Die Neue Zeit

Anna Maria Mühe, August Diehl, Lars Kraume. Mehr als ein Fest für Kunsthistoriker

Foto: ZDF / Julia Terjung
Foto Thomas Gehringer

Lars Kraume konzentriert sich in der Serie zum Bauhaus-Jubiläum auf die Weimarer Gründungsjahre (1919-25). „Die Neue Zeit“ (ZDF / zero one) ist kulturhistorisches Bildungs-Fernsehen samt einer stolzen Parade berühmter Zeitgenossen, von Lyonel Feininger über Else Lasker-Schüler bis Oskar Schlemmer, aber zugleich auch ein sinnliches Gesamt-Kunstwerk, das mit verschiedenen visuellen Elementen, akribischer Ausstattung und musikalischem Schwung die zukunftsweisende Bedeutung des Bauhauses erlebbar macht. Im Zentrum stehen Gründungsdirektor Walter Gropius und die Studentin Dörte Helm, deren angebliche Liebesaffäre dem Film Emotionalität und einen roten Faden gibt. Dass die Darstellung nur auf einem Gerücht beruht, das von der konservativen Bürgerschaft gegen Gropius ins Feld geführt wurde, macht die Sache allerdings fragwürdig. Wie im Fernsehfilm „Lotte am Bauhaus“ geht es in der auch auf eine internationale Verwertung ausgerichteten Serie um die Stellung der Frau in der jungen Weimarer Republik und um das Ringen einer neuen Generation mit den alten Kräften des nationalistisch gesinnten Bürgertums, um visionären Aufbruch und Weltoffenheit wider rückwärtsgewandtes Denken – womit Autor-Regisseur Kraume einen starken aktuellen Zeitbezug herstellt. Überzeugend: August Diehl & Anna Maria Mühe.

Dörte Helm (Anna Maria Mühe) ist eine stille, schüchterne junge Frau, die in Begleitung ihres gelehrten Vaters, des Philologie-Professors Rudolf Helm (Hanns Zischler), nach Weimar reist, um ihr Studium an der staatlichen Kunst-Hochschule fortzusetzen. Ins Zugabteil stürmt mit Gunta Stölzl (Valerie Pachner) die neue Zeit. Sie reißt kurzerhand die Ärmel ihres Kleides ab, weil ihr „haaß“ ist, wie sie im bayrischen Dialekt erklärt – eine erste Szene mit Symbol-Charakter. Gunta will am neu gegründeten Bauhaus studieren. „Der Gropius hat revolutionäre Ideen“, verkündet sie begeistert. „Die uns nicht interessieren“, ergänzt Dörtes Vater pikiert. Die Szene ist in Schwarzweiß gedreht, aber das ändert sich schnell: „Alle erinnern sich an das Bauhaus nur in Schwarzweiß, aber Farbe war überaus wichtig für uns“, sagt Walter Gropius im Rückblick – eine erste kunsthistorische Lektion. Die Optik wechselt, Weimar wird bunt, auch die Kleider von Dörte und Gunta, die sogleich Freundinnen werden, zusammenziehen, in Folge vier („Die Frauenklasse“) aber über die Frauen-Frage gewaltig in Streit geraten.

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Aus einem Gerücht Erzählkapital geschlagen. Dörte Helm (Anna Maria Mühe) und Gropius (August Diehl) lernen sich bei einem Fest in Ittens Atelier besser kennen.

