Es ist zwar schade um den Schauplatz und die Figuren, aber „Blutritt“ verdeutlicht, was schon seit einigen Filmen zu erkennen war: Die Reihe „Die Toten vom Bodensee“ ist nichts Besonderes mehr. Die Figuren sind auserzählt und verharren auf der Stelle, eine Entwicklung ist nicht mehr erkennbar. Timo Berndt, der seit der dritten Episode alle Drehbücher geschrieben hat, bemüht sich zwar, den Fällen eine gewisse Originalität zu verleihen, aber die Inszenierung durch Michael Schneider – „Blutritt“ ist sein vierter Film in Folge für die Reihe – bewegt sich auf allenfalls durchschnittlichem TV-Krimi-Niveau. Die Umsetzung sorgt weder vorder- noch hintergründig für Spannung, die Führung der Schauspieler ist nicht immer gelungen, weil ihre zur Schau gestellten Emotionen wie abgerufen wirken, und der Schnitt soll eine Dynamik suggerieren, die das Geschehen vor der Kamera nicht hergibt. Die stets hochklassige Musik von Chris Bremus ist mittlerweile deutlich besser als die Filme.
Schade ist es vor allem um den Rahmen der elften Geschichte, aber der titelgebende Blutritt spielt ohnehin nur zu Beginn eine Rolle. Für Schneider und sein Team wäre es zwar eine enorme logistische Herausforderung gewesen, längere Szenen während der alljährlich stattfindenden Reiterprozession im oberschwäbischen Weingarten zu drehen, aber der Aufwand hätte sich dank spektakulärer Bilder garantiert gelohnt. So jedoch verweilt Marlene Stöhr nur kurz am Rand des Umzugs, dann reitet sie zum See, wo sie aus dem Hinterhalt vom Bolzen einer Armbrust getroffen wird. Der Anschlag ist der Auftakt zu einem Krimi, in dessen Handlung Berndt allerlei Versatzstücke miteinander vermengt. Weil die Erzählebenen jedoch nicht vertieft werden und sich der Film auch nicht für seine Figuren zu interessieren scheint, bleiben sie oberflächlich und klischeehaft. Das gilt vor allem für eine (fiktive) sektenähnliche christliche Gemeinschaft namens Constantiensis, deren Mitglieder als rückständige Sonderlinge beschrieben werden; aus irgendeinem Grund tun sich Fernsehfilme grundsätzlich schwer damit, Gläubige als ganz normale Menschen zu zeigen. Marlene, der der Mörder später im Spital endgültig den Rest gibt, war Mitglied dieser Gemeinschaft. Nach einem Seitensprung, den sie begangen hat, muss ihr Mann Adrian (Peter Knaack) Sühne leisten. Berndt und Schneider lassen keinen Zweifel daran, dass sie den Gatten als Hauptverdächtigen präsentieren wollen, zumal das Mordwerkzeug aus dem Constantiensis-Fundus stammt.
Spektakuläre Kulisse für die ersten Szenen des Films war der traditionelle Blutritt im oberschwäbischen Weingarten. Die dortige Abtei bewahrt seit über 950 Jahren eine Reliquie auf, die angeblich einige Blutstropfen Christi enthält. Am sogenannten Blutfreitag (dem Tag nach Christi Himmelfahrt) trägt der Heilig-Blut-Reiter das Reliquiar durch Weingarten und das Umland. Dabei wird er von zwei- bis dreitausend Reitern in Frack und Zylinder und mehr als hundert Musikkapellen begleitet; der Blutritt gilt als größte Reiterprozession Europas.
Wichtiger für die Handlung ist allerdings Sohn Oliver (Marlon Boess). Er steht gemeinsam mit seinem gleichaltrigen früheren Freund Ferdinand Etlinger (Rafael Gareisen) für ein doppeltes Familiendrama, bei dem sich die Handlung jedoch etwas verzettelt. Vom Ende her betrachtet ist die Sache einfach, aber das Drehbuch erzählt die Geschichte unnötig kompliziert. Neben Ferdinands Trinker-Vater (Falk Rockstroh) wirkt außerdem noch Pferdebesitzerin Daria (Jule Ronstedt) mit, die sich außerdem als Marlenes Geliebte entpuppt. Das macht sie zur Mordverdächtigen Nummer zwei: Sie wollte nicht akzeptieren, dass Marlene die Beziehung beendet hat. Bei einem Brand auf dem Vorarlberger Gestüt der Etlingers ist vor einigen Jahren nicht nur Ferdinands Mutter, sondern auch Darias wertvolles Rennpferd umgekommen.
Mit dem Mord haben diese Dinge letztlich jedoch ebenso wenig zu tun wie die private Ebene des deutsch-österreichischen Ermittlerduos. Zeiler (Nora Waldstätten) und Oberländer (Matthias Koeberlin) wirken ohnehin bloß noch wie Zitate ihrer selbst. War die sich über viele Episoden hinziehende familiäre Vorgeschichte der Kriminalinspektorin mitunter spannender als die eigentlichen Fälle, so wirkt die durch ein Kindheitstrauma verursachte Menschen-Skepsis der Polizistin und ihre daraus resultierende Sphinxhaftigkeit mittlerweile bloß noch aufgesetzt. Die Szenen mit ihrem Verehrer (Christopher Schärf) aus der Nachbarschaft sind zwar leidlich amüsant und von Schneiders Kameramann Matthias Pötsch in ein heimeliges Licht getaucht, sind aber bloß ein pflichtgemäßes Nebengeplänkel. Derweil konkurriert ihr Kollege mit dem Lebensgefährten seiner verstorbenen Ex-Frau um die Gunst der Tochter.
Tatsächlich sehenswert ist „Blutritt“ im Grunde allenfalls wegen der ausgesprochen trocken vorgetragenen witzigen Dialoge von Hary Prinz als Drittem im Ermittlerbund. Der Bodensee und die landschaftliche Vielfalt der Region, gerade in den vier Episoden von Hannu Salonen (2017/18) ein wichtiges Element der Reihe, dienen mittlerweile nur noch als gelegentlicher Blickfang. Das ZDF wird sich von der Kritik allerdings nicht beeindrucken lassen. Es gehört zur bedauernswerten öffentlich-rechtlichen Realität, dass das „Zweite“ eine außergewöhnliche Reihe wie „Schwarzach 23“ nach nur vier Filmen einstellt, aber eine Fortsetzung von „Die Toten im Bodensee“ außer Frage steht, solange die Quote stimmt. (Text-Stand: 17.8.2020)