Die Schattenfreundin

Miriam Stein, Krassnitzer, Hammelstein, Maiwald, Schneider. Reichlich dick aufgetragen

Foto: ZDF / Michael Boehme
Foto Rainer Tittelbach

Eine junge Frau, hin und her gerissen zwischen hyperkorrektem Ehemann & warmherzigem Vater, zwischen ihrem Beruf als Ärztin & ihrer Rolle als Mutter: Aus Überforderung wird seelischer Stress, als sie ihr Kind kurzzeitig einer „Freundin“ anvertraut – und beide wenig später spurlos verschwunden sind. Die „Schattenfreundin“ (ZDF / Network Movie), frei nach dem Kriminalroman von Christine Drews, ist ein Thriller-Drama-Hybrid, der in seinen narrativen Möglichkeiten leider ausgebremst wird durch den Zwang, die klassische Spannung hochzuhalten. Bemerkenswert, dass die guten Schauspieler, Stein, Krassnitzer, Hammelstein, Euler, ihre Rollen konsequent als Drama zu Ende spielen. Auch eine Regie-Handschrift fehlt diesem Film, der seinen Look durch das herbstliche Bonner Dauergrau bekommt.

Die Rückkehr in ihre Heimatstadt hat sich Kathrin (Miriam Stein) nicht so schwierig vorgestellt. Die junge Gynäkologin steigt bei ihrem Vater Franz (Harald Krassnitzer) in seine Bonner Praxis ein; denn der muss nach einem Herzinfarkt kürzertreten. Außerdem hofft sie, dass er sich stärker als zuletzt ihr Mann Thomas (Golo Euler), der noch ein halbes Jahr in Frankfurt unabkömmlich ist, um ihren Sohn Leo (David Grüttner) kümmern kann. Doch dann fällt der Vater aus. Nach dem gewaltsamen Tod seines geliebten Hündchens hat er sich zu sehr aufgeregt und muss eine Weile stationär behandelt werden. Jetzt spürt Kathrin wie zuletzt in Frankfurt wieder ganz massiv die Doppelbelastung. Gegen den Dauerstress schluckt sie Tabletten. Ein kleiner Lichtblick ist Tanja (Britta Hammelstein), eine unkonventionelle Mutter, die Kathrin auf dem Spielplatz kennenlernt. Beide sind sich sympathisch. Und so springt die neue Freundin als Kinderbetreuung ein, als Kathrin überraschend zu einem Notfall in die Praxis gerufen wird. Wieder zurück auf dem Spielplatz gibt es keine Spur von Tanja und Leo. Ja, es gibt offenbar gar keine Tanja. Ihre Handynummer ist nicht vergeben, und der Junge, der angeblich ihr Sohn sein soll, ist das Kind einer anderen Mutter. Die Polizei in Gestalt von Charlotte Scheidmann (Jule Ronstedt) schaltet sich ein. Und die denkt „in alle Richtungen“ – was die ohnehin (seit Jahren) psychisch angeschlagene Kathrin noch mehr verunsichert.

Die SchattenfreundinFoto: ZDF / Michael Boehme
Die gute Besetzung versöhnt mit dem halbherzigen Thriller. Und die Art und Weise, wie die Hauptcharaktere ihre Figuren im Stile eines Dramas verkörpern, deuten mehr an und haben ein größeres Potenzial, als den Figuren vom Drehbuch zugestanden wird. Harald Krassnitzer (kahl und mit Haarkranz), Miriam Stein & Jule Ronstedt

Die „Schattenfreundin“, frei nach dem Kriminalroman von Christine Drews, ist ein Thriller-Drama-Hybrid, der in seinen narrativen Möglichkeiten leider ausgebremst wird durch den Zwang, die klassische Spannung hochzuhalten. Im ersten Drittel nimmt sich die Drehbuch-Autorin Birgit Maiwald („Es kommt noch besser“ / zwei „Lotta“-Bücher) noch Zeit, um das Beziehungsdreieck – eine junge Frau zwischen Ehemann und Vater – auszuloten. Es ist eine traurige Fernbeziehung, die die junge Ärztin und Mutter führt. Allein das gemeinsame Kind täuscht darüber hinweg, dass sich die zwei offensichtlich nicht viel zu sagen haben. Als Leo verschwunden ist, macht Thomas seiner Frau Vorwürfe, danach bricht die Kommunikation zwischen dem Paar fast vollständig ab. Im Gegensatz zum Ehemann, den Golo Euler als hyperkorrekten, gestrengen Besserwisser verkörpert, spielt Harald Krassnitzer – kahl und mit Haarkranz – sein Väterchen Franz als Mann mit Erfahrung, warmherzig und verständnisvoll. Hauptfigur Kathrin ist entsprechend hin und her gerissen. Zur Halbzeit gibt es eine Szene, in der sie sich in ihr Zimmer einschließt, nachdem erste Flecken auf der weißen Weste ihres Gatten sichtbar werden. Thomas klopft, möchte zu ihr. „Lass‘ gut sein, die hat genug für heute“, rät ihm der Schwiegervater. „Willst du mir jetzt erklären, wie Kathrin tickt, es tut mir leid, aber ich bin mit ihr verheiratet“, kommt es barsch zurück. Darauf der Vater cool: „Merkt man nicht viel von.“ In diesem Dreieck tut sich was. Doch da die Entwicklungen im Verhalten nicht charakter-, sondern bestenfalls wirkungspsychologisch System haben, verpufft dieses Kraftfeld der Figureninteraktion. Bemerkenswert, dass die Schauspieler entgegen dem Desinteresse des Drehbuchs am Drama ihre Rollen konsequent zu Ende spielen. In der (kantigen) Körpersprache des Paars stecken die Zwischentöne, die an dieser Geschichte interessant gewesen wären, wenn der Thriller sie nicht platt gemacht hätte. Emotionale Nähe weiß – mit Ausnahme des Schlussbildes – körperlich allein der Vater der Tochter zu geben.

