Die Kleinen und die Bösen

Herbst, Kurth, Sarnau, Markus Sehr. Der Bewährungshelfer und der Ganove

Foto: WDR / Martin Valentin Menke
Foto Tilmann P. Gangloff

Komödie, Drama, Krimi, Romanze: „Die Kleinen und die Bösen“ ist von allem ein bisschen. Aber der Genremix ist nur theoretisch reizvoll, weil die Zutaten kein harmonisches Ganzes ergeben. Sehenswert ist die Kino-Koproduktion vor allem wegen Peter Kurth und seiner unangenehm authentisch wirkenden Studie eines Proletariers: Hotte, ein notorischer Krimineller, will das Sorgerecht für seine Kinder; aber nur wegen des Kindergeldes. Bewährungshelfer Benno (Christoph Maria Herbst) will das um jeden Preis verhindern.

Wie so viele Filme, die als sogenannte Kinokoproduktion entstehen, hatte diese Komödie 2015 deutlich weniger als 20.000 Zuschauer; sie ist quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit gelaufen. Das hatte vermutlich viele Gründe, aber einer war möglich das Filmplakat: Es zeigt die beiden Hauptdarsteller Christoph Maria Herbst und Peter Kurth vis-à-vis mit weit aufgerissenem Mund, als würden sie sich anschreien und gleichzeitig gegenseitig in Angst versetzen; besonders einladend ist das nicht. Herbst spielt einen Bewährungshelfer namens Benno, Kurth den notorischen Kriminellen Hotte, der nie im Leben einen Finger für andere rühren würde, wenn nichts dabei für ihn herausspringt. Als er bei Benno vorstellig wird, um das Sorgerecht für seine beiden herwanwachsenden Kinder zu bekommen, die er gar nicht kennt, geht es ihm allein ums Kindergeld. Benno ist daher jedes Mittel recht, um zu verhindern, dass der Typ womöglich eines Tages die eigene Tochter auf den Strich schickt.

„Die Kleinen und die Bösen“ ist als Film mitunter durchaus eine Zumutung – nicht nur, weil er mitten in der komödiantischen Verwirrung mit Dennis einen Hoffnungsträger für das Gute im Menschen sterben lässt. Auch sonst rütteln Sehr und seine Autoren so manche Gewissheiten durch, sie machen sich über politische Korrektheit ebenso lustig, wie über den Jargon des Ganovenmilieus, und wenn sie am Ende mit ‚dem Wiener‘ einen Superschurken auftreten lassen, dessen Wiener Dialekt leider völlig unverstanden bleibt, bekommt ihre Geschichte noch eine Portion ausgelassene Absurdität verpasst. (Kölner Stadtanzeiger)

Die Kleinen und die BösenFoto: WDR / Martin Valentin Menke
Hier ist der Tonfall zumindest eindeutig: Der Kleinkriminelle Hotte (Peter Kurth) staucht seinen Bewährungshelfer Benno (Christoph Maria Herbst) zusammen.

Theoretisch sind die Rollen damit klar verteilt: Der Bewährungshelfer gehört zu den Guten, der Ganove ist der Schurke der Geschichte. Seltsamerweise führt der Film aber auch Benno als negative Figur ein: Seine Freundin (Anneke Kim Sarnau) will unbedingt schwanger werden, weshalb das Paar zu Bennos Freude dreimal am Tag Sex hat; dass er gar keine Kinder zeugen kann, hat er ihr tunlichst verschwiegen. Und weil Herbst die Ereignisse zu Beginn kommentiert und dabei entsprechend hämisch klingt, wird Benno nur deshalb nicht zum Antagonisten der Geschichte, weil Buch (Xao Seffcheque, Martin Ritzenhoff) und Regie (Markus Sehr) Hotte zum Prototyp des Proleten gemacht haben: schwitzend, schmerbäuchig und gewalttätig. Als ein Hund vor seine Wohnungstür pinkelt, gibt er dem Tier einen Tritt, schnappt sich die Besitzerin und stößt sie mit der Nase in die Pisse.

Bei Benno ist das ganz anders. Er wirkt zunächst wie ein typischer Beamter, der pünktlich den Computer ausmacht, dabei hat er, wenn’s sein muss, sogar nach Feierabend Zeit für seine Klienten. Hotte dagegen hat ein für alle mal schlechte Karten, erst recht, als sich herausstellt, dass er nicht mal über ein Mindestmaß an Ganovenehre verfügt: Weil Bennos Kollege Rolf (Pasquale Aleardi) nie seine Bürotür abschließt, wenn er rauchen geht, ist Hotte stets auf dem Laufenden, welcher seiner „Kollegen“ gerade im Knast sitzt; und bei denen bricht er dann ein. Als Benno ihm eine Falle stellt, um ihn in flagranti zu erwischen, besinnt er sich zwar gerade noch eines Besseren, aber bis dahin ist auch schon eine Menge passiert; unter anderem ist sein Sohn bei der Flucht vor der Polizei unter einen Zug gekommen.

