Nach dem Tod ihrer Mutter möchte Josefine ihrer Herkunft auf den Grund gehen. Sie weiß bis heute nicht, wer ihr Vater ist. Mit ihrer Mutter hat sie nie viel geredet über früher. Sie quartiert sich ein in der verlassenen Molkerei, in der ihre Mutter vor über drei Jahrzehnten gearbeitet hat. Für die angehende Künstlerin ein idealer Ort. Aber auch für eine allein lebende Frau? Gerade wieder ist eine verschwunden. Wie vor Jahren die Tochter von Angelika, einer befreundeten Arbeitskollegin von Josefines Mutter, die sich der jungen Frau aus München seltsam feindselig gegenüber verhält. Angelikas Tochter ist nie wieder aufgetaucht. „Passen’s auf sich auf“, rät die Frau vom Dorfladen. Auf Simon, den verheirateten Freund von Josefine, ist kein Verlass, deshalb ist sie froh, dass nebenan in der Molkerei der alte Willy Kamrad wohnt. Auch er einer aus der Clique von damals. Ein Sonderling, schrullig, ein bisschen schräg, aber freundlich. Er geht mit ihr aufs Dorffest, er zeigt ihr den alten Partykeller, er lässt sich von ihr malen und er rettet ihr – als sie im naheliegenden Moor zu versinken droht – sogar das Leben. Dennoch fühlt sich Josefine zunehmend unwohl in der Abgeschiedenheit. Überall draußen diese unheimlichen Geräusche, das Knarzen des Holzes oder das abgezogene Wild von Hobbyjäger Kamrad – sowas ist nichts für die Großstädterin.
„Die Tote im Moorwald“ ist kein gewöhnlicher Thriller. Auch wenn in den ersten Minuten allzu deutlich das Etikett „Achtung, Geheimnis!“ an den Situationen und Bildern zu kleben scheint, so beruhigt sich doch bald die Handlung, in deren Verlauf man als Zuschauer zunehmend gebannter der Hauptfigur folgt. Diese, von Maria Simon eindringlich gespielte Josefine ist die Fremde, die beobachtet, die erkundet, die sich ihren Reim macht – natürlich auch auf den kauzigen Nachbarn. Schließlich sucht die Heldin ihren Vater. Und mit diesem Kamrad versteht sie sich ausgesprochen gut. Der hat etwas Eigenwilliges, etwas Wildes in seiner Art. Während sie ihn porträtieren soll, reißt er sich die Kleider vom Leib – also wird’s ein Akt. Sie hilft ihm beim Holzstapeln, er kocht für sie, sie tanzen. Eine seltsame, fast erotische Spannung liegt in der Luft, wenn dieser charismatische Zausel, großartig vielschichtig und mehrgesichtig gespielt von Franz Xaver Kroetz, mit dieser jungen, so offenen, spontanen Frau in einem Raum sind. „Mein Gott, sind Sie schön“, rutscht es dem Alten dann schon mal raus. Oder er ergeht sich in Altmännerphantasien: „Damals hatten die Frauen weite Röcke an, die musste man nur hochschieben, da war man an der Quelle – diese warmen, weichen Schenkel…“ Diesem Mann kann die Heldin nicht böse sein.
Foto: ZDF / Christian Hartmann
Der Fernsehfilm von Hans Horn („Tod aus der Tiefe“) nach dem Drehbuch von Annika Tepelmann trägt in vielen Szenen kammerspielartige Züge. Zwei Personen in einem Raum – da wird jede Nuance bedeutsam. Die Geschichte türmt nicht übermäßig viel Plot auf – wichtiger sind die Zeichen, mit denen die Ängste der Hauptfigur geschürt werden. Die Handlung bleibt ganz bei ihr und es ist ihre Perspektive inklusive gelegentlicher Wahrnehmungsstörungen, die der Zuschauer einnimmt. Die Kamera zum Komplizen jener Urangst, von der der auch der Zuschauer ergriffen wird. Durch eine einzige, fast beiläufige Wendung wird die Heldin im letzten Drittel des Films dann plötzlich vom Drama wieder in den Thriller zurückgeschleudert. Der Zuschauer ist ganz bei ihr. Die Spannung steigt. Die Atmosphäre, miterzeugt von einer modernen, abwechslungsreichen Bildsprache, die jeden Effekten zu nutzen weiß, verdichtet sich. Die Urangst wird zum Greifen nah. Fazit: „Die Tote im Moorwald“ emanzipiert sich mit zwei starken Charakteren, zwei superben Schauspielern und einer fein akzentuierten Dramaturgie vom simplen Thriller und TV-Movie-Schocker. (Text-Stand: 11.10.2012)