Die letzten 30 Jahre

Rosalie Thomass, Barbara Auer: der Liebes-Diskurs der 70er in Theorie und Praxis

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Foto Rainer Tittelbach

Die fein austarierte Balance zwischen Gemeinschaft und Einzelnem, zwischen Liebe und Politik, zwischen Intimität und Öffentlichkeit ist die besondere Stärke dieses leise ironisierten Beziehungsdramas. Ruth Toma und Michael Gutmann erliegen nicht dem Reiz der Rekonstruktion der äußeren Welt der 70er Jahre. Da sie so nah bei ihren Figuren bleiben und die Geschichte „klein“ und bescheiden halten, kommt man als Zuschauer nie in Versuchung, dem Film zu viel Allgemeingültiges aufzubürden. Preiswürdig: Rosalie Thomass.

München 1974. Landei Resa beginnt in München, Jura zu studieren. „Es geht mir um Gerechtigkeit“, sagt sie und stößt damit bei linken Studenten auf Unverständnis. Oskar, der mit seinen „Roten Zellen“ glaubt, an der Revolution zu basteln, sieht das nicht so eng. Sie schlafen miteinander, aber Gefühle entwickelt nur Resa, die für ihre Liebe sogar Marx’ politische Ökonomie paukt. Doch Oskar will die Welt verändern – und dabei stören Gefühle nur. Also entliebt sich auch Resa und geht ihren eigenen Weg. Der führt sie nach fünf Jahren zu einem Einser-Abschluss. Da läuft ihr Oskar wieder über den Weg. Jetzt zeigt sie ihm die kalte Schulter, doch nachdem der Politaktivist, der jetzt gegen die Startbahn West kämpft, von ihrem Freund aus dem Knast geholt wird, verliebt er sich in die Gerechtigkeitsfanatikerin. Die Karriere kann mit dem privaten Glück nicht mithalten. Resa erhält Berufsverbot. Und dann ist Oskar auf einmal verschwunden. Erst 20 Jahre später kreuzen sich wieder beider Lebenswege: Sie ist eine engagierte Anwältin, die sich für den Umweltschutz stark macht, er steht der CDU nahe und ist Pressesprecher eines Industriekonzerns.

„Was die Welt braucht, ist gemischte Systematik“, heißt es immer wieder mit leiser Ironie in dem WDR-Fernsehfilm „Die letzten 30 Jahre“. Das ist die ins Politische gewendete Version des Liebesprinzips von den Gegensätzen, die sich anziehen. Dass sich dabei die Lebenskonzepte inklusive Familien- und Karriereplanung auch ins Gegenteil verkehren können, das ist gerade bei den (Post-)Achtundsechzigern keine Seltenheit. Diese fein austarierte Balance zwischen der Gemeinschaft und dem Einzelnen, zwischen Liebe und Politik, zwischen Intimität und Öffentlichkeit ist die besondere Stärke dieses Beziehungsdramas. Ruth Toma und Michael Gutmann erliegen nicht dem Reiz der Rekonstruktion der äußeren Welt, sie suchen keine Geschichte, um den Zeitgeist zu thematisieren und zu bebildern, sie erzählen ganz aus ihren Figuren heraus.

Die Geschichte von Resa und Oskar so „klein“ und bescheiden zu halten, macht „Die letzten 30 Jahre“ zu einem großen Film. Toma konzentriert sich auf die Politik der Gefühle, auf den Geschlechter-Diskurs, auf gängige Beziehungsmuster und die Konventionen des „Erwachsenwerdens“, die Oskar in jungen Jahren als die typische Flucht ins Private verhöhnt. Am Ende ist er der Familienvater mit Bungalow und Zweitwagen – und Resa ist allein geblieben. Da Toma und Gutmann so nah bei ihren Figuren bleiben, kommt man als Zuschauer nie in Versuchung, dem Film zu viel Allgemeingültiges aufzubürden. Das befreit ihn von den Klischees jener Jahre, wie sie in den Köpfen herumschwirren und in zu vielen Filmen über diese Dekade ausgebeutet werden. Es ist ein Film, der über die Schwierigkeiten von Liebe erzählt in einem Umfeld, in dem vor der Liebe andere „Werte“ stehen. Das muss nicht die Politik sein. Zwei Szenen zwischen Resa und ihren Eltern oder zwischen Oskar und seiner Mutter genügen – und man versteht, wo die beiden herkommen und man ahnt, wo sie hingehen werden. Und da ist dieser Film dann doch ein politischer Film, der Ideale und Werte, Ideologie und Zeitgeist spiegelt, der zeigt, wie aus Theorie Praxis wird und sich die werthaltige Praxis in selbstgerechten Pragmatismus verwandelt.

Die letzten 30 JahreFoto: WDR
30 Jahre nach den wilden Zeiten: Die engagierte Anwältin und der Polit-Pragmatiker. Barbara Auer und August Zirner

Schön, dass selbst Resa, die allein Gelassene, die eine Abtreibung hinter sich hat, am Ende eine milde Abgeklärtheit an den Tag legt. So kommt Barbara Auer in den Genuss, einmal wieder ein Drama spielen zu dürfen, in dem nicht nur die Wunden eines gelebten Lebens sichtbar werden. Auer hat sich genau angeschaut, wie die alles überragende Rosalie Thomass ihre Resa angelegt hat. Dieses erfrischend selbstgewisse Lächeln blitzt auch noch 2006 auf. Nicht nur mit ihrer emotionalen Intelligenz ist die weibliche Hauptfigur der Hoffnungsträger. „Die letzten 30 Jahre“ ist kein Drama der heruntergezogenen Mundwinkel. Keine Abrechnung mit der 70er-Jahre-Generation. Michael Gutmann erzählt mit leichter Hand (wozu auch der gelegentlich augenzwinkernde Einsatz der Musik gehört) und es liegt eine leise Ironie auf dem Film mit seinen milde registrierten historischen und individuellen Widersprüchen.

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Fernsehfilm

Arte, WDR

Mit Rosalie Thomass, David Rott, Barbara Auer, August Zirner, Andreas Giebel

Kamera: Kay Gauditz

Schnitt: Max Fey

Soundtrack: u.a. Joni Mitchell („Tin Angel“), James Brown, Rolling Stones, Dexy’s Midnight Runners („Geno“), David Bowie („Ashes To Ashes“), Buffalo Springfield

Musik: Rainer Michel

Produktionsfirma: Odeon Fiction

Drehbuch: Ruth Toma

Regie: Michael Gutmann

Quote: ARD: 3,59 Mio. Zuschauer (11,2% MA)

EA: 16.07.2010 20:15 Uhr | Arte

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