Von der wohlbehüteten Bürgerstochter zum geschändeten Racheengel
München, 1517. Veva (Ruby O. Fee), die wohlbehütete Tochter von Kaufmann Bartholomäus Leibert (Johannes Zeiler), beginnt gerade, sich ein kritisches Bild von der Welt zu machen, fühlt sich angesprochen von den freigeistigen Ideen ihres Jugendfreundes, dem Maler Ernst Rickinger (Christoph Letkowski), da wird sie und ihre Familie Opfer einer grausamen Intrige. Ihr Vater, ein einflussreicher Glashändler und heimlicher Bewunderer des Universalgelehrten Leonardo da Vinci, will dem katholischen Pfarrer Johann von Perlach (Paulus Manker) und seiner Willkürherrschaft Einhalt gebieten, doch der erzkonservative Gottesmann kommt ihm zuvor: Er lässt ihn und seinen Sohn töten, sein Haus niederbrennen und überträgt Leiberts Besitz der Kirche. Auch Veva spielt eine entscheidende Rolle in seinem Plan: Nachdem die blutrünstigen Schergen von Walpurga von Gigging (Elena Uhlig), Johann von Perlachs rechter Hand, die junge Frau verschleppt und geschändet haben, macht er sie zur Zeugin des Angriffs auf ihr Elternhaus, bei dem die von ihm gedungenen Meuchelmörder die typische Ketzermaske tragen. „Die Ketzer waren das, die Gottlosen!“, dieser Satz meißelt sich ein in Vevas Seele – und sie will fortan nur eines: Rache an ihrer Familie, Auge um Auge, Zahn um Zahn. „Ich will, dass sie dafür sterben: die Ketzer!“ Was sie noch nicht weiß, dass auch Ernst Rickinger zu jenen Rebellen gehört, die Martin Luther (Adrian Topol) unterstützen, ja, dass er der „Ketzer“ von München ist. Ausgerechnet ihn möchte sie heiraten, damit sie Bürgerin werde und damit das Recht erlange, Jagd auf die Ketzer zu machen. Die Köpfe der Gottlosen bringen sollen ihr ausgerechnet Walpurgas Folterknechte, die einst über sie hergefallen sind.
Foto: Sat 1 / Dusan Martincek
Für die Wandlungen der „Wanderhure“ braucht die „Ketzerbraut“ nur einen Film
Nach der erfolgreichen „Wanderhuren“-Trilogie hat sich Sat 1 erneut an eine weitere Iny-Lorentz-Verfilmung gemacht. Wie die historischen Schwarten des Autorenehepaares Iny Klocke und Elmar Wohlrath setzt auch der Film „Die Ketzerbraut“ auf das bewährte Muster: Eine junge, schöne Frau gerät in die (macht)politischen Wirren ihrer Zeit – und erweist sich als Kämpferin für die gute Sache. Folgte dem Film „Der Wanderhure“ (2010) zwei Jahre später „Die Rache der Wanderhure“ und „Das Vermächtnis der Wanderhure“, haben die Drehbuchautoren Thomas Wesskamp, Dirk Salomon und Hansjörg Thurn, der zugleich die Regie übernahm, bei dem neuen History-Event alle diese Wandlungen, denen die von Alexandra Neldel gespielte „Wanderhure“ ausgesetzt war, die Ketzerbraut nun in zwei Filmstunden und einem einzigen Fernsehfilm durchlaufen lassen. Nach der blauäugigen Coming-of-age-Phase folgt für die seelisch gebrochene Frau die Zeit als ein blindwütiger Racheengel, der das feige Verbrechen an seiner Familie sühnen will, bevor ein weiterer, beinahe tödlicher Schicksalsschlag jene Genoveva Leibert schließlich zur weitsichtigen Vermächtnisverwalterin ihres Vaters werden und zu geradezu messianischer Größe auflaufen lässt. Und das ist nicht die letzte „Wiederauferstehung“, der sich die schöne Heldin erfreut.
Lebensphilosophische Sentenzen, auf das Genre heruntergebrochen:
„Ein freier Mensch zu sein bedeutet Verantwortung tragen.“ / „Es könnte einen Glaubenskrieg geben, und das ist schlecht fürs Geschäft.“ / „Blinder Hass ist ähnlich gefährlich wie blinder Glaube.“ / „Ihr seid gefährlich, Luther, für die Ordnung der Dinge.“ / „Den Kampf gegen die Fugger dieser Welt überlassen wir künftigen Generationen.“ / „Beugt euch keiner Kirche, die euch knechten will.“
Foto: Sat 1 / Dusan Martincek
Den Zeithorizont eingefangen: Leben heißt noch – alttestamentarisch – Kampf!
Wie das Bestseller-Duo wildern auch die Drehbuchautoren im Gedankengut der Reformation und bemächtigten sich des gängigen Zeichen-Fundus’ eines stereotyp fiktionalisierten Spätmittelalters. Da wird unter dem christlichen Deckmantel der „rettenden Ordnung der Welt“ gebrandschatzt, gefoltert und gemordet. Da wird der den kirchlichen Ablasshandel kritisierende Mönch aus Wittenberg mit seinen 95 Thesen und auch der zynisch pragmatische Liberalismus des Augsburger Fürsten Jakob Fugger, eines der mächtigen Geschäftsleute jener Jahre, ins Spiel gebracht. Im Zentrum der Geschichte aber stehen die ausgedachten Charaktere, allen voran die Titelheldin, ihr freigeistiger Liebhaber, der wahnhaft böse Katholik mit der eisernen Faust sowie die nicht minder grausame Walpurga von Gigging, die im Harnisch ihres längst verstorbenen Ritter-Gatten im Land Angst und Schrecken verbreitet. Im Gegensatz zu den Iny-Lorentz-Verfilmungen im ZDF, „Die Pilgerin“ und „Das goldene Ufer“, bleibt die philosophische Dimension in „Die Ketzerbraut“ unterbelichtet. Auch wenn hier der Zeithorizont, die Kultur- und Kirchenhistorie, immer wieder alibihaft im Dialog eingefangen wird – die Geschichte wird weniger als eine Reise auf dem Weg ins Leben, ins Zeitalter der Vernunft oder ins Licht der erkenntnisreichen Wissenschaft, erzählt. Leben ist und bleibt lange Zeit alttestamentarischer (Überlebens-)Kampf. Erst am Ende entsteht eine Ahnung von einer freieren Gesellschaft. Die Inquisition ist besiegt – und Bella Italia lockt.
Ruby O. Fee darüber, wie man sich der 500 Jahre alten Zeit anverwandelt:
„Man muss sich das wie einen Traum vorstellen, eine Fantasiewelt, die man selbst erfunden hat. Was in einem Traum passiert, erscheint einem ja real: die Gefühle und selbst die absurdesten Situationen. An einem Filmset ist das ähnlich: Man spielt nicht, man agiert wie in einem Traum – und damit ist es echt.“
Foto: Sat 1 / Dusan Martincek
Die Metamorphosen der Ruby O. Fee: „Star“-Qualität & Spielen wie in Trance
Bei einer solchen Ausrichtung der Geschichte liegt es nahe, dass die Schauwerte über die Sinnhaftigkeit des Erzählten dominieren, die Aktionen über die Dialoge, die Schauspieler über ihre Charaktere. Der Handlungsverlauf ist erwartungsgemäß vorhersehbar: Intrige, Rache, Verfolgung und die Stunde der Moral – alles hat seine Zeit. Die Dramaturgie ist simpel. Einzig überraschend sind die Metamorphosen der Heldin. Überhaupt, jene Genoveva ist der Atem des Films, der Herzschlag der Handlung, der Mythos der Geschichte. Entsprechend groß ist die Irritation und Enttäuschung, als nach ihrem vermeintlichen Tod der Film sich anschickt, ohne sie weitergehen zu wollen. Mehr noch als bei den drei „Wanderhuren“-Abenteuern ist die Hauptdarstellerin das Gesicht des Films: Ruby O. Fee ist mehr als ein hübscher Hingucker. Sie hat mehr als ein hinreißendes Lächeln, ein einnehmendes Wesen, eine magische Aura, wie sie „Stars“ nachgesagt wird. Sie bedient ihre Figuren nicht nur, indem sie 1:1 dem Konzept ihrer Rolle und dem folgt, was im Textbuch steht, ihr Spiel widersetzt sich dem rein Rationalen, dem nur Zweckmäßigen, gleicht in ihren schönsten Momenten einem Trance-Zustand. Selbst im Alltagsgenre Krimi gelangen ihr zwei überaus coole Performances („Tatort – Happy Birthday, Sarah“ / „Tatort – Kartenhaus“). In dem realistischen Mittelalter-Western „Das Geheimnis der Hebamme“ zeigte sie, wie sie einem Drei-Stunden-Film ihren Stempel aufzudrücken imstande ist. Ihre eigene Diktion und ihr verlorener Blick erzählten diesen Film.
Es gibt genügend gute Gründe für eine Verabredung mit der „Ketzerbraut“
Weil Hansjörg Thurn ein solider Handwerker, aber weder ein „Authentizitäts“-Verfechter wie Roland Suso Richter ist noch einer, der wie Philipp Kadelbach auf der Suche nach einer mythologischen Bildsprache ist, klappt das in „Die Ketzerbraut“ mit dem Sat-1-typischen Dreck-in-Hochglanz-Konzept nicht ganz so gut. Dennoch ist Ruby O. Fee auch das Haupt-Ereignis dieses „Event-Movies“. Allerdings sind – im Gegensatz zu den Männern, die auf das Wort (und auf die mittelmäßigen Dialoge) reduziert werden wie Martin Luther oder Jakob Fugger – die Figuren, die wüten, toben und sich verkleiden dürfen, gut besetzt und werden mit passender psychophysischer Wucht dargestellt: Christoph Letkowki („Nachtschicht“) als malender „Ketzer“ von München, Paulus Manker („Die Seelen im Feuer“), das Enfant terrible der österreichischen Kulturszene als Wüterich im Zeichen der heiligen Inquisition, und Elena Uhlig („Sexstreik“), die ihr Mannweib der durchtriebenen Art laut ins Phantastisch-Surreale überzeichnet. Wer diesem Genre also nicht völlig verständnislos gegenübersteht, hat genügend gute Gründe für eine Verabredung mit der „Ketzerbraut“. (Text-Stand: 15.1.2017)