Die Willingers brauchen Verbündete, um weiterhin in der Freien Reichsstadt Tremmlingen etwas zu gelten. Der Vater fühlt sich der Familie Laux verbunden. Seine Tochter Tilla (Josefine Preuß) ist Damian, dem ältesten Laux-Sohn versprochen. Er soll die Geschicke des wohlhabenden Kaufherrn weiterführen. Tillas Bruder Otfried (Volker Bruch) sieht sich um sein Erbe gebracht; tief gekränkt tötet er den Vater. Nun ist er der Herr im Haus; einen Verbündeten findet er in dem durchtriebenen Stadtrat Veit Gürtler (Dietmar Bär). Otfried heiratet dessen Nichte, Tilla muss den alten Gürtler zum Mann nehmen. Noch in der Hochzeitsnacht scheidet er dahin. Für die blutjunge Witwe gibt es jetzt nur eines: dem Vater seinen letzten Willen erfüllen – ins spanische Santiago de Compostela zu pilgern, dort sein Herz zu begraben, auf dass ihm seine Sünden vergeben werden und er in Frieden ruhen kann. Als Bursche verkleidet, schließt sich Tilla alias Moritz einer Gruppe von Pilgern an. Unerschrocken verfolgt die eigenwillige Frau ihren Plan. Doch der Jakobsweg ist lang, die Gefahr am Wegesrand durch Räuber und Ritter, durch Stromschnellen und giftiges Getier groß – und es gibt gleich mehrere Verfolger, einen böswilligen, aber auch einen, der Tilla wohl gesonnen ist: der kleine Bruder ihres Zukünftigen, Träumer Sebastian (Jacob Matschenz).
Auch wenn für die Menschen des Mittelalters die Wallfahrt zum Grab des Heiligen Jakobus ein existenzieller Hoffnungsmarsch war, der angetreten wurde, um ein Gelübde zu erfüllen oder Ablass für eine Sünde zu erhalten, so ist der Weg, den die Heldin in „Die Pilgerin“ geht, nicht nur ein Liebesdienst für den Vater, sondern für sie selbst ein Aufbruch ins Leben – eine Reise in die eigene Stärke, vom Mädchen zur Frau, von der Vormundschaft zur Freiheit, vom Handelsobjekt zur Identitätssuchenden. Geistes- und kulturgeschichtlich hat diese Suche nach Selbstbestimmung nichts mit der Wirklichkeit des Mittelalters zu tun. Das Ziel des Zweiteilers war es denn auch, „die fremde Epoche glaubwürdig und authentisch, aber auch heutig und mit Sinn für Unterhaltsamkeit zu erzählen“, so ZDF-Redakteur Alexander Bickel. Bewertende Bezugsgröße kann für eine Fiktion-Produktion, die im 14. Jahrhundert spielt, nicht die historische Wahrheit sein, Referenzrahmen sind die anderen TV-Spektakel aus dieser dunklen Epoche: von der „Wanderhuren“-Trilogie mit Alexandra Neldel bis zu den internationalen Ko-Produktionen wie „Die Tore der Welt“ oder „Die Säulen der Erde“ nach Ken Follett.