Extrem angeschlagen geht die „Heldin“ in die zweite Hälfte des Films. Der Ehemann „verpetzt“ sie bei der Kommissarin, erwähnt ihre seelischen Probleme in Frankfurt und ihr Burnout-Syndrom. Und auch die Kommissarin (in der Romanvorlage die Hauptfigur, da Heldin einer Krimi-Reihe von Christine Drews) ist keine von der sensiblen Sorte, sie stellt Fragen mit doppeldeutigem, von Vorurteilen nicht freiem Unterton. Von allen Seiten gerät Kathrin also unter Druck. Und dann meldet sich auch noch die falsche Tanja bei ihr, die eigentlich Anna heißt. Und die macht klare Ansagen: kein Wort zu ihrer Familie, kein Wort zur Polizei, sonst ist Leo tot. Kathrin gerät also immer mehr unter Druck und muss alles mit sich selbst ausmachen. Gegen Ende des Films wird sich herausstellen, dass das eine Parallele zur Biographie von Anna ist, der Frau mit dem Tiger-Tattoo auf der Hand. Auch sie war immer auf sich allein gestellt. Aber sie hatte keine behütete Kindheit, lebte nicht in einer Villa mit riesigem Garten. Ist die Entführung jetzt die Rache an einer x-beliebigen jungen Frau dafür, dass Anna es nicht geschafft hat, sich ein einigermaßen glückliches Leben aufzubauen?

Die SchattenfreundinFoto: ZDF / Michael Boehme
Auf dem Spielplatz war sie doch gerade noch so nett, die Schattenfreundin (Britta Hammelstein)! Der erste Eindruck ist nicht der letzte. Das gilt nicht nur für Tanja.

Um diesem Thriller-Drama nicht auch noch die Spannung zu nehmen, kann ich nicht zu konkret in die Handlung der letzten 50 Minuten einsteigen; entsprechend lassen sich auch mögliche Subtexte, was die Männer-Frauen-Kommunikationen angeht (Frauen werden in die Opferrolle gedrängt), nicht analysieren.

Zu viel sollte man in diese Geschichte nicht hineingeheimnissen. Das Drama, im Schlussdrittel ein Beziehungsviereck, bleibt zu sehr Stückwerk. Und weil auch der Handlungsverlauf dieses Films einem langen, dünnen Faden gleicht, an dem sich die Hauptfigur entlanghangelt, sollen die fehlenden dramaturgischen Verdichtungen offenbar mit ein paar (vermeintlich!) liberal interpretierten Zeitgeist-Motiven aufgefangen werden. Da gibt es die von Helmut Berger gespielte Margarete, eine Mitarbeiterin von Kathrins Vater in einer Sozialstation für „Sexarbeiterinnen“, die offensichtlich im falschen Körper geboren wurde. Auch das nach wie vor (oder wieder) umstrittene Thema Schwangerschaftsabbruch spielt im Film eine Rolle, aber auch die Themen des Alltags wie die Doppelbelastung von Frauen, abwesende Männer oder die Frage, wann eine Frau nach einer Geburt wieder in den Beruf einsteigen sollte, sind in den Thriller-Plot beiläufig eingearbeitet. Und wann hatte man schon mal einen Arzt, der Abtreibungen vornimmt und zudem noch ein Herz für Prostituierte hat, als Hauptfigur in einem Fernsehfilm gesehen?! Das hebt „Die Schattenfreundin“ aber noch nicht auf ein höheres Niveau. Vor allem auch, weil Michael Schneiders diesem dramaturgisch unausgegorenen TV-Thriller keine filmische Handschrift verleiht. Für eine einheitliche Stimmung sorgt mehr das spätherbstlich anmutende Bonn mit seinem Dauergrau und die zunehmende psychophysische Niedergeschlagenheit der immer blasser werdenden Hauptfigur als ein erkennbarer Inszenierungsstil. Und gerade auch weil es diesem Genre-Bastard an filmsprachlicher Eleganz fehlt, wirkt hier vieles – im Großen wie im Kleinen – reichlich dick aufgetragen.

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Miriam Stein, Harald Krassnitzer, Britta Hammelstein, Golo Euler, Jule Ronstedt, David Grüttner, Helmut Berger, Dirk Ossig, Jörg Reimers

Kamera: Andreas Zickgraf

Szenenbild: Anke Osterloh

Schnitt: Jörg Kröschel

Musik: Florian Van Volxem, Sven Rossenbach

Redaktion: Daniel Blum

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Wolfgang Cimera, Bettina Wente

Drehbuch: Birgit Maiwald – nach dem gleichnamigen Roman von Christine Drews

Regie: Michael Schneider

Quote: 4,74 Mio. Zuschauer (15,3% MA)

EA: 21.10.2019 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

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