Das 19. Jahrhundert erscheint uns in „Die Pfeiler der Macht“ fern genug, aber doch nicht so fremd wie die Mittelalter-Epen von Ken Follett, die zuletzt als internationale Koproduktionen unter Beteiligung von Sat 1 auf den Bildschirm gebracht worden waren. Obwohl das Budget von knapp acht Millionen Euro nicht annähernd an die Etats der vierteiligen Verfilmungen von „Die Säulen der Erde“ und „Die Tore der Welt“ heranreicht, bietet auch die Inszenierung von Christian Schwochow („Der Turm“, „Bornholmer Straße“) eine beachtliche visuelle Opulenz. Die Kulissen in Dublin und Umgebung, die Schlösser mit ihren herrlichen Gärten, die Ausstattung mit einer Fülle an Details und der leichten Neigung zur Extravaganz (man beachte die Haustiere), die prächtigen Hüte und Kostüme der Damen – das Szenenbild erscheint „very british“, exzellent ins zeitgenössische Licht gesetzt, das bekanntlich noch keine Glühbirnen kannte. Passend auch die klassische Musikbegleitung durch das Prager Radio Orchester.
Man muss sich ein bisschen daran gewöhnen, dass in einer solchen Kulisse prominente deutsche „Fernsehgesichter“ wie Axel Milberg, Thorsten Merten und Jeanette Hain zu sehen sind. Umso erfreulicher, dass wichtige Rollen auch mit noch weniger bekannten Darstellern besetzt sind. Burgschauspieler Daniel Sträßer etwa, der den jungen, an die Bank-Spitze drängenden Edward Pilaster auf eine aufregende Weise spielt: durchgeknallt, gefangen in seiner (Sehn-)Sucht, gierig, gehässig. Oder Albrecht Abraham Schuch als Solly Greenbourne, der „reichste Mann Londons“, den hier buchstäblich der Liebestaumel packt. Auch die Hauptrolle des Hugh Pilaster, dessen Vater sich nach einer Banken-Pleite erschoss und der nun zehn Jahre später als kleiner Angestellter bei der Bank seiner Familie arbeitet, ist mit einem Nachwuchsschauspieler besetzt, mit Dominic Thorburn, dem einzigen Briten im Hauptcast – und dem Einzigen, der synchronisiert werden musste; gedreht wurde in deutscher Sprache.
Sträßer, Schuch, aber auch Milberg und die niederländische Hauptdarstellerin Laura de Boer als Maisie Robinson spielen wie auf großer Bühne, theatralisch, temperamentvoll, mit weit ausholenden Gesten. Zudem setzt Schwochow in seiner Inszenierung vor allem im ersten Teil auf Humor, Ironie und Verfremdung. Manche Szenen sind geradezu choreografiert, als wollten die Darsteller gleich beginnen zu singen wie bei „Mary Poppins“, beim Einzug der Direktoren in ihre Bank etwa. Oder die Kamera schwelgt in fantastischen Kostümen und magischem Licht, wie bei dem Fest, das Solly zu Ehren Maisies gibt. Düster dagegen die Sitzungen des Bankdirektoriums, drei Männer in einem großen Saal vor dunkler, schwerer Holzvertäfelung. An der Spitze der strenge Seniorchef (Rolf Hoppe), der als Oberhaupt der Methodisten-Familie Pilaster keine Waffengeschäfte duldet. Seine Söhne, der unscheinbare Joseph (Thorsten Merten), und der exaltierte Samuel (Axel Milberg) sind grundverschieden. Samuel ist am Ende des ersten Teils wegen seiner Homosexualität den Direktorenposten los, bleibt aber als stiller Teilhaber und spitzzüngiger Sonderling präsent.
Das viktorianische Leben, insbesondere der Oberschicht, erscheint überspitzt, bisweilen karikiert. Dagegen steht der Versuch, das Elend jener Zeit mit einem einigermaßen realistischen Blick zu erzählen, mit schmutzig-grauen Bildern aus dem engen, dicht bevölkerten Armenviertel, aus dem Maisie stammt, in dem die kranken Kinder hungern, klauen – und häufig sterben. Die verschiedenen Klassen treffen sich beim Glücksspiel in einer überfüllten Kaschemme, in der die zupackende April (Stephanie Stumph) hinter der Theke das Sagen hat. Den Kampf zwischen Ratten und Kampfhund sieht man zum Glück nicht wirklich, auch sonst bleiben explizite Gewaltdarstellungen aus.
Im schwächeren zweiten Teil freilich spielt die Arme-Leute-Perspektive kaum eine Rolle mehr, da konzentrieren sich Drehbuch und Inszenierung zunehmend auf den romantischen Handlungsstrang. Im Unterschied zur Vorlage von Ken Follett konkurrieren Hugh und Solly von Beginn an um die schöne Maisie, die sich, zornig auf die Verhältnisse, energisch durchs Leben kämpft. Mit dieser Dreiecksgeschichte spitzt das Fernsehen die Geschichte leider allzu melodramatisch zu, was auf Kosten des Gesellschaftspanoramas geht. Auch von Maisies revolutionärem Furor bleibt im zweiten Teil nicht mehr viel übrig; der jüdische Bankier Solly scheint sich erstaunlicher Weise ohnehin nicht für Bankgeschäfte, sondern nur für Maisie und seinen Sohn (dessen Vater eigentlich Hugh ist) zu interessieren. Geldgeschäfte und Politik, auch der Antisemitismus jener Zeit, bleiben Hintergrundrauschen. Insgesamt wirkt der zweite Teil konventioneller, nicht so pfiffig und ideenreich wie der erste.
Das Drehbuch von Annette Simon, die bisher im sehr leichten Fach zu Hause war, entfernt sich zum Teil kräftig von der Vorlage. Dass Figuren komplett gestrichen werden mussten, ist kein Wunder – das Ensemble im Zweiteiler ist gerade noch überschaubar. Andere Roman-Figuren werden zu neuen Charakteren. Wieder andere, die Follett sterben lässt, überleben. Was übereinstimmt: Starke Frauen prägen auch diese Follett-Verfilmung, wobei das Drehbuch hier ebenfalls eigene Akzente setzt. Gegen die strengen Konventionen des 19. Jahrhunderts begehrten die ersten Frauenrechtlerinnen auf, insofern wirken selbstbewusste Figuren wie Maisie und Edwards musikalisch talentierte Schwester Clara (Maria Dragus) nicht annähernd so spekulativ erdacht wie bei den Mittelalter-Filmen. Während Maisie, die weibliche Hauptfigur, durch die Heirat mit Solly im goldenen Käfig landet, weigert sich Clara zu heiraten und folgt ihrem Vetter Hugh nach Amerika. Von dort bringt Hugh zu Beginn des zweiten Teils im Jahr 1882 seine Ehefrau Nora (Yvonne Catterfeld) mit. Im Gegensatz zum Roman ist sie eine eigenständige, erfolgreiche Sängerin, die nicht so recht in die steife englische Gesellschaft passt. Vom bissigen Dialogwitz der britischen Serie „Downton Abbey“, der man offenbar ein wenig nacheiferte, ist dieses Familiendrama allerdings ein gutes Stück entfernt.
Stark besetzt sind vor allem die Rollen der „Bösen“: Jeanette Hain gibt Joseph Pilasters intrigante Ehefrau Augusta, die zu allem bereit ist, um ihren Sohn Edward an die Spitze der Bank zu bringen. Eine schön abgründige Rolle für Hain, der man auch glaubt, dass die kühl und stets kontrolliert agierende Augusta ihrer großen Liebe nachtrauert. Augustas Liebhaber und Komplize ist Edwards Freund Micky Miranda, vorzüglich gespielt vom Italiener Luca Marinelli, dessen Akzent gut zur Rolle passt. Micky fügt sich dem brutalen Vater und versucht, dessen Auftrag zu erfüllen: Der Unternehmer aus Südamerika will mit einem vom Bankhaus Pilaster finanzierten Waffengeschäft die Herrschaft in seiner Heimat an sich reißen. Gut und Böse werden hier auch durch erotische Motive getrennt. Im romantischen Dreieck Hugh/Maisie/Solly trägt selbst die Eifersucht edle Züge. Micky ist der Antiheld. „Die Frauen wollen wie Nutten behandelt werden. Sie sind nur Mittel zum Zweck“, ruft er beim brutalen Sex mit einer gefesselten Prostituierten in der einzigen grenzwertigen Szene des Zweiteilers.
Micky kann charmant sein; er setzt sein verführerisches Talent allerdings ausschließlich berechnend ein. Die unterdrückte Lust der Anderen wird zum Instrument seiner Intrige. Im Roman endet Micky, eingesperrt in einem Koffer, im Meer. Dieses Schicksal bleibt ihm hier erspart. Dafür sieht das Drehbuch eine Variante im „Gefährliche Liebschaften“-Stil vor, doch bei Edwards frommer Frau Florence, die er nach Absprache mit Augusta verführen will, überkommen selbst Micky ungeahnte Gefühle. Eine unverhoffte Wende, die aber nicht ohne Reiz ist, weil hier religiöse Motive ins Spiel kommen, ohne dass es ins frömmelnde Pathos abrutscht. Ganz frei von Pathos und Kitsch ist das Ende allerdings nicht. Und da sich der Zweiteiler längst aus dem Armenviertel entfernt hat, müssen ein paar protestierende Bürger an der verschlossenen Banken-Tür dürftig andeuten, dass das skrupellose Geschäft mit Anleihen noch andere Folgen hat als die persönlichen Tragödien einer Bankiersfamilie.