„Die Pilgerschaft wird zur Metapher für den Lebensweg, den wir alle gehen, und die Frage, wie weit man diesen Weg bestimmen kann oder bestimmen muss.“ (Produzent Benjamin Benedict)
Obwohl als Selbstfindungsgeschichte angelegt, geht der Erkenntniswert auch in dieser Produktion wie bei all ihren Vorgängern kaum hinaus über ZDF-„Herzkino“-Verhältnisse. Spirituelle Erleuchtung für den Zuschauer ist nicht Ziel dieses Pilgerreise-Zweiteilers, für den in Tschechien 84 Film-Sets für 52 Drehtage realisiert wurden. Die Hauptaufgabe für das „Production Design“ war es, die Welt des Mittelalters „unmittelbar und mit großer Wucht erlebbar zu machen“, so der Szenenbildner Thomas Stammer. Körperlichkeit sollte so intensiv wie möglich umgesetzt werden. Das gelingt den Gewerken prächtig – mit einer hoch komplexen Auflösung der Regie, durch eine sehr bewegliche Kamera, durch extreme Bildausschnitte, ständige Wechsel der Einstellungsgrößen, eine im Detail stark elliptische Montage und einen schnellen, konzentrierten Erzählrhythmus im Großen und Ganzen – kurzum: durch eine moderne Filmsprache, bei der sich Philipp Kadelbach und Kameramann David Slama an das halten, was sie bereits in „Unsere Mütter, unsere Väter“ (2013) sehr erfolgreich umgesetzt haben. Ganz nah am Mann, so wird die kleinste Körperbewegung sofort als „Action“ wahrgenommen. Die Figuren werden physisch be-griffen; die Dialoge sind reduziert, knapp und prägnant – und sie fallen nicht unnötig auf (für Genres dieser Art ist das durchaus schon eine Auszeichnung). Stets schiebt sich das Visuelle in den Vordergrund. Naturstein, Dreck, Schlamm, Erdfarben, Enge und Begrenzungen dominieren die Bilder, nur der Weg der Pilger ermöglicht gelegentlich die Erfahrung von Weite, von Sonne, Licht und Farbe, von „Gottes schöner Natur“. Es gibt keine Bilder, in denen man nur die Künstlichkeit der Ausstattung sieht, rasch hat man sich auch an die mittelalterlichen Kostüme gewöhnt und die Massenszenen wirken nie ausgestellt, sondern vermitteln eher so etwas wie „pralles Leben“. Mit der Fixierung auf die Sinnlichkeit des Alltags im Mittelalter kommt der Film der Epoche wahrscheinlich sogar näher, als es auf der Diskurs-Ebene überhaupt möglich wäre.
„Die Welt im Mittelalter war geprägt von Enge, Kälte, Nässe, Schmutz, Rauch und Dunkelheit. Farbe gab es nur bei den ganz Reichen. Wir haben daher oft in Ruinen gedreht, die diese raue Stimmung mitbringen, und diese dann in bewohnbare Räume verwandelt.“ (Szenenbildner Thomas Stammer)
Die Grobdramaturgie des Films, der ohne ein übermäßiges Reiz-Bombardement auskommt, sorgt mit ihren Ruhepunkten und Momenten der Sammlung dafür, dass man als Zuschauer stets gut orientiert ist, was den Handlungsverlauf angeht. Angenehm fällt auf, dass die Kampfszenen körperlich und schnitttechnisch artistisch sind und dass trotz der Gefechte und Gefangennahmen in den 175 Minuten verhältnismäßig wenig Blut fließt. Der epische 1. Teil kommt mit nur einer längeren Kampfszene aus. Im 2. Teil nimmt die Dramatik zu, die Konflikte werden ausagiert, die Schwerter klirren, die Dolche meucheln, die Wunden klaffen und ein paar Leichen mehr pflastern die Matschwege. „Die Pilgerin“ hält sich allerdings insgesamt mit drastischen Gewaltszenen zurück. Das Fantasy-Ritter-Event-Movie ist ein historischer Abenteuerfilm für (fast) die ganze Familie (FSK-Freigabe: ab 12). Darüber hinaus dürfte es durch die weibliche Haupt- und Identifikationsfigur gelingen, Männer und Frauen gleichermaßen vor den Bildschirm zu locken. Und durch die Hauptdarsteller Josefine Preuß (mit knabenhaftem Kurzhaarschnitt), Volker Bruch und Jacob Matschenz wird sicher auch die Jugend wieder einmal daran erinnert, dass es einen Sender namens ZDF gibt. Die 27-jährige Preuß trägt als Titelfigur die Hauptlast auf ihren schmalen Schultern. Aber auch Bruch als starker, reichhaltiger Antagonist ist für die „Glaubwürdigkeit“ der Geschichte maßgeblich mitverantwortlich. Er ist der Vatermörder, der ruchlose Intrigant, ein gestörter Narziss, der durch ein Blutbad zur Macht watet und zugleich ist er eine zutiefst tragische Persönlichkeit. Das siegreiche Gegenmodell ist eine Liebe, die selbstbestimmt aus einer geradezu kindlichen Reinheit (und Geschlechtslosigkeit) heraus geboren wird. (Text-Stand: 15.12.2013)