Ein Multimillionär möchte im Herbst seines Lebens endlich mal was Gutes tun
Das kann doch noch nicht alles gewesen sein. Allein mit seinem Butler und einzigen Vertrauten Herr Wagner (Ovidiu Schuhmacher) lebt der Multimillionär Gottlieb Herzinger (Branko Samarovski) in einer hochherrschaftlichen Villa am Starnberger See. Jahrelang hatte der Mann nur die Mehrung seines Vermögens im Blick, mit der Tochter ist verkracht – und so schlägt ihm im Herbst des Lebens die Einsamkeit entgegen. Es muss etwas passieren. Es wird etwas passieren. Herzinger will seinem Namen Ehre erweisen. Nach vier gescheiterten Ehen ist es bei ihm zu spät fürs große Glück, Anderen aber kann geholfen werden. Ein Luftballon mit Wünschen an den Weihnachtsmann, kindliche Hilferufe: für den sentimental gestimmten Mäzen ist das ein Wink des Schicksals. Über die Kinder stößt er auf drei Familien: auf Ines (Katharina Schüttler) und Max (Sergej Moya), sie erfolgreiche Anwältin, er leidenschaftlicher Musiker und Hausmann; auf Firat (Eko Fresh) und Natascha (Karolina Lodyga), er Spaßvogel und Kleinunternehmer, sie konsumfreudige Hausfrau und Mutter; und schließlich auf die Problemfamilie mit Mathematiker Jasper (Manuel Rubey) und Simone (Lena Dörrie). Sie redet nicht viel, er schweigt am liebsten, und ihr gemeinsamer Sohn spricht kein einziges Wort. Herzinger möchte, dass diese Familien glücklicher werden, ja, es zumindest versuchen. Als Anreiz winkt allen drei Parteien je eine Million Euro. Belohnt wird bereits der Versuch.
Eine Komödie kann so viel mehr, als einem TV-Dramödien weismachen wollen
Diese klassische Win-win-Situation hat sich die sechsteilige Serie „Die Glücksspieler“ zum Ausgangspunkt genommen. Eine wunderbar absurde Idee – und so können es die für das einjährige „Spiel“ ausgewählten Kandidaten zunächst gar nicht fassen. Je verkopfter umso größer das Kopfschütteln über diesen Vorschlag. Sie machen dennoch mit. Drei Grundregeln gibt es allerdings. 1. Strikte Geheimhaltung; die Ehepartner dürfen nicht eingeweiht werden. 2. Jede Woche gibt es eine Zusammenkunft der drei Spieler in einer Kanzlei, die ihr Gönner per Webcam mitverfolgen wird. 3. Alle drei müssen das gesamte Jahr durchhalten. Wird gegen eine dieser Bedingungen verstoßen, ist das Spiel für alle beendet… Auf so eine Drehbuchidee muss man erst mal kommen. In fast jedem Non-Crime-Stoff wird für gewöhnlich das Glück als oberstes Ziel ausgegeben. Ein unausgesprochener und vor allem unhinterfragter Mythos, der alle TV-Selbstfindungsgeschichten und Sinnsuche-Plots durchwirkt. Zufriedenheit reicht nicht, es muss schon Glück sein. Filmemacher Michael Hofmann („Seit du da bist“) und sein Ko-Autor Bert Koß machen dieses „Pursuit of Happiness“ in den intelligentesten und unterhaltsamsten viereinhalb Stunden, die das deutsche Fernsehen seit langem gesehen hat, offen zum Verhandlungsgegenstand. Das Glück wird beim Schopfe gepackt – und kräftig durchgeschüttelt. Aber auch die Gesetze und die Dramaturgien des Genres werden munter durcheinandergewirbelt. Denn Komödie kann so viel mehr, als sie hierzulande zeigen darf!
Glücksfresser Alltag. Es läuft. Keine Erfahrung mehr damit, sich etwas zu wünschen
In „Die Glücksspieler“ sieht man zunächst das, was man das kleine Glück nennen könnte: ein Glück, das vom Alltag bestimmt, ja von ihm gedeckelt wird. Persönliche Wünsche werden längst nicht mehr formuliert. Es läuft. Alles geht seinen Gang. Ja, die Verhältnisse! „Das bringt das Familienleben so mit sich“, sagt der ebenso begnadete wie desillusionierte Pianist, der statt Jazzkonzerte zu geben die Kinder versorgt und allenfalls im Altersheim musiziert. „Ehrlichkeit ist der Weg zum Glück“, so der Türke, der mit seiner Straßenreinigungsfirma aus Scheiße Gold mache. Er sei glücklich, wenn seine Frau glücklich ist. Und natürlich würde das auch für sie gelten. Das miesepetrige Mathe-Genie kann über solche Glückskeks-Weisheiten nur müde lächeln – und schweigt erst mal. Bei ihm ist die Lage zu Hause sehr viel angespannter. „Tom hat heute einen Satz gesagt“, jubelt geradezu seine Ehefrau, die ihre Kompetenz als Ärztin allenfalls in der Mutