Siegfried ist der germanische Sagenheld schlechthin: ein stolzer Recke, der weder Tod noch Teufel fürchtet. Gemessen an dem Mannsbild aus Richard Wagners Opernzyklus und den diversen Verfilmungen wirkt der von Jannis Niewöhner verkörperte Königssohn in der RTL-Serie „Die Nibelungen“ wie ein Antiheld: dank des Bades im Drachenblut nahezu unverwundbar, aber ein ungehobelter Raufbold. Im Western wäre er ein ruheloser Einzelgänger, dessen Weg mit Leichen gepflastert ist. Abgesehen vom Prolog taucht Siegfried in der Auftaktfolge erst gegen Ende auf. Sein Erscheinen begleitet ein Lied, dessen Melodie auch zum musikalischen Leitmotiv getaugt hätte: „Mavericks“ vom schwedischen Duo Johnossi.
Foto: RTL / Constantin Film
Der Drachentöter spielt in den sechs Folgen jedoch ohnehin nur die zweite Geige. Titelfigur des gut zweistündigen Kinofilms „Hagen – im Tal der Nibelungen“, dessen Geschichte nun über 270 Minuten lang erzählt wird, war nicht ohne Grund sein großer Gegenspieler aus der Sage. Das Drehbuch des unter anderem für seine Sky-Serie „Der Pass“ vielfach preisgekrönten Regieduos Cyrill Boss und Philipp Stennert basiert zudem nicht auf dem „Nibelungenlied“, sondern auf Wolfgang Hohlbeins Roman „Hagen von Tronje“ (1986). Siegfrieds Mörder gilt als mindestens zwiespältige Gestalt, die den Helden hinterrücks meuchelt. Hier wird Hagen, vom Holländer Gijs Naber sorgenvoll als Offizier und Gentleman verkörpert, zur tragischen Figur, hin- und hergerissen zwischen seiner heimlichen Liebe zur Königstochter Kriemhild (Lilja van der Zwaag), seiner Loyalität zu den Söhnen des verstorbenen Königs Dankrat (Jörg Hartmann), der ihn wie ein eigenes Kind großgezogen hat, und seiner Freundschaft zu Siegfried. Der Waffenbruder verhilft dem Haus Burgund zwar zum Sieg gegen die mit den Dänen verbündeten Sachsen, indem er kurzerhand die beiden Könige tötet, ist aber unberechenbar. Dass ihn das Volk nach der erfolgreichen Schlacht wie einen Popstar feiert und sein Ruhm das Ansehen des unscheinbaren Königs Gunter (Dominic Marcus Singer) überstrahlt, erweist sich zunehmend als Problem.
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Deutlich stärker als andere Adaptionen haben Hohlbein und nun auch Boss, Stennert sowie Koautor Doron Wisotzky den historischen Hintergrund miteinbezogen: Der Einbruch der Hunnen führte im vierten Jahrhundert nach Christus zu einer Völkerwanderung der germanischen Stämme. Auf dieser Ebene wirkt die Geschichte frappierend aktuell: Zunächst soll Hagen (ausgezeichnet von Torben Liebrecht synchronisiert) die Flüchtlinge daran hindern, das Reich Burgund zu betreten, später sind die Scharen nicht mehr aufzuhalten. Die mitfühlende Kriemhild, hier nicht nur als Erzählerin deutlich präsenter ist als im Kinofilm, versorgt sie mit Lebensmitteln. Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Sage, der auch die Serie um ein entscheidendes Element ergänzt, ist ein raffinierter Schachzug des römischen Oberbefehlshabers (Tim Seyfi), den eine unheilige Allianz mit dem Hunnenkönig (Vladimir Korneev) verbindet.
Entscheidender für einen Erfolg sind aber natürlich andere Zutaten: Zu Hagens stillem Kummer beginnen Kriemhild und Siegfried eine heimliche Beziehung. Als der Drachentöter den König um die Hand seiner Schwester bittet, verknüpft Gunter seine Zustimmung mit einer von Hagen eingeflüsterten Bedingung: Siegfried soll ihm helfen, Brunhild (gespielt von der Dänin Rosalinde Mynster) zu erobern, die unbesiegbare Herrscherin Isenlands; mit ihrer Unterstützung, so seine berechtigte Hoffnung, ließen sich die Hunnen zurückschlagen. Schon die Überfahrt ist ein Abenteuer, das nur wenige überleben; den Rest der Mannschaft holen sich die sirenenhaften Nixen. Bei der Eroberung der Halbgöttin weichen Boss und Stennert sowohl von der Sage als auch von Hohlbein ab, aber es bleibt dabei, dass Gunter im Zweikampf ohne Siegfrieds Hilfe keine Chance gegen die Walküre hätte. Außerdem waren er und Brunhild einst ein Paar. Dass die Leidenschaft nach wie vor lodert, ist der Anfang von seinem Ende.
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Neben den interessanten Variationen der bekannten Handlung beeindruckt die Serie vor allem durch ihre Schauwerte. Auf kleineren Bildschirmen können die Bilder ihre Wirkung gar nicht entfalten, zumal viele Szenen mehr oder weniger im Dunkeln spielen. Die Arbeit mit dem wenigen Licht ist umso kunstvoller (Kamera: Philip Peschlow). Für Farbtupfer sorgt neben dem Grün im Burghof allein das vergossene Blut. Die diversen Schlachten sind zwar pures Gemetzel, aber optisch auch nicht viel grausamer als entsprechende Rekonstruktionen bei „Terra X“; allerdings ungleich aufwändiger gefilmt. Manch’ eine Szenerie ist zudem dank der Bildgestaltung auf morbide Weise faszinierend, etwa die Sammlung der Schädel jener Männer, die bereits vergeblich um Brunhild gefreit haben. Die in Island entstandenen Szenen sind in ein giftiges grüngelbes Licht getaucht, das die Bilder wie Aufnahmen aus einem Endzeitfilm wirken lässt. Großen Anteil am besonderen Reiz der Serie haben neben der wuchtigen Kinomusik von Jacob Shea und Adam Lukas, die unüberhörbar längere Zeit im Umfeld von Hans Zimmer verbracht haben, auch die „Alten Wesen“: Die Ausbreitung des Christentums hat Alben und Nornen in den Schatten verdrängt. Mächtig sind diese Geschöpfe jedoch immer noch. Alberich (gesprochen von David Bennent) trägt entscheidend zu Siegfrieds Untergang bei, und ein Drache sorgt für eine völlig unerwartete Wendung, als der einst von Fischern aus dem Nordmeer gerettete Hagen die Wahrheit über den Tod seiner Eltern herausfindet.