Was dagegen ein wenig irritiert, ist die Temperatur des Films. „Die Kleinen und die Bösen“ ist zu ernst für eine Komödie und zu lustig für eine Tragödie. Schön, dass Markus Sehr auf dauerquasselnde kriminelle Knallchargen verzichtet und richtige Menschen zeichnet. Doch bei einem derart staubtrockenen Humor bräuchte es mehr Sentiment in der Geschichte, sonst gibt es Kratzen im Hals. (Tagesspiegel)

Es gibt also durchaus tragische Momente in diesem Film; die Einstufung als Komödie ist ohnehin nur angebracht, weil die Charaktere überzeichnet sind. Im Grunde ist „Die Kleinen und die Bösen“ jedoch ein Drama, das selbst für eine verkrachte Existenz wie Hotte Verständnis wecken will; der Einbrecher träumt von einem Lokal auf Mallorca, das er gemeinsam mit seiner 14jährigen Tochter Jenny (Emma Bading, vorzüglich geführt) führen will. Die Gelegenheit, das nötige Startkapital zu besorgen, liefert ein weiterer Klient Bennos: Der junge Ivic (Ivo Kortlang) weiß von einem österreichischen Autoschieber, der seine gesamten Einnahmen, immerhin 100.000 Euro, in einer Weste mit sich herumträgt. Die Weste wechselt nun gleich mehrfach den Besitzer, weshalb es im Schlussakt sogar fast richtig spannend wird, weil auch der von Reinhold G. Moritz grotesk überzogen dargestellte Verbrecher selbstredend sein Geld zurückwill.

Die Kleinen und die Bösen
Das Glück zum Greifen nah. Benno (Christoph Maria Herbst) kann es nicht fassen.

Die Handlung ist entsprechend abwechslungsreich, zumal sich Benno auch noch in eine portugiesische Kellnerin (Dorka Gryllus) verliebt und erneut vor dem Problem steht, dass eine Frau Kinder von und mit ihm haben will. In diesem Genremix soll sicher auch der Reiz des Films liegen, aber die Mischung funktioniert nicht recht, weil der Film mal Sozialkomödie und mal Drama, mal Romanze und mal Krimi ist; aber nie alles zugleich. Diese Unentschlossenheit beginnt schon mit der Einführung der beiden Hauptfiguren, die Vorzeichen setzt, von denen sie sich vermutlich emanzipieren sollen. Benno betrachtet sich selbst als „feigen Arsch“, beweist aber Mut und Engagement, ganz im Gegensatz zu Hotte. Selbst wenn der Ganove später ein Herz für Jenny zeigt: Sympathisch wird dieser asoziale Zeitgenosse nie, zumal Kurth den Kerl mit einer unangenehmen Authentizität versieht. Ähnlich unsubtil ist der Humor des Films: Hotte hat gekocht, er war extra beim Pferdemetzger, wie er Jenny versichert; dann fällt sein Blick auf ihre Pferdebettwäsche.

Die Kleinen, das sind jugendliche Straftäter, die bei ehemals straffälligen Kioskbesitzern einbrechen, selten mehr als ein paar Zigaretten stehlen und am Schluss verprügelt werden. Die Bösen, das sind Gewohnheitstäter, mittlere Schwerverbrecher, die Autos verschieben, 100.000 Euro in Westentaschen verstecken und sich gegenseitig überfallen. Oder war es andersrum? Die Guten jedenfalls sind ein Bewährungshelfer, zwei Kinder eines glücklosen Kleinganoven und eine portugiesische Stripteasetänzerin mit autistischer Tochter. Sie sind – langweilig – unschuldig, am Ende reich und im Exil auf den Azoren. Dazwischen liegen Brutalität, Eifersucht, Gier, Neid und eine große Portion Glück. Leider hat Markus Sehr daraus einen glatten Film ohne Zwischentöne gedreht, der sich vor allem auf seine beiden Hauptdarsteller verlässt. (epd film)

Autor Seffcheque, der die Geschichte in die Tradition der britischen Sozialkomödie stellt, sieht das naturgemäß alles etwas anders: Das Drehbuch ist bereits 2004 gefördert worden, aber „dann begann eine elfjährige Odyssee, weil die Geschichte nicht der üblichen Setzkastendramaturgie entspricht. Wir hatten große Schwierigkeiten, den Stoff bei einem Sender unterzubringen.“ Grünes Licht gab es erst nach der Zusage von Christoph Maria Herbst. Trotzdem kann „Die Kleinen und die Bösen“ die Erwartungen, die Sehr mit seinem originellem Regiedebüt „Eine Insel namens Udo“ (2011, mit Kurt Krömer als „Unsichtbarem“) geweckt hat, nicht erfüllen. Zuletzt hat er drei Beiträge für die ZDF-Krimis „Friesland“ gedreht, von denen zumindest zwei, „Klootschießen“ und „Irrfeuer“ (der dritte war „Krabbenkrieg“), ebenfalls eher enttäuschend waren. (Text-Stand: 25.4.2017)

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Kinofilm

Arte, WDR

Mit Christoph Maria Herbst, Peter Kurth, Anneke Kim Sarnau, Dorka Gryllus, Pasquale Aleardi, Traute Hoess, Emma Bading, Ivo Kortlang, Reinhold G. Moritz

Kamera: Leah Striker

Szenenbild: Stefan Schönberg

Kostüm: Ulrike Scharfschwerdt

Schnitt: Dirk Oetelshoven

Musik: Paul Eisenach, Ryan Robinson

Produktionsfirma: Coin Film

Drehbuch: Xao Seffcheque, Martin Ritzenhoff

Regie: Markus Sehr

EA: 12.05.2017 20:15 Uhr | Arte

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