Auf den ersten Blick haben der österreichische Kurort Bad Gastein und Venedig nicht viel miteinander gemeinsam. Beide zeichnen sich jedoch durch einen gewissen morbiden Charme aus, der vor allem mit Verfall zu tun hat: Venedig kann man beim Sterben förmlich zuschauen, und auch in Gastein, vor gut hundert Jahren als „Monte Carlo der Alpen“ gepriesen, ist der Glanz früherer Zeiten rund um den berühmten Wasserfall im Stadtzentrum schon lange verblasst. Imposante Bilder gibt’s hier quasi gratis, aber richtig interessant wird die Gegend als Filmschauplatz, wenn die Rahmenbedingungen auch Bestandteil der Handlung sind. In dem Auswärtsspiel „Im finsteren Tal“ aus der schleswig-holsteinischen ZDF-Reihe „Unter anderen Umständen“ (ausgestrahlt im März) ist das schon teilweise geschehen, doch in „Mordwasser“ rankt sich die gesamte Geschichte rund um die Gasteiner Besonderheiten.
Der Film ist die vierte Episode der von ZDF und ORF koproduzierten Reihe „Die Toten von Salzburg“, die bislang nicht unwesentlich von der Rivalität zwischen dem Salzburger Major Palfinger (Florian Teichtmeister) und dem Traunsteiner Hauptkommissar Mur (Michael Fitz) lebte; mit dem im Januar gezeigten letzten Film, „Königsmord“, drohte sich die Reihe gar in Richtung Schmunzelkrimi zu entwickeln. Davon kann bei „Mordwasser“ keine Rede sein. Da die Polizisten einander zuletzt fast wohl gesonnen waren, wirkt die notorisch schlechte Laune des Bayern diesmal sogar deplatziert und wie ein Vorwand für die Wortgefechte mit dem österreichischen Kollegen. Auch sonst leistet sich das Buch, das Regisseur Erhard Riedlsperger erneut mit Klaus Ortner geschrieben hat, einige ungewohnte Ungereimtheiten.
Dass „Mordwasser“ trotzdem sehenswert ist, liegt vor allem an der stimmigen Einbettung der Handlung in den Schauplatz: In einem Schacht mit heißem Heilwasser wird eine Leiche gefunden. Der junge Mann ist der Sohn des schwerkranken Investors Torbeck (Christian Redl), der vor geraumer Zeit zwar viele der imposanten Gebäude im Gasteiner Zentrum erworben, seither aber keinen Cent mehr investiert hat; eine ganz spezielle Form von Wohlstandsverwahrlosung. Weil Torbeck deutscher Staatsbürger ist und außerdem eine Einheit des Münchener SEKs, die sich zu Trainingszwecken in Bad Gastein aufhält, in den Fall verwickelt ist, muss Palfinger damit leben, dass Mur bei den Befragungen als „neutraler Beobachter“ dabei ist. Für den Bayern steht recht bald fest, dass Bordellbetreiber Dibra (Stipe Erceg) der Täter ist. Torbeck junior hatte hinter dem Rücken seines Vaters einen Deal mit Dibra eingefädelt, der dann jedoch geplatzt ist. Palfinger wiederum findet heraus, dass sich eine SEK-Beamtin (Sophie Pfennigstorf) den jungen Schnösel vorgeknöpft hat, als er die Caféhauswirtin Wenger (Sonja Romei) sexuell belästigte. Weil er keine Ruhe geben wollte, hat sie ihn kurzerhand mit Kabelbindern gefesselt und seinem Schicksal überlassen.
