Neue Hauptdarstellerin – Konzept & Tonlage haben sich nicht merklich verändert
Nach dem Tod von Lisa Martinek hat die Titelfigur der ARD-Serie „Die Heiland – Wir sind Anwalt“ ein neues Gesicht: Christina Athenstädt („Familie Dr. Kleist“). Konzept und Tonlage aber haben sich nicht merklich verändert. Immerhin waren die ersten sechs Folgen der Serie im Herbst 2018 beim Zuschauer recht erfolgreich (mit bis zu 4,72 Mio. Zuschauern). Und so bleibt es auch dabei, dass sich die Anwältin mit einem Sehrest von einem Prozent mit den kleinen Fischen abgeben muss. Dennoch ist sie nach wie vor unverzagt, nutzt digitale Hilfsmittel, nimmt peinliche Situationen schon mal mit einem Lächeln – und sie hat nach wie vor Ada Holländer an ihrer Seite. Auch die junge Frau mit der Berliner Schnauze und der Plattenbausozialisation ist nicht zuletzt dank der (vor)trefflichen Anna Fischer die Gleiche geblieben: ein wacher Blick, das Herz auf der Zunge, mal in ihrer Einschätzung etwas vorschnell („Der verarscht sie“) und nicht selten einem Vorurteil erlegen („Ich würde diesen Schrat auch aus dem Wald jagen“). Aber die Gegenüber der beiden liegen ja ebenfalls nicht immer sofort richtig: „‘ne Blinde und eine Klugscheißerin“, mault beispielsweise in der Auftaktfolge „Unter die Haut“ der Mandant, ein verurteilter Strafgefangener. Was Ada wenig später nicht unbeantwortet lässt: „Der sieht aus wie ein Schwerverbrecher, Frau Heiland.“
Foto: RBB / Hardy Spitz
Christina Athenstädt macht es anders als Martinek, aber auch sie macht es gut
„Lisa Martinek und Anna Fischer spielen die Kontraste elegant & beiläufig weg und sind das Herzstück des Films. Die Kopfnote gehört den Fällen, in welche allerdings auch reichlich Emotionen investiert werden.“ Diese Sätze aus der Kritik zur ersten Staffel haben weiterhin Gültigkeit. Nur, dass es jetzt Christina Athenstädt ist, die Romy Heiland, diese „Mischung aus Sissi und Jesus“, verkörpert. Als Zuschauer muss man sich an ein neues Gesicht in einer Serie erst gewöhnen, besonders, wenn es sich um eine weitgehend unbekannte Schauspielerin handelt. Die 41Jährige macht es anders als die populäre Martinek, aber auch sie macht es gut. Die Figur ist bei ihr etwas weicher, wirkt eine Idee warmherziger und auch etwas offener, sie ist durchaus sehr bestimmt, aber keineswegs schnippisch oder streng. Vielleicht ist sie auch (soweit sich das nach bisher nur zwei fertigen Folgen sagen lässt) etwas weniger verletzlich und einsam: Zwar hat ihr Freund Ben (Peter Fieseler) wegen einer anderen mit ihr Schluss gemacht, aber ein Tanzkurs, bei dem – was für ein Zufall! – auch der neue Staatsanwalt Rudi Illic (Aleksandar Jovanovic) auftaucht, könnte sie auf neue Gedanken bringen. Dass ihr Graupapagei Youri nun ein Frauchen hat, könnte ein Wink in diese Richtung sein. Womöglich hängen diese gefühlten Nuancen der Heilandschen Befindlichkeiten auch zusammen mit der Nachjustierung einiger Interaktionsstellschrauben. So hat es den Eindruck, als ob sich die besorgte Heiland-Mutter (Peggy Lukac) nun etwas weniger penetrant in das Leben ihrer Tochter einmischen würde. Auch sieht es so aus, als ob das Duo – was ja bereits im Drehbuch angelegt sein könnte – etwas weniger auf Gegensatz gebürstet ist. Wie in der ersten gelingt es auf jeden Fall auch in der zweiten Staffel beiden Hauptdarstellerinnen in ihren Rollen, ein sympathisches, alltagsnahes Miteinander und gleichsam ein positives Spannungsfeld zwischen sich und dem Zuschauer aufzubauen. Das ist bekanntlich das A&O einer Wohlfühlserie.
Foto: RBB / Hardy Spitz
Eine populäre Serien-Antwort auf die immer lauter geführte Diversitäts-Debatte
„Die Heiland – Wir sind Anwalt“ ist in erster Linie Fernsehen zum Zeitvertreib, eine kritische Haltung zeigt sich allenfalls einmal auf einem T-Shirt („Rettet unsere Erde“) oder in einem Nebensatz, weniger im Plot. Die vordergründige Handlung ist sorgfältig entwickelt, wird flüssig und freundlich erzählt, ein dichtes Geflecht an psychologischen oder sozialen Subtexten, wie man es beispielsweise aus guten amerikanischen Drama-Serials kennt, besitzt diese Dienstagabend-Unterhaltungsserie allerdings nicht. Immerhin ist ein kleiner – nennen wir es – gesellschaftlich relevanter Mehrwert erkennbar: So steigert das Handicap der Heldin eben nicht nur das Mitgefühl beim Zuschauer (wobei sich die zahlreichen Autoren bemühen, den Blindenstock nicht emotional zu missbrauchen), sondern die Serie spielt im beiläufig-achtsamen Vorbeigehen gelegentlich auf den wenig sensiblen Umgang mit Behinderten im Alltag an. Selbst der Mann, der später recht angetan ist von der Frau, die niemals beruflich abschalten kann, der Herr Staatsanwalt, hätte sie bei der ersten Begegnung beinahe umgerannt. Vor allem Ada ist es, die etwas mehr soziales Verhalten gegenüber ihrer Chefin einfordert.
