Der Film beginnt in schwarzweiß. Schon dieser Auftakt dürfte das Publikum in zwei Lager spalten: in diejenigen, die mit dem monochromen Fernsehbild aufgewachsen sind und es also insgeheim immer noch für das „eigentliche“ Fernsehen halten. Und die jüngeren Jahrgänge der Fernbedienungsgenerationen, die ihre Kindheit mit den Seifenblasen von „Spiel ohne Grenzen“ verbrachten und nun die Vintage-Serie „Mad Men“ für das bessere Fernsehen halten.
Für diese Zielgruppe hat Regisseur Roland Suso Richter die Gründungsredakteure des Hamburger Nachrichtenmagazins als supercoole und Don Draper-mäßig chauvinistische Typen inszeniert, die während der Bürozeit Kette rauchen, Cognac saufen und ihren Sekretärinnen im Vorübergehen auf den süßen Popo hauen. Und womöglich ging es ja im Pressehaus Speersort 1, wo „Der Spiegel“ von 1952 bis 1969 seinen Sitz hatte, Anfang der sechziger Jahre ja wirklich so zu. Die Schwarzweißzuschauer werden es einzuschätzen wissen. So, wie sie auch noch die legendäre „Spiegel Affäre“ vor Augen haben werden, die der gleichnamige Fernsehfilm ihnen nun mehr als 50 Jahre später mit den zeitgenössischen Mitteln des Historienfilms – also doch in Farbe! – noch einmal ins Gedächtnis ruft: Nach dem kurzen s/w-Teaser, der die Durchsuchung der Hamburger Redaktionsräume am 26. Oktober 1962 wie ein historisches Fernsehbild nachinszeniert, holt das Drehbuch von Autor Johannes Betz erst einmal weiter aus und erinnert – liebevoll ausgestattet – an einen historisch verbürgten Herrenabend in der Hamburger Villa Augstein im März 1957. Die Redaktionsspitze des „Spiegel“ interessiert sich für den neuen Verteidigungsminister aus München. Aber trotz bester Vorbereitungen (sogar das richtige Münchner Bier und die Lieblinsspeisen des CDU-Hoffnungsträgers haben sie recherchiert) entgleitet der Herrenabend in einer Politdebatte, die Franz-Josef Strauß mit den Worten „Wann’s so reden wollt, ladet’s euch Zuhälter oder Ganoven ein, aber nicht einen Minister der Bundesregierung“ abrupt beendet haben soll. Fortan hat Herausgeber Rudolf Augstein den Münchner auf dem Kieker wie kein anderer, auf keinen Fall will er zulassen, dass Strauß eines Tages Kanzler wird.
Die Spiegel-Affäre, die zum Gründungsmythos der (presse)freien Bundesrepublik wurde, begann mit zweifelhaftem „Kampagnen-Journalismus“. Das zeigt der Film dankenswerterweise ohne Beschönigungen. Am Speersort werden nun emsig kleine und große Affären zusammengetragen, oft auf persönliches Geheiß Augsteins und gegen den fachlichen Rat seiner Redakteure. Schließlich schreibt Conny Ahlers nach vier Jahren Vorarbeit den zunächst wenig beachteten, dann aber Epoche machenden Leitartikel „Bedingt abwehrbereit“. Der Text über den Zustande Bundeswehr innerhalb des Natoverbundes argumentiert mit großer Fachkenntnis, enthält aber auch geheime Informationen, die den Tatbestand des „Landesverrates“ erfüllen. Der von Augstein persönlich gekränkte Strauß holt zum Gegenschlag aus und schaltet die Staatsanwaltschaft ein. Der Rest ist Pressegeschichte.
