Helfrich zeigt die systematische Entmündigung einer Frau. Die Psychologie dieser Macht-Ohnmacht-Interaktion wird plausibel, ohne dass der Film in einen pädagogischen Erklärmodus verfällt. Da ist der Aggressor, der seinen Drang, alles unter Kontrolle zu haben, anfangs in den schönen Momenten der Beziehung auslebt, bevor er sich von der Dompteursrolle zum heimischen Schlagdichtot entwickelt. Und da ist eine Ehefrau, die ihrem Mann nichts recht machen kann. Sie wird von ihm klein gemacht, ihr Selbstwertgefühl schrumpft – und bald glaubt sie selbst, alles falsch zu machen. Sie schämt sich ihrer „Inkompetenz“, sie schämt sich ihrer Opferrolle – und gerät so in eine Spirale der Schwäche. „Man hat das Gefühl, sich nicht mehr bewegen zu können“ beschreibt Felicitas Woll die psychische Verfassung ihrer Figur, die sich kurz vor ihrem „Befreiungsschlag“ fast selbst die Mitschuld an der Gewalt zu geben scheint.
Ein Ende mit Schrecken – einsam & verzweifelt
Der Film beginnt mit einer langsamen Kamerafahrt durch das geräumige stylishe Wohnzimmer des Ehepaars, bevor der Blick auf die Heldin fällt: verzweifelt und allein sitzt sie in ihrem sterilen, gläsernen Käfig, der wenig später visuell ähnlich eindrucksvoll durch eine Zelle in der U-Haft ersetzt wird. Dieses Bild konnotiert genau das, wovor diese Frau immer Angst hatte: vor der Einsamkeit. Deshalb hat sie, als sie noch weitgehend Herrin über sich und ihre Sinne war, diesen Mann, der ihr anfangs den Himmel zu Füßen legte, nicht verlassen. Sie hoffte, dass das Glück zurückkehrt. „Er hat sich selbst so dermaßen dafür gehasst, dass ich einfach sicher war, dass er es nie wieder macht“, sagt die Heldin kleinlaut ihrer Anwältin. Am Ende ist sie doch allein und ist – wenn auch in Notwehr – zur Mörderin geworden.
Foto: Sat 1 / Britta Krehl
Produzent Ivo-Alexander Beck über die Dramaturgie des Films:
„Wir wollten den Film wie kommunizierende Röhren erzählen. Am Anfang wirkt Felicitas Wolls Ehefrau im Prozess wie eine verschlossene Auster, dafür sehen wir sie in den Rückblicken ganz aufgeschlossen. In der Mitte wandelt sich das Bild, sie wird im Prozess und gegenüber der Anwältin immer offener, dafür aber in den Rückblenden immer isolierter.“
Die Gerichtsdramaturgie hilft beim Erklären & Verstehen
Aus dieser Situation heraus wirkt das anfangs unkooperative Verhalten der Angeklagten durchaus psychologisch stimmig. Die Umstände jener Nacht, in der die Situation eskaliert, werden aber unter anderem aus dramaturgischen Gründen erst am Ende des Films geklärt. Das ist gut für die Spannung. Dass es gleichzeitig den Konventionen des Gerichtsdramas entspricht, erweist sich letztlich als ein Mittel zum guten Endzweck. „Die Ungehorsame“ ist ein klassisches Drama, das sich allenfalls der Gerichtsaalsituation plus Anwaltsbefragung bedient. Der analytische Ansatz mit der den Fall rekonstruierenden Rückblendenerzählmethode besitzt viele Vorteile gegenüber beispielsweise einem realistischen Drama, das chronologisch aus dem Alltag des Ehepaars heraus erzählt wird, oder einer Ehetragödie, die unaufhaltsam auf das blutige Ende hinausläuft. Haben solche Erzählformate immer das Problem, Erklärmomente einzubauen, um dem Thema gerecht zu werden, erhebt die Gerichtsdramaturgie von vornherein das Erklärenwollen und Reden über die Ereignisse zum Prinzip.Weitere dramaturgische Vorteile einer solchen analytischen Narration sind neben der problemlosen Kommentierung des Geschehens die Dynamik, die sich durch die Sequenzwechsel und Zeitsprünge erzielen lässt, und die Möglichkeit, die emotionalen Wechselbäder der Geschichte kontrastreicher und damit wirkungsvoller zu erzählen. Durch die Montage, das Springen durch die Zeiten, kommt gleichzeitig aber auch mehr Distanz ins dramatische Spiel.
Foto: Sat 1 / Britta Krehl
Woll, Levshin, Mittermeier im Scope-Format
Das dramaturgische Konzept wird von der Praxis noch übertroffen. Felicitas Woll, die ihr Talent (auch in ernsten Rollen) zuletzt in den Nele-Neuhaus-Verfilmungen im ZDF als Möchtegern-Kommissarin vergeudete, überzeugt mit ihrer zurückhaltenden Darstellung, die so passend ist für diese Frau, der nach und nach ihre Identität genommen wird. Zu Beginn der Ehe ihrer Figur darf sie noch ihr unnachahmliches Lächeln zeigen; doch dann weicht mehr und mehr das Leben aus ihren Gesichtszügen und wird ersetzt durch Blutergüsse und Hämatome. Alina Levshin als weibliche, viel jüngere Kontrastfigur, die diese geschlagene Frau häufig nicht verstehen kann, ist wie immer sehr überzeugend. Das strenge, kantige Gesicht ihrer übereifrigen Anwältin ist auch optisch ein guter Kontrast zum (an)geschlagenen, aber offenen Gesicht der Angeklagten. Auch Marcus Mittermeier („München Mord“) als brutaler Haustyrann ist eine vorzügliche Besetzung: gerade noch war sein Ehemann die Verkörperung eines Glücksversprechens – und schon muss er brutal zuschlagen. „Diese Szenen zu drehen, war nicht einfach, weil es ja einerseits nach wirklicher Gewalt aussehen sollte, andererseits aber den Schauspielern nichts passieren darf“, erinnert sich der Schauspieler.
Mittermeier langt kräftig hin. Regisseur Haase und Kameramann Uwe Schäfer verfahren in den Gewalt-Szenen zugleich sehr umsichtig (schnell kann das Opfer ja auch noch durch den Kamerablick erniedrigt werden). Auch ohne sie bis ins Detail zu sehen, wird die ausgeübte Gewalt im Film physisch spürbar. Insgesamt besticht „Die Ungehorsame“ durch die nüchterne, auf das Spiel der Schauspieler und die Gefühlslagen der Charaktere konzentrierte Erzählweise. Die Musik ist extrem zurückgenommen. Das sonst nur kinoübliche Scope-Format sorgt immer wieder für auffällige Perspektiven und Einstellungen und findet für das narrative Gegensatzpaar Nähe und Distanz nachhaltige visuelle Entsprechungen. Fazit: das beste Sat-1-Movie 2014/15. Aber auch ein Höhepunkt im Genre Gegenwartsdrama, das sich mit den öffentlich-rechtlichen Top-Filmen durchaus messen kann. (Text-Stand: 28.2.2015)