Wenn sich eine Geschichte dem üblichen Schubladendenken entzieht, ist das in der Regel ein Qualitätsmerkmal; es sei denn, man fragt sich bis zum Schluss, worauf Buch und Regie eigentlich hinauswollen. „Die Sache mit der Wahrheit“ erzählt von zwei Frauen mit gänzlich unterschiedlichen Problemen: Die eine nennt sich mal Michelle und mal Vivien, heißt aber in Wirklichkeit Katrin Schmitz (Paul) und ist eine notorische Lügnerin; die andere, Doro (Ronstedt), lebt in einer Kleinstadt in der Nähe von München, betreibt einen Kosmetiksalon und muss nach Ansicht ihrer Familie zwanghaft alles unter Kontrolle haben. Beide würden als Protagonistinnen eines jeweils eigenen Films taugen, und in der Theorie klingt die Kombination auch gar nicht schlecht; aber in der Umsetzung will der Funke nicht recht überspringen.
Foto: Degeto / Erika Hauri
Die Autorinnen Sibylle Tafel (auch Regie) und Claudia Matschulla fädeln die Begegnung von Michelle und Doro ein, als beide vor einem Wendepunkt ihres Lebens stehen: Michelles Freund Bruno (Hendrik Duryn), der sie als Vivien kennt, macht ihr einen Heiratsantrag und will mit ihr zusammenziehen. Das ist eigentlich schön, aber Bruno ist auch überzeugt, sie fliege als Flugbegleiterin dauernd durch die ganze Welt. Dabei ist sie in Wirklichkeit Kellnerin in einem Wirtshaus – und schwanger. Als sie zufällig ihrer einstigen WG-Freundin Doro über den Weg läuft, zaubert sie sich umgehend eine neue Biografie als Managerin einer angesagten Teenie-Band zurecht. Warum sie Doro nicht ebenfalls erzählt, sie sei Stewardess, lässt das Drehbuch offen. Andererseits führt die neue Lüge zu weiteren Schwindeleien: Michelle stellt Doros Sohn in Aussicht, die Band könnte bei seinem Abschlussfest auftreten.
Daraus wird natürlich nichts, aber das ist dann längst nur noch eine Randnotiz, denn Doro hat mittlerweile herausgefunden, dass ihr Mann schwul ist und eine Beziehung mit einem Kollegen hat; und so wirkt die Geschichte irgendwann zwangsläufig etwas überfrachtet. Größeres Problem des Films ist jedoch das Fehlen einer inneren Spannung. Dabei hat Sibylle Tafel mit ihrem preisgekrönten ARD-Märchen „König Drosselbart“ eine großartige romantische Komödie gedreht; die Familienkomödie „Wie Tag und Nacht“, bei der sie das Drehbuch ebenfalls mit Matschulla verfasst hat, war gleichfalls deutlich packender als „Die Sache mit der Wahrheit“. Nicht unbedingt subtil inszeniert ist auch der erste Auftritt vom Freund des Gatten; man weiß sofort, was zwischen den beiden läuft. Später, als Michelle Doro erzählt, sie habe die beiden beim Kuss gesehen, gibt es prompt einen Soap-Zoom auf Doros Gesicht.
Foto: Degeto / Erika Hauri
Die Hauptdarstellerinnen sind womöglich ein weiteres Problem. Christiane Paul und Jule Ronstedt verkörpern die beiden Frauen nicht zuletzt deshalb so überzeugend, weil sie als Besetzung erwartbar sind; viel spannender wäre es gewesen, wenn Ronstedt die zwanghafte Lügnerin gespielt hätte und Paul die Mutter, die in ihrer Kleinstadt das Gefühl hat, sie habe den Anschluss ans Leben verpasst. Doros Fassungslosigkeit, als sich die langjährige Ehe in ihren Augen als Lüge entpuppt, wäre ebenfalls Stoff für einen eigenen Film (und war es ja auch schon). Andererseits spielt Ronstedt Doros ohnmächtige Wut, der sie lautstark Luft macht, wirklich gut. Diese Eheszenen – sie schreit, er schweigt – sind von großer Glaubwürdigkeit. Auch die Momente mit dem halbwüchsigen Sohn, der gegen die mütterlichen Überbehütung aufbegehrt, sind derart lebensnah, dass man seinen Unmut nachvollziehen kann: Doro nervt.
Trotzdem scheitert „Die Sache mit der Wahrheit“ letztlich daran, dass sich der Film nicht entscheiden kann: Geht es nun um Doro und ihre Familie oder um Michelle und ihre Lügen? Gleiches gilt für die Genrezuordnung: Einige Szenen sind komisch, andere dramatisch. Aus einer harmonischen Verknüpfung dieser unterschiedlichen Stimmungen entsteht im besten Fall eine Tragikomödie, in der man über Dinge lacht, die eigentlich nicht lustig sind, aber hier wechselt nicht die Perspektive, sondern bloß das Vorzeichen. (Text-Stand: 29.10.2014)