Valerie Pachner und Sven Schelker glänzen in Nebenrollen
Auch Gunta Stölzl ist eine Figur mit realem Vorbild. Neben Dörte Helm zählt sie zu den einflussreichsten, aber lange Zeit wenig beachteten Frauen der Bauhaus-Geschichte. Während Dörte Helm das Bauhaus 1925 verließ, wurde die Textildesignerin Stölzl in Dessau Meisterin der Webwerkstatt. Valerie Pachner spielt sie mit einer ansteckenden Lebenslust. Die österreichische Schauspielerin, die neben ihrem Engagement am Münchener Residenztheater bisher in wenigen ausgesuchten Kinofilmen („Ein verborgenes Leben“, „Der Boden unter den Füßen“) auftrat, ist eine der „Entdeckungen“ fürs Fernsehen, die diese Serie zu bieten hat – neben dem Schweizer Sven Schelker als befremdlichem, niemals lächelndem Vorkurs-Leiter Johannes Itten. In der Serie treten ohnehin eine ganze Reihe prominenter Zeitgenossen in Erscheinung, die am Bauhaus wirkten: Lyonel Feininger (Ernst Stötzner), Oskar Schlemmer (Tilo Werner), Lazlo Moholy-Nagy (Alexandru Cirneala). Einige wie Marek Harloff als Paul Klee oder Pjotr Olev als Wassily Kandinsky treten kaum aus der Kulisse. Marie-Lou Sellem hat dagegen einen eindrucksvollen Auftritt als Else Lasker-Schüler mit einer expressionistischen Performance aus Tanz und Rezitation in Folge zwei („Der Prinz von Theben“). Und Birgit Minichmayr hat eine Reihe deftiger Ehestreit-Szenen als Gropius‘ Frau Alma Mahler, die schon auf dem Sprung zu ihrem Liebhaber Franz Werfel nach Wien ist.

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Aufbruchsstimmung. Dörte (Anna Maria Mühe) beginnt sich zu verändern. Das Bauhaus und sein freier Geist zeigen Wirkung; sie trägt nun Hosen und das Haar kurz.

Eine zweite Zeitebene und die Frage, ob man Erinnerungen trauen kann
Autor-Regisseur Lars Kraume – das Drehbuch schrieb er zusammen mit Judith Angerbauer und seiner Frau Lena Kiessler, einer Kunsthistorikerin – kommt schnell und dramatisch zur Sache. Folge eins („Nach dem Krieg“) startet mit Kriegsgetümmel im Schützengraben, aus dem Walter Gropius mitten während der Schlacht seine Bewerbungs-Depesche für die Stelle an der Weimarer Kunstakademie aufgibt – was wohl bedeuten soll: Das Bauhaus war ihm wichtiger als Leben und Tod. Für eine Anmutung, die dem Verkauf internationaler Rechte zuträglich sein soll, sorgt insbesondere der Kniff, die Erzählung mithilfe eines fiktiven, 1963 geführten Interviews zu strukturieren. Die Journalistin Stine Branderup (Trine Dyrholm), Autorin des Buches „The Feminine Myth“, besucht den ergrauten Star-Architekten Walter Gropius in seinem Haus in Lincoln, Massachusetts. Mit ein paar Fotos etwa vom PanAm-Hochhaus in New York wird die Bedeutung Gropius‘ für die Moderne eingeführt. Und gleich Branderups erste Frage („Wie lebst du mit der Lüge, dass Frauen und Männer im Bauhaus gleichberechtigt gewesen wären?“) ist eine thematische Ansage für die Serie. Die auf Englisch gedrehten Szenen zwischen Diehl und Dyrholm wurden für die deutsche Fernsehfassung aber leider synchronisiert, was bisweilen ebenso irritiert wie das Veilchen, das die Journalistin hinter einer Sonnenbrille versteckt. Gropius und Branderup kennen sich, und der Architekt scheint zu wissen, dass die Feministin von ihrem Mann misshandelt wird. Dies setzt er im Disput auch als Mittel ein, um der Journalistin den Wind aus den Segeln zu nehmen. Aber es bleibt ein aufgesetzt wirkendes Detail, denn die Figur Branderups ist nur Mittel zum Zweck. Gropius‘ Stellungnahmen im Interview werden dagegen geschickt mit der Inszenierung gekoppelt und – vor allem gegen Ende – auch mal konterkariert. So wirft die zweite zeitliche Ebene die wichtige Frage auf, inwieweit der Erinnerung von Zeitzeugen zu trauen ist.

