Ein Konzert mit ihrem Mädchenchor führt Johanna Bischoff seit längerem einmal wieder in ihre Heimatstadt Hameln. Frisch verliebt in ihren jungen Organisten, ist die jahrelang psychisch angeschlagene Frau endlich wieder guter Dinge. Doch kaum angekommen in der vom Mythos umgebenen Stadt befallen sie furchtbare Tagträume. Ein Toter erscheint ihr. Hat sie als Kind etwas gesehen, was sie nicht hätte sehen sollen? Geht ihre Phantasie mal wieder mit ihr durch? Oder leidet sie unter einer dauerhaften psychischen Erkrankung? Ihr Ex-Bräutigam und ihre Tante wissen offenbar mehr über Johanna, als sie selbst wahrhaben möchte. Als bei einer Wanderung auf den Spuren des sagenhaften Rattenfängers vier Mädchen und Johannas frisch gebackener Liebhaber verschwinden, brechen bei der jungen Frau alte Ängste und verdrängte Traumata wieder auf. Sie spürt, dass ihre Tante und ihr Vater, einst Bürgermeister im Ort, etwas vor ihr verheimlichen. Aber auch reale Ängste plagen die ehemalige Sängerin, der seelische Krisen einst die Stimme verschlugen: durch die Verletzung ihrer Aufsichtspflicht könnte sie ihren Job verlieren. Und schlimmer noch: Würde den Vermissten etwas zustoßen, würde sie ihres Lebens wohl nicht mehr froh…
„Beim Anblick des Berg Ith fragt man sich zwangsläufig, ob die Rattenfänger-Sage ein Märchen ist – oder ob hier tatsächlich die 130 Kinder der Stadt Hameln verschwunden sind. Und ob deren Gebeine vielleicht heute noch im Berg zu finden sind. Aus dieser beklemmenden Frage entwickelten wir die Idee für ‚Die Toten von Hameln’.“ (Drehbuchautorin Annette Hess)
Gesichte bedrängen eine Frau, eine Jungfrau schwärmt und möchte ihre Unschuld verlieren, vier Backfische versuchen sich an einem Mythos. Diese magische Höhle, dieses schwarze Loch in der Felswand, wohin wird es sie führen? Autorin Annette Hess („Weißensee“) und ihre theatererfahrene Schwester Christiane Hess haben für „Die Toten von Hameln“ tief in die Motiv- und Mythen-Kiste gegriffen. Da ist das Drama einer traumatisierten Frau. Da ist der Berg, der ruft und vielleicht zurückschlägt, auf jeden Fall aber die Mädchen verschüttet und eine Rettungsaktion in Gang setzt. Da sind die jahrhundertealte, die entfernte und die nähere Vergangenheit, die mythologisch, politisch & familiär ihre Spuren in die Gegenwart hinein trägt. Da ist ein Polizist, der lange nichts zu Ermitteln hat. Auch filmisch werden die Genres durchgemischt: Familiendrama, Krimi, Mystery, Märchen. Zu Beginn weht sogar ein Hauch von Peter Weirs Filmrätsel-Klassiker „Picknick am Valentinstag“ durch die Fabel-Landschaft.
Mag diese Mixtur aus Mythos und Wirklichkeit noch so gewagt erscheinen, mögen mit den grundverschiedenen Genres auch die diversen Motive und Handlungsstränge (psycho)logisch nicht immer kompatibel sein – so nimmt die Erzählung einen doch von Beginn an gefangen. Die Autorinnen vermengen viel, aber sie türmen nicht blind aufeinander, sondern schichten die Motive achtsam nebeneinander. So bleibt man als Zuschauer weitgehend Herr seiner eigenen Sinne, fühlt sich nicht ständig manipuliert und auch retrospektiv ist man weniger verärgert als bei so manchem anderen jener ZDF-Familiengeheimniskrämereien. Vielleicht liegt es aber auch nur an den Gesichtern. Einer Julia Koschitz, einem Bjarne Mädel, einem Matthias Habich und einer Ruth Reinecke folgt man nun mal lieber auf eine modern mystische, von Intuition und Erinnerungsbildern angetriebene Reise in die teutsche Vergangenheit als anderen. Und auch filmästhetisch wissen Christian von Castelberg und Kamerafrau Eeva Fleig („Es ist nicht vorbei“) durch die Geschichte eine geheimnisvolle Spur zu legen. (Text-Stand: 25.4.2014)