Berlin ist laut Polizeistatistik die Hauptstadt der Gewalt in Deutschland. 600.000 Straftaten jährlich werden registriert, alle 53 Minuten ein Raubüberfall, alle 18 Stunden eine Vergewaltigung, alle 32 Stunden ein Tötungsdelikt. Kein Wunder, dass Pro Sieben für seine einzige Krimi-Reihe als Schauplatz die Vier-Millionen-Stadt auserkoren hat. „Berlin ist nun mal Dreh- und Angelpunkt des Organisierten Verbrechens“, heißt es beim Sender – und somit ist die Stadt prädestiniert für ein Action-Spektakel, wie es dem Kommerzkanal aus München mit der zweiten Staffel der „Straßen von Berlin“ vorschwebt.
Setzte Pro Sieben bei den ersten Folgen vor allem auf die populären Darsteller Uwe Ochsenknecht, Jennifer Nitsch, Peter Lohmeyer und Hannes Jaenicke, bat man nun, den Sehgewohnheiten der Pro-Sieben-Klientel folgend, verstärkt auf Special Effects, Explosionen und Feuersbrünste, Verfolgungsjagden und Karambolagen. Und so geht es gleich zur Sache in der ersten Folge. Ein selbst ernannter Führer sitzt nach einem Bombenattentat auf einen jüdischen Historiker hinter Gittern. Doch seine rechtsradikalen Gesinnungsgenossen machen weiter: Sie drohen mit Vergeltungsschlägen – und wollen das SOKO-Team ausschalten.
Inhaltsangabe von „Babuschka“ (Episode 1):
Irene Starnow ist eine schlagfertige Frau und eine knallharte Staatsanwältin (Jennifer Nitsch). Und diese Fähigkeiten braucht sie auch in Berlin, wenn sie das Verbrechen erfolgreich bekämpfen will. Starnow geht dabei auch unkonventionelle Wege, wenn es ihrem Ziel dient. So verzögert sie mit ihren Mitarbeitern die Verhaftung des Goldschmugglers Matynkin, der mit seinen Hintermännern offensichtlich noch in ein anderes, spektakuläres Verbrechen verwickelt ist.
Thematisch ein knalliger Auftakt, aber auch optisch eine Wucht. „Die Bilder müssen Spaß machen“, betont der Pro-Sieben-Serienchef Christian Zertz. „Unsere Devise heißt: Zeigen statt Reden.“ Viele US-Serien machen es vor. Spannend ist aber auch die Geschichte, extrem wirkungsvoll die Dramaturgie – und die Polizeitruppe, die sich rasch in die Herzen der jüngeren Zuschauer spielen dürfte, ist ein äußerst cleverer Typen-Mix. Ingo Naujoks darf als Neuer so richtig auf den Putz hauen. Guntbert Warns tritt zunehmend aus dem Schatten seiner Vorgänger: „Mit dem Mosch bin ich in der Zwischenzeit richtig zusammengewachsen“, sagt der Wahlberliner selbst. Und Martin Semmelrogge ist einfach glaubwürdig als cooler Bomben-Entschärfer, immer berlinernd und einen markigen Macho-Spruch auf den Lippen.
Die hartgesottenen, gerne coole Sprüche klopfenden Fahnder ermitteln nach wie vor wegen Waffenschmuggels, Menschenhandels, Bandenkriegen und Drogendelikten.
Ebenso markant wie der Dialog ist das Design der Reihe. Die postmoderne Ästhetik lässt grüßen. Die erste Staffel erreichte rund 3,5 Millionen Zuschauer pro Folge. Bei den neuen, aufwendig produzierten sechs 90-Minütern würde man gern noch ein paar Zuschauer dazu gewinnen. Die Werbekampagne jedenfalls zieht alle Register. Als Action-Krimi und realistisches Genre zugleich will man „Die Straßen von Berlin“ beim Zuschauer unter 50 (Marktanteil: 16 Prozent) etablieren. Nach „Wolffs Revier“, „Rosa Roth“, „Sperling“ und „Die Kids von Berlin“ wird eines deutlich: Berlin ist eine Krimi-Reihe wert. (Text-Stand: 1998)