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Walter Gropius (August Diehl) und seine Frau Alma (Birgit Minichmayr) haben sich merklich auseinandergelebt. Überragende Besetzung der Serie bis in die Nebenrollen

Das Bauhaus als pulsierender Ort der Kreativität und Freiheit
Eindrucksvoll ist insbesondere das aufwändige Szenenbild der Werkstätten, die das vielfältige Schaffen am Bauhaus zur Geltung bringen. Insider werden ihre Freude haben, denn zahlreiche Arbeiten, die in die Kunst-, Design- und Architektur-Geschichte eingegangen sind, lassen sich hier wiederfinden: Stühle, Lampen, Textilien, Druckgrafiken, die Gestaltung und Einrichtung von Haus Sommerfeld sowie vom Haus am Horn, schließlich Gropius‘ Büro. So ist „Die Neue Zeit“ ein Fest für Kunsthistoriker, die sich nun darüber streiten dürfen, ob alles korrekt dargestellt und gewürdigt wird. Aber auch für den weniger bewanderten Zuschauer ist die Serie ein sinnliches Vergnügen, wozu neben Ausstattung und Schauspiel nicht zuletzt die Musik und die von Jens Harants Handkamera lebendig eingefangen Feste, Aufführungen und Debatten wesentlich beitragen. Im Gegensatz zum Treiben in „Babylon Berlin“, das schon wie ein Totentanz in der Endzeit der Republik wirkte, schwingen hier vor allem Zuversicht und Begeisterung für die Möglichkeiten einer neuen Zeit mit. Das Bauhaus als ein pulsierender Ort voller Kreativität, radikalen Denkens und Schaffens, ein Ort der Freiheit und der Gemeinschaft. Lars Kraumes visuelle Stilmittel – insbesondere die zu Schwarzweiß-Fotografien „eingefrorenen“ Spielszenen – verweisen gleichzeitig darauf, dass die Serie ein Grenzgang fiktionalen und dokumentarischen Arbeitens ist.

Der Kapp-Putsch und das „unpolitische Bauhaus“
Während Dörte Helm sich in den ersten beiden Folgen von den Fesseln des Elternhauses zu lösen beginnt, muss Gropius von Anfang an um die Existenz seiner neuen Schule kämpfen. Als Gegenspieler werden die einflussreiche Baronesse von Freytag-Loringhoven (eine Paraderolle für Corinna Kirchhoff) und der deutschnationale Politiker Emil Herfurth (schön intrigant: Max Hopp) eingeführt. Der großartige Sebastian Blomberg laviert als sozialdemokratischer Minister für Volksbildung Max Greil, der die Schulen reformieren und von der Kirche trennen will, zwischen den Fronten. Figuren und Konflikte sind nicht erfunden, sondern spiegeln die historischen Ereignisse wider. Das gilt auch für Folge drei („Die Märzgefallenen“), die in der Serie etwas aus dem Rahmen fällt und mehr Action und ideologisches Pathos bietet. Während des Kapp-Putsches im Jahr 1922 kommt es auch in Weimar zu Schießereien und Straßenkämpfen. Ronald Zehrfeld hat als Gewerkschaftsführer ein paar zupackende Szenen, verschwindet aber mit der erfolgreichen Niederschlagung des Putsches gleich wieder vom Bildschirm. Viele Studenten leisten Widerstand, dabei hatte Direktor Gropius, eigentlich um das geforderte Bekenntnis zum Nationalismus abzuwehren, die Losung ausgegeben: „Das Bauhaus ist unpolitisch.“ Der kulturpolitische Visionär Gropius wird in der Serie nicht gerade als Feuerkopf und Revolutionär, aber auch nicht als Opportunist dargestellt. Mit feinem ironischen Mienenspiel pariert der stets kontrolliert bleibende August Diehl klug die meisten Angriffe. Sein Gropius ist ein Visionär mit einigem Geschick. Einzig seine Frau Alma und Dörte Helm vermögen es, ihn aus der Fassung zu bringen.

Die Neue ZeitFoto: ZDF / Julia Terjung
Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Nur in der Weberei kann Gunta Stölzl (Valerie Pachner) ihre Kreativität ausleben und ihr Talent in der Textilkunst entfalten.

