Romy Heiland – Die Sympathien für diese Anwältin müssten eigentlich in den Himmel wachsen. „Das ist wie eine Mischung aus Sissi und Jesus“, bringt es eine Episodenfigur der neuen ARD-Serie „Die Heiland – Wir sind Anwalt“ auf den Punkt. Von einem übermäßigen Ansturm auf die Berliner Kanzlei der Mittvierzigerin kann in den sechs Geschichten aber nicht die Rede sein. Romy Heiland (Lisa Martinek) ist blind, nach draußen gehen, Kontakte und Mandantenpflege sind ihre Sache nicht. Sie ist froh, dass sie es überhaupt geschafft hat, sich von ihrem langjährigen Lebens- und Kanzleipartner Ben Ritter (Peter Fieseler) zu trennen und sich selbstständig zu machen. Trotzdem bekommt sie von ihren Eltern noch immer „gute“ Ratschläge. Ihr Vater Paul (Rüdiger Kuhlbrodt) war Richter; von seinen Verbindungen kann Romy mitunter noch heute profitieren. Mutter Karin (Peggy Lukac) mischt sich dagegen ständig in zwischenmenschliche Belange ein. Besonders Romys Urlaubsvertretung findet sie vollkommen unpassend für eine seriöse Kanzlei. Dabei mausert sich die von der Juristerei absolut unbeleckte Ada Holländer (Anna Fischer) nach und nach zu einer umsichtigen Assistentin, die quasi „das sehende Auge“ ihrer Chefin sein muss. Und weil die Chemie trotz aller Unterschiede stimmt zwischen den beiden Frauen bietet Romy Heiland zur Halbzeit der sechsteiligen Serie der Ex-Krankenschwester und Ex-Barfrau eine feste Stelle an.
„Die Heiland – Wir sind Anwalt“ ist mit ihrer episodischen Fall-Struktur eine typische ARD-Dienstagabendserie. Allerdings eine der besseren Sorte. Herzstück sind die beiden unterschiedlichen Hauptfiguren. Überfliegt man das Presseheft der ARD oder liest des Programmdirektors Vorwort, ahnt man Fürchterliches: „Romy Heiland aus gutem Haus kommend, höchst organisiert, zielstrebig ohnehin; Ada vom Arbeitsamt vermittelt, chaotisch und ‚keine Ahnung von Jurakunde‘.“ Dass diese hierzulande immer noch so beliebte Setzung extremer Charakter-Kontraste dann allerdings erträglich ausfällt, ist maßgeblich Lisa Martinek und Anna Fischer zu verdanken. Die Beiläufigkeit, mit der sie die Gegensätzlichkeiten ihrer Figuren andeuten, um sie im nächsten Moment elegant wegzuspielen, ist bestechend. Überhaupt ist der Grundton zwischen den beiden so unterschiedlichen Frauen angenehm entspannt. Das Selbstvertrauen und den Optimismus der anfangs reichlich naiven Ada, deren Wiedererkennungszeichen ihr fröhliches „Tschüssi“ ist, kann so schnell nichts erschüttern, und auch die titelgebende Hauptfigur zweifelt nur selten an ihren Fähigkeiten. Strukturen geben ihr Sicherheit, und ihre freundlichen, sprechenden Gerätschaften unterstützen sie dabei. Nur der Fall eines Parkinson-Patienten („Tödliche Tropfen“), der sich nicht selbst versorgen kann und seinen Liebsten eine große Last ist, macht Romy Heiland nachdenklich. Doch selbst solche emotionalen Tiefpunkte werden komisch aufgelöst: „Sie mussten ihm ständig was bringen?“, fragt die Anwältin bei der Pflegerin nach, die des „versuchten Mordes mit mittelbarer Täterschaft“ angeklagt wird. Daraufhin Ada: „Kommt mir irgendwie bekannt vor.“
Eine der großen deutschen Serien-Überraschungen der letzten Jahre ist „Danni Lowinski“ mit Annette Frier. „Die Heiland – Wir sind Anwalt“ könnte man als einen Versuch beschrieben, diese erfrischend andere Anwältin aufzuspalten auf zwei unkonventionelle Hauptfiguren. Denn nicht nur die Seiteneinsteigerin Ada Holländer mit ihrer Berliner Schnauze und der Plattenbau-Sozialisation ist eine gesellschaftliche Außenseiterin, auch Romy Heiland bleibt mit dem einen Prozent Sehrest eine Randfigur im Spiel der Reichen und Mächtigen. Trotz ihrer juristischen Kompetenz muss sie sich mit den kleinen Fischen abgeben, mit Fällen also, die finanziell wenig einbringen – und es scheint sie nicht einmal besonders zu stören. Dabei spielt sicherlich auch der Einfluss ihrer Assistentin eine Rolle. Während diese die Fälle vor allem intuitiv begreift und sich die Situationen zu Herzen nimmt, hält sich die Rechtsanwältin stärker an den Buchstaben des Gesetzes. Doch Adas moralische Sichtweise färbt zunehmend ab. Einfach nur vertreten möchte Romy Heiland ihre Mandanten nicht. Sie will verstehen, was vor sich geht. Sie will die Wahrheit wissen. Und da haben sich die Autoren um Jana Burbach so allerhand moralische Geschichten von der 2010er-Zeitgeist-Agenda (Vergewaltigung, Pflege, Homosexualität, muslimischer Jungfrauenmythos) ausgedacht, die nicht immer ein Höchstmaß an Originalität besitzen, die aber mit ihren überraschenden Wendungen unterhalten. Es sind weniger skurrile Fälle als bei „Danni Lowinski“ und sie werden weniger juristisch spitzfindig gelöst. Dafür stecken sehr viel komplexere (Beziehungs-)Geschichten hinter den vermeintlich so eindeutigen juristischen Fakten. Und so endet nicht jeder Fall vor dem Kadi; mitunter muss die Anwältin insbesondere psychotherapeutische Lebenshilfe geben.
„Mein Buch heißt ja ‚Ich sehe das, was ihr nicht seht‘. Damit ist nicht gemeint, dass ich irgendwie übersinnliche Fähigkeiten hätte. Ich kann auch nicht immer hören, ob jemand die Wahrheit sagt oder nicht. Aber ich denke, ich habe einen anderen Blick auf die Welt, weil ich mich nicht von den optischen Dingen ablenken lasse und so dichter an den Menschen dran bin und mich vielleicht besser auf diese einstellen kann. ‚Sehen‘ bedeutet bei mir auch, mit allen Sinnen wahrzunehmen.“ (Pamela Pabst, blinde Strafverteidigerin)
In „Die Heiland – Wir sind Anwalt“ operieren also keine souveränen juristischen Super-Heldinnen. Plädoyers vor Gericht werden nicht zu rhetorischen Meisterleistungen, wie sie männlichen Anwaltsnarzissten wie einst Manfred Krugs Robert Liebling oder zuletzt Fritz Karls Falk von Drehbuchautoren in den Mund gelegt werden. Fehlermachen gehört bei den beiden Frauen zum Alltag. Die Titelfigur nutzt sogar – wenn es sein muss – schon mal ihr Handicap, um an ihr Ziel zu gelangen. Ansonsten aber spielt die Serie bislang narrativ-fiktional bei weitem nicht alle Möglichkeiten des Blinden-Motivs aus. In anderen Ländern würde da sicherlich sehr viel frecher und freier geplottet. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen aber geht „Realismus“ bzw. Realitätsnähe bekanntlich über alles; gerne lässt man sich die Fiktion von der Wirklichkeit beglaubigen. Das ist ehrenwert, aber nicht immer sexy. Hinzu kommt die Anlehnung an eine reale Person, auch sie könnte ein Grund für die seriöse Zurückhaltung sein: Die RBB-Serie sei inspiriert von den Erzählungen von Pamela Pabst, Deutschlands erster von Geburt an blinden Strafverteidigerin mit eigener Kanzlei in Berlin. Ihre Erfahrungen hat sie zusammengefasst in dem Buch „Ich sehe das, was Ihr nicht seht.“ Lisa Martinek habe mit ihr viel Zeit verbracht und sich einiges von ihr abgeguckt – „ihre Körperlichkeit, ihre Direktheit, ihren Humor“, so die Schauspielerin. „Vieles hat auch unsere Headautorin Jana Burbach von ihr übernommen, weil man sich das gar nicht ausdenken kann.“ Martinek selbst habe „diese Diskrepanz zwischen absoluter Souveränität und großer Zerbrechlichkeit an der Rolle am meisten gereizt“. Neben den komödiantischen Momenten des ungleichen Duos und der Lockerheit im Umgang der beiden Frauen (auch mit der Behinderung) gehört jene Diskrepanz zu den Stärken von „Die Heiland“. In einer zweiten Staffel könnte man allerdings auch mal versuchen, die Wohlfühlkomfortzone zu verlassen – und beispielsweise zeigen, wie andere Menschen die Blindheit der Heldin ausnutzen.