Diese Romy Heiland ist eine populäre Antwort auf die immer lauter geführte Diversitäts-Debatte, die auch vor fiktionalen Fernsehinhalten nicht Halt macht. Und natürlich kann diese Serie bei aller Romantisierung des Blindseins à la Wer nichts sieht, der hört, riecht oder fühlt umso besser auch Betroffenen Mut machen. Vor allem aber zeigen die sechs 45-Minüter der Gesellschaft, dass auch mit einer „Behinderten“ zu rechnen ist. Aber auch andere Vorurteile nehmen die Autoren ins Visier. Diese zielen häufig in Richtung einer Stigmatisierung von Menschen durch Äußerlichkeiten oder den ersten Eindruck. Da ist Ada so ein bisschen Volkes Stimme, während sich die blinde Heldin ohne Vorbehalte allein der Sache widmen kann.
Foto: RBB / Hardy Spitz
„Ich würde sagen, Romy und ich stimmen zu 80 Prozent überein. Wenn Christina Athenstädt daher Dinge so umsetzt, wie es Lisa Martinek getan hat, dann liegt es nicht daran, dass Christina Lisa kopiert, sondern dass beide mit viel Herzblut mich kopieren und das ist ja auch so gewollt.“ (Pamela Pabst, blinde Strafverteidigerin)
Wer nichts sieht kann besser zuhören: das Menschliche hinter den juristischen Fakten
Romy Heiland macht mehr als Verteidigung nach Vorschrift. Sie will verstehen, was vor sich geht. Eine Prämisse dieser Figur scheint zu sein: Weil sie nichts sieht, kann sie umso besser zuhören und Zwischentöne erkennen, und sie hat Menschenkenntnis. Sie ringt nach der Wahrheit. Recht und Gerechtigkeit und womöglich der Widerspruch zwischen beidem steht in den Fällen ebenso wenig im Vordergrund wie eine juristisch spitzfindige Lösung oder rhetorisch elaborierte Plädoyers. Häufig führen Zufalle, Intuition oder ein Trick die Fälle zu ihrem glücklichen Ende. Bei „Die Heiland“ geht es um die menschlichen Geschichten hinter den juristischen Fakten. Des Pudels Kern liegt in den Beziehungen. Da geht es um eine „ungleiche“ Liebe in der Startfolge oder um zwei Brüder, die sich überworfen haben in „Der Mann im Wald“. Weniger gut schlichten lassen sich die emotionalen Probleme in der eigenen Familie. Hat Heiland Senior (Rüdiger Kuhlbrodt) eine Affäre? Und wer ist dieser Busfahrer (Rolf Kanies), den Ada so entgeistert anstarrt? Und wie will Adas Bruder (Tim Kalhof) eigentlich ihr das Geld, das er verzockt hat, zurückzahlen? Zumindest ein Subplot in dieser neuen Staffel verspricht einen horizontalen Erzählstrang, der mehr ist als das gewöhnliche Alltagsgeplänkel am Rand einer solchen auf ein Millionenpublikum abzielenden Serie.
„Ich habe sie nicht extra anders angelegt oder neu interpretiert oder bewusst verändert. Ich bin einfach ein anderer Mensch, eine andere Schauspielerin, und deshalb ist es automatisch anders geworden.“ (Christina Athenstädt)
Foto: RBB / Hardy Spitz
Maßgeblich zum guten Flow der Serie tragen die launigen Dialogwechsel bei
Sie sind oft leicht pointiert, aber nie so, dass der Gag den Fortgang der Handlung beeinträchtigen würde. Einige Beispiele:
Erste Szene der neuen Staffel. Ada (aufgeregt): „Mein erster Mord.“ Heiland: „Das war nicht Mord, das war Todschlag.“ Ada: „Oh, da bin ich beruhigt.“ Nach der ersten Befragung eines Mandanten, jenes verurteilten Strafgefangenen, der behauptet, sein Geständnis vor sechs Jahren sei gelogen. Ada: „Der sieht aus wie ein Schwerverbrecher.“ Heiland: „Wie sehen Schwerverbrecher denn aus?“. Erstes Gespräch zwischen der Anwältin und dem Staatsanwalt. Es geht um ein mögliches Wiederaufnahmeverfahren. Illic: „Manchmal ist es gut, Vergangenes ruhen zu lassen.“ Heiland (beiläufig): „Ich habe Sie nicht nach Ihrem Lebensmotto gefragt.“ Die Anwältin möchte vermitteln zwischen einem Aussteiger, der im Wald lebt, und dem Waldpächter, und sie stimmt ihren Mandanten auf die Verhandlung ein. Der aber hat seine Grundsätze: „Ich werde mich nicht für etwas entschuldigen, das ich nicht bereue.“ Heiland: „Können Sie nicht wenigstens so tun als ob?!“