Dörte Helm und der Prozess der Emanzipation
Das Bauhaus wird gleichzeitig nicht glorifiziert. Während sich das konservative Weimarer Bürgertum über nackt badende Studenten, zu viele Ausländer, Frauen und Juden an der Schule empört, muss sich Gropius im Inneren mit dem eigenwilligen Itten auseinander setzen, der in seinem Vorkurs die unsichere Dörte Helm malträtiert und sich als Anhänger der fernöstlichen Mazdaznan-Bewegung immer mehr zu einer Art Sekten-Guru entwickelt. Sein blutiges Reinigungsritual, dem sich einige Studenten freiwillig unterziehen, belegt die esoterische Experimentierfreude der Avantgarde der 1920er Jahre. Auch der Richtungsstreit mit der niederländischen Künstlergruppe „De Stijl“ wird nicht unterschlagen: Deren Apologet Theo van Doesburg (Nicki von Tempelhoff) scheitert in Folge vier mit einer Meuterei. Die detailreiche Serie, die so offenkundig auch einen dokumentarischen Anspruch hat, fällt nicht in seine Einzelteile auseinander, weil sie mit Gropius und Helm zwei starke Figuren im Zentrum hat, deren Mit- und Gegeneinander für die große Linie sorgen. Lange Zeit bleibt ihr Verhältnis schön in der Schwebe, sie nähern sich in Sympathie an, reiben sich aneinander, streiten Funken schlagend. Dörte Helm entwickelt sich eigenständig, debattiert mit ihrem Vater auf Augenhöhe, arbeitet hart daran, ihre künstlerischen Vorbilder nicht zu kopieren, quält sich mit Itten herum und gibt dennoch nicht auf, malt, fotografiert, druckt, beteiligt sich am Widerstand gegen die Putschisten, bewahrt auch ihre Eigenständigkeit gegenüber dem Kommilitonen Johannes Auerbach (Alexander Finkenwirth), der sich bereits als ihr Freund wähnt. Insofern wäre der Vorwurf, die weibliche Hauptfigur werde doch wieder nur über ihr Verhältnis zu einem Mann definiert, zu kurz gegriffen. Anna Maria Mühe findet eine Rolle mit großer Bandbreite vor, von einer jungen Frau, die sich erst vom Vater emanzipieren und ihren eigenen Weg finden muss, bis zur selbstbewussten Künstlerin, die zornig in Gropius‘ Büro stürmt und sich das Recht erkämpft, in Schlemmers Mal-Klasse aufgenommen zu werden.

Kraume und der „Spagat zwischen Fakten und Fiktion“
In den beiden letzten Folgen wird dann aber doch die vermeintliche Liebe zwischen Gropius und Helm zum dominanten Thema. Und während Ausstattung und Szenenbild so überzeugend detailgenau arbeiten, gönnt sich Kraume erzählerisch einige Freiheiten. Dabei ist es nicht so entscheidend, dass der von Ludwig Trepte gespielte Marcel Breuer eigentlich erst 1920 ans Bauhaus kam. Problematischer ist schon, dass der auch in der Realität vollzogene Selbstmord-Versuch Johannes Auerbachs in der Landkommune auf eine Lüge gegenüber der von ihr unglücklich geliebten Dörte Helm zurückgeführt wird. Jedenfalls sind wohl solche Details gemeint, wenn Lars Kraume davon spricht, „nur in den privaten Bereichen“ hätten die Macher „fabuliert“. Richtig schmerzhaft wird der „Spagat zwischen Fakten und Fiktion“, wenn der damalige Versuch der Weimarer Reaktionäre, Gropius über eine nicht bewiesene Liebesaffäre mit Dörte Helm zu Fall zu bringen (Folge fünf: „Das Ehrengericht“), als Blaupause für die eigene Verfilmung zu nehmen, um die Serie in ein tragisches Liebesdrama münden zu lassen.

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Arte, ZDF

Mit Anna Maria Mühe, August Diehl, Sven Schelker, Valerie Pachner, Ludwig Trepte, Trine Dyrholm, Alexander Finkenwirth, Sebastian Blomberg, Max Hopp, Corinna Kirchhoff, Birgit Minichmayr, Ernst Stötzner, Hanns Zischler, Ronald Zehrfeld, Marie-Lou Sellem

Kamera: Jens Harant

Szenenbild: Olaf Schiefner

Kostüm: Esther Walz

Schnitt: Barbara Gies, Jens Klüber

Musik: Christoph M. Kaiser, Julian Maas

Redaktion: Elke Müller, Andreas Schreitmüller, Olaf Grunert

Produktionsfirma: zero one film

Produktion: Thomas Kufus

Drehbuch: Lars Kraume, Judith Angerbauer, Lena Kiessler

Regie: Lars Kraume

EA: 04.09.2019 20:15 Uhr | Arte

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