Franziska Kemper zweifelt, ob es richtig war, vom bayerischen Wasserburg nach Lübeck an die Ostsee zu ziehen. Sie dachte an ihre Kinder, die so näher bei ihrem Vater sein könnten. Sie dachte aber auch an sich: denn so ganz loslassen kann sie ihren Ex-Mann noch nicht, ja vielleicht hat sie sich sogar eine zweite Chance erhofft. Sie macht sich häufiger als andere Menschen Gedanken über die Austauschbarkeit von Beziehungen, über diese ungeduldige Gesellschaft und gehört doch selbst zu ihr – Franziska Kemper ist Pastorin. Eine, die es ernst meint mit der Nächstenliebe und die in der Seelsorge ihre Passion gefunden hat, die im Privaten hingegen alles andere als unfehlbar ist. Dass sie ausgerechnet der Familie der neuen Frau ihres Ex-Gatten beistehen muss – das kostet sie einige Überwindung. Die Familie steckt in einem Dilemma. Mit einer Organspende könnte die schwangere Tochter der Mutter vielleicht das Leben retten, dafür müsste sie auf ihr Kind verzichten. So oder so – das sich schuldig fühlen ist vorprogrammiert. Keine leichte Aufgabe, aber auch für die Pastorin, die in alle Richtungen ausgleichend wirken und mit ihrem eigenen Schmerz umgehen muss.
Foto: ZDF / Oliver Feist
Eine Pastorin gab es länger nicht im deutschen Fernsehen – und gab es überhaupt schon einmal eine alleinerziehende evangelische Gottesfrau? Eine mit Motorrad und in schwarzer Lederkluft auf jeden Fall noch nicht. Der ZDF-Sonntagsfilm „Die Pastorin“ orientiert sich in seiner Dramaturgie stärker an den Mustern des Unterhaltungsfilms und weniger am Drama. Dennoch ist dieser Film, der deutlich mit dem Blick auf eine mögliche serielle Verwertung produziert ist, ein bisschen mehr als „Herzkino“-Konfektionsware. Braucht der Film auch so seine Zeit, bis die Handlungsfäden geknüpft sind und die Figuren zueinander gefunden haben und wirkt die Konstruktion der etwas ausgedachten Story auch allzu didaktisch – die Lebenshilfe selbst vermittelt sich glaubhafter als befürchtet. Zwei Predigten in 90 Minuten – auch das ist erträglich. Wer hätte gedacht, dass Christine Neubauer, gefürchtet durch ihre salbungsvolle Diktion, ausgerechnet als Pastorin überzeugender ist als in vielen anderen ihrer Rollen. Nicht nur die Sprache auch das Outfit hat sich positiv verändert: als ob die Schauspielerin für den Film einen „Mach-mehr-aus-deinem-Typ“-Kurs belegt hätte.
Soundtrack: The XX („Heart skipped a Beat“, „Swept away“), Black Eyed Peas („Where is the Love?“), Janis Joplin („Work me, Lord“), Jamie Cullum („I’m all over it“, „Mixtape“, „Grace ist gone“), Led Zeppelin („Stairway to Heaven“), Whif Khalifa („Black & Yellow“), B.O.B. feat. Eminem & Hayley Williams („Airplanes“)
Auch anderes kann sich sehen lassen. Da ist eine überzeugende Besetzung – mit Lena Stolze, Tilo Prückner, Marie Gruber und vor allem René Ifrah, der einen Arzt spielt, wie ihn sich eine Seelsorgerin nur erträumen kann, und Dirk Borchardt, mit dem Christine Neubauer schon in „Die Holzbaronin“ Beziehung üben durfte. Das Augenzwinkern am Rande in Form eines Running Gags (die Leute, die sich so ihre Gedanken machen über diese „unmögliche“ Pastorin) ist weniger onkelhaft geraten als üblich in solchen Filmen für die ältere Zielgruppe. Dazu passt dann auch der Soundtrack mit HipHop und Janis Joplin und die frische, temporeiche Inszenierung von Josh Broecker. Fazit: etwas mehr Alltäglichkeit und Beiläufigkeit in den Situationen, etwas mehr Zurückhaltung beim Anhäufen von Problemen, dann hätten die Heldin und ihr Umfeld durchaus serielles Potenzial.