Reizvoller als diese Krimi-Typage ist ein zunächst eher beiläufig eingeführter Mann, der zur zentralen und schließlich auch tragischen Figur der Geschichte wird: Robert Kendelbacher (Johannes Krisch) leidet unter Muskeldystrophie und sitzt wie Palfinger im Rollstuhl; das verbindet die beiden Männer ebenso wie ihre Neigung, ihr Schicksal mit Sarkasmus zu nehmen. Kendelbacher ist eine Art Chronist des Kurorts und hat Teile des leerstehenden Grand Hotel de l’Europe in ein Museum umgewandelt; die entsprechenden Szenen sind tatsächlich in dem Prachtbau aus der Belle Epoque entstanden. Für Kendelbacher ist Torbeck, der seine Häuser verfallen lässt, der Zerstörer der Stadt. Es gibt allerdings noch etwas, dass ihn mit dem Investor verbindet; Riedlsperger belässt es zunächst bei einer Andeutung. Diese elliptische Erzählweise ist so etwas wie ein Merkmal des Films, sie hat aber auch zur Folge, dass die ohnehin betont kompliziert erzählte Geschichte mitunter bemüht rätselhaft anmutet.
Neben einigen darstellerischen Schwächen bei den Nebenrollen gibt es Handlungselemente, die schlicht überflüssig sind, etwa eine sinnfreie Verfolgungsjagd zwischen Mur und Dibra. Zu durchsichtig ist auch der Versuch, die Rolle von Fanny Krausz aufzuwerten. Palfingers junge Kollegin Russmeyer stammt aus der Gegend und wird mit den Erinnerungen an den vermeintlichen Unfalltod ihres Vaters konfrontiert. Riedlsperger integriert diese Ebene auf eine Weise, die vermuten lässt, dass der viele Jahre zurückliegende Unfall irgendwas mit den aktuellen Ermittlungen zu tun haben könnte, aber dieser Schachzug entpuppt sich als Finte. Trotzdem ist es schön, dass Krausz, sonst meist bloß als Palfingers Laufmädchen eingesetzt, mehr Spielmaterial bekommen hat. Auch der Major kriegt seinen Exkurs, aber der hat immerhin mit dem Fall zu tun: Weil er sich nicht traut, in seiner Beziehung zu Ärztin Angela (Anna Unterberger) den nächsten Schritt zu tun, knüpft Kendelbacher den Kontakt zu einer „Berührerin“. Als Palfinger die Frau anruft, erlebt er eine echte Überraschung.
Wie bei allen Bad-Gastein-Filmen liegt ein besonderer Reiz in der Bildgestaltung. Natürlich hat Riedlsperger dafür gesorgt, dass Kameramann Kai Longolius den Ort samt Wasserfall sowie die Umgebung für allerlei schöne Aufnahmen nutzt. Optisch viel faszinierender ist jedoch das von Longolius in ein bedrohliches schwefelgelbes Licht getauchte Finale im Heilstollen. Für weitere Akzente sorgen Drehbuchideen wie ein erotischer Traum Palfingers, in dem die nackte Angela ihn in ein Schwimmbecken lockt, während aus einem Lautsprecher eine Warnung ertönt: „Das Gehen auf dem Wasser ist verboten!“ Den von der Landtags-Präsidentin für unantastbar erklärten alten Torbeck wiederum zeigt Riedlsperger bevorzugt vor den Monitoren seiner Überwachungskameras, was prompt Assoziationen zu Fritz Langs Klassiker „Die 1000 Augen des Dr. Mabuse“ (1960) weckt. All’ das trägt dazu bei, dass „Mordwasser“ im Gegensatz zu „Königsmord“ kein bisschen komisch ist. Selbst Palfingers Chef Seywald (Erwin Steinhauer), der sich in den bisherigen Filmen gern auch mal lächerlich gemacht hat, hat nur eine witzige Szene, als er einen jungen Polizisten anraunzt: „Wenn Sie das Wort ‚Hofrat’ nicht über die Lippen bringen, sagen Sie doch gleich Alfons zu mir.“ Die vergleichsweise humorlose Stimmung des Films passt ohnehin besser zum düsteren Reihen-Vorspann, in dem sich eine Krähe wie ein Unheilsbote zum Flug über Salzburg aufschwingt.