Zwei Tage vor Heiligabend sieht es bei den Rigis nicht gerade nach einer schönen Bescherung aus, schon gar nicht nach der „schönsten“. Die Eltern leben seit einiger Zeit in Trennung. Mama Leonie (Anna Unterberger) hat einen Neuen, den Studenten Jesper (Joshua Hupfauer), der sie in ihrer Werkstatt für Kunstgewerbliches unterstützt, und Papa Kian (Reza Brojerdi) wird nach den Feiertagen endgültig ausziehen. Noch einmal wollen sie gemeinsam mit ihren zwei Kindern Weihnachten verbringen. Die Teenagertochter Sima (Padmé Hamdemir) findet dieses „gemeinsam als Familie“ verlogen, während der kleine Elyas (Elliott Woodruff) schwer unter der Trennung leidet; zwar zeigt er dies den Eltern gegenüber nur selten, seiner Oma Britta (Jutta Speidel) aber hat er sich anvertraut und um Hilfe gebeten. Und so stehen sie und ihr Göttergatte Navid (Ramin Yazdani) ohne Vorankündigung auf der Matte zur kleinen Erfurter Altbauwohnung – mit der Lüge vom Zimmerbrand, mit Festtagsessen und einigen guten Ratschlägen, die vor allem Leonie nicht allzu hilfreich findet. Der Haussegen hängt also erst mal schiefer als zuvor. Erst als Elyas vermeintlich ausgerissen ist, sich das ohnehin um Frieden bemühte Noch-Ehepaar über ein paar wunde Punkte ihrer Beziehung ausspricht und als plötzlich ein Findelkind vor der Haustür der Rigis liegt, glätten sich langsam die Wogen.
Foto: Degeto / Richard Kranzin
Wer nach der Einführung in die Geschichte und die Vorstellung aller Figuren durch den Jüngsten in der Familie annimmt, „Die schönste Bescherung“ sei eine dieser mit reichlich Zuckerguss überzogenen und schlichten Wahrheiten aus Kindermund erfüllten Weihnachts-Dramoletts unseliger ARD-Degeto-Zeiten, der sieht sich bald angenehm enttäuscht. So sind denn auch die Gegensätze zwischen Eltern und Großeltern mehr als eine dramaturgische Krücke für gesteigertes Konfliktpotenzial. Auch wenn Jutta Speidel mit ihrer Figur einen Drahtseilakt zwischen übergriffiger Schwiegermutter und warmherziger Anwältin der Kinder hinlegen muss und sie gelegentlich auf das gängige mimische Overacting ihrer Generation verfällt, so entpuppen sich doch die Großeltern nicht als die schreckliche, bucklige Verwandtschaft, wie man sie in flachen Unterhaltungsfilmen zu sehen bekommt. „Es ist nicht einfach, wenn so ein wildfremder Mann in eine Familie einbricht, von außen gesehen, für mich, sind die beiden sehr verzweifelt und leiden.“ Die Wortwahl mag nicht glücklich sein, und Schuldgefühle sind eine schlechte Basis für Kommunikation. Aber die Beweggründe der Großmutter sind ehrenwert und ihre Sorge echt.
Ehrlich zueinander sein und miteinander reden, das bietet Drehbuchautorin Sophia Krapoth (großartig ihre drei „mit Hindernissen“-Familienkomödien mit Nicolette Krebitz) als Rezept an, um die Bedürfnisse und Wünsche aller Beteiligten zu verstehen. Die Zuschauer haben es deutlich einfacher, sich in die verschiedenen Perspektiven hineinzuversetzen. Die Figuren verstecken sich lange Zeit hinter Unwahrheiten, sind nicht immer offen und ehrlich miteinander. Der Vater hatte einen Seitensprung (oh, ist das Christkind womöglich von ihm?), seine Eltern faseln was von einem Wohnzimmerbrand als Grund für ihren Besuch. Auch die Ursachen für die Trennung wurden scheinbar nie offen ausgesprochen, stattdessen wurde in der von Verletzungen geprägten Entfremdungsphase des Paars alles unter den Teppich gekehrt. Andererseits geben sich Leonie und Kian redlich Mühe, die Trennung für Sima und Elyas verträglich zu machen. Trotzdem sind sie die Leidtragenden. All diese Befindlichkeiten stecken in „Die schönste Bescherung“. Man kann sie als stimmigen Subtext oder als Zentrum des Films wahrnehmen.
Foto: Degeto / Richard Kranzin
So oder so, die Geschichte entwickelt sich ganz aus dem Alltag heraus. Wohin man auch schaut: Das Grundkonzept dieses weihnachtlichen, natürlich final versöhnlichen Familiendramas ist ein angenehm realistisches. Das beginnt beim Spiel der sympathischen Hauptdarsteller Anna Unterberger und Reza Brojerdi. Höhepunkt ist ein offenes Gespräch unter vier Augen, in einer Laube im verschneiten Wald, draußen vor der Stadt. Sie schauen zurück, besinnen sich auf die schwierigen Zeiten ihrer Beziehung. Diese Situation wäre für eine „Remarriage Comedy“ perfekt, in „Die schönste Bescherung“ hat sie erfreulicherweise nur die Funktion, aus der Innensicht der Figuren die Backstory zu vermitteln. Wie die beiden miteinander reden und was sie bereden, auch das wirkt durch und durch authentisch. Realistisch sind auch einige narrative Zutaten: So ist der Vater Sozialarbeiter, was auch für die Handlung gewinnend genutzt wird, so im Findelkind-Subplot, der zudem zeigt, dass die Ex-Partner noch füreinander da sind. Ob die deutsch-iranische Familienbande, ob relaxter WG-Alltag oder die Idee vom Weihnachtsmark-Stand, an dem Leonie ihre kunstgewerblichen Objekte verkauft, wodurch die arbeitende (und nicht nur konsumierende) Bevölkerung angenehm in den Fokus rückt – all das unterstreicht das Konzept eines etwas anderen, gesellschaftlich diversen Weihnachtsfilms.
Die Intention schlägt sich auch in der Inszenierung von Karin Heberlein („Einfach Nina“) nieder. Die zum Konzept passende Altbauwohnung mit ihren kleinen Räumen, die die Familie sozial korrekt verortet, beeinflusst auch die Inszenierung und erzielt – ob gewollt oder nicht – einen weiteren Realismus-Effekt. So sorgen Kamera und Montage nach der Ankunft der Großeltern für ein Tohuwabohu, durch das zugleich die beengten Wohnverhältnisse noch besonders betont werden. Und in der Schlusssequenz gibt es nicht das in besinnlich-anrührenden TV-Weihnachtsfilmen übliche totale Tableaux mit Tannenbaum, in dem die ganze Familie rührselig vor sich hin strahlt, sondern es dominieren Zweier- & Dreier-Einstellungen, Momentaufnahmen, die mehr sagen als gemeinschaftliches Keep-Smiling. Soll heißen: Die Familie hat sich zusammengerauft, doch jeder Einzelne bleibt Individuum. Die frohe „Botschaft“ des Films spiegelt sich also gleichsam in der Filmsprache. Das gilt auch dafür, wie die Kamera den Weihnachtsmarkt einfängt, ausschnitthaft, in Details, wenig rummelig, fast schon eher mit einem dokumentarischen Duktus. Da sollte Erwähnung finden, dass Yunus Roy Imer für die Bildgestaltung verantwortlich war. Imer bewegte die Kamera auch beim „Oscar“-nominierten Kinofilm „Systemsprenger“. Womit sich der Realismus-Kreis schließt.
Foto: Degeto / Richard Kranzin