Viele der wichtigen Figuren dieser historischen Auseinandersetzung, die schon Zeitgenossen versimpelten, um sie griffiger zu machen, sind mit populären Schauspielern besetzt: Francis Fulton-Smith futterte sich eigens eine bajuwarische Wampe an, um dem historischen Strauß mehr zu ähneln. Der smarte David Rott spielt den smarten Conny Ahlers, Max Hopp, Franz Dinda und Johann von Bülow bilden die „Spiegel“-Verlagstruppe, Henning Baum wird als Bundeswehroberst zum Tippgeber, Alexander Held als Staatsanwalt Buback zum Ermittler mit demokratischen Selbstzweifeln. Andre´ Hennicke kommt schließlich in der wenig pathetischen Inszenierung die Aufgabe zu, als Rechtsanwalt des Magazins und Bruder des Herausgebers als erster „Pressefreiheit!“ zu rufen. Sie alle, die hier aus ihren historischen Vorbildern wirklich lebendige, glaubwürdige Menschen machen, umstellen die zentrale Person Augstein mit lässigen Gesten und coolen Sprüchen – so als müssten sie ihren Schauspielkollegen Sebastian Rudolf ein wenig davor beschützten, an seiner schier unlösbaren Aufgabe zu scheitern: aus dem selbstherrlichen Zyniker Augstein einen sympathischen TV-Helden zu machen.
Selbst wenn es Autor Johannes Betz im Presseheft beschwört: Rufolf Augstein ist dann doch nicht Don Draper und „Die Spiegel-Affäre“ nicht „Mad Men“. Und auch Roland Suso Richter wird seinen eigenen Anspruch nicht so souverän gerecht wie seinerzeit in „Mogadischu“. Richters Ziel, „historische Stoffe so zu erzählen, dass der Zuschauer mit Leichtigkeit in die Welt der Protagonisten eintauchen kann, ohne von der erdrückenden Last historischer Sets, historischer Fahrzeuge und historischer Requisiten erschlagen zu werden“, verfehlt seine Inszenierung von „Spiegel Affäre“ auch deshalb, weil der „Spiegel“ die spröde hanseatische Selbstinszenierung schon so oft und so ausführlich selbst in die Hand genommen hat, dass man eben nicht so einfach daneben eine weitere stilistische Auffassung stellen kann. Und so geschieht etwas Verblüffendes: So überzeugend wie Fulton-Smith seinen Strauß spielt, vermag er tatsächlich beim Publikum so etwas wie Mitleid zu erzeugen. Dieses Sentiment steht freilich quer zu allem, wofür die „Spiegel-Affäre“ im allgemeinen Bewusstein steht.
Die „Spiegel-Affäre“, so wie sie in diesem Film rekapituliert ist, muss entsprechend für viel herhalten: als Mythos der jungen Bundesrepublik, als Husarenstück einer jungen Redaktion, als „Rock’n’Roll“ einer Zeit, in der die Revoluzzer noch Schlips und Kragen trugen. Für diejenigen, die mit ihrem Schwarzweißfernseher groß geworden sind, ist dieser Film eine großartig inszenierte, souverän gespielte, allemal gelungene Selbstvergewisserung mit ein paar neuen Einsichten. Für die nachwachsenden Jahrgänge, die sich ja derzeit mit strukturell ganz ähnlichen Fragen herumschlagen müssen, ist diese Form des Erinnerungs-TV aber wenig anschlussfähig: Um von Rudolf Augstein zu Edward Snowdon zu kommen, bei der Durchsuchung des britischen „Guardian“ an die „Spiegel Affäre“ zu denken, muss man angesichts des teakholzfarbenen Retro-„Mad Men“-Looks schon eigene Gedankenbrücken zimmern. Einmal mehr stellt sich die Frage, warum hier nicht einfach dem Dokudrama vertraut wurde, das ja Ereignis und Einordnung viel besser in Bezug zueinander bringen kann?
So freilich ist „Die Spiegel Affäre“ zunächst einmal ein dramaturgisch und stilistisch sehr hochwertiges, aber letztlich doch ein sentimentales Angebot an die Schwarzweiß-Generation, für jene also, für die ARD immer noch das ERSTE ist. (Text-Stand: 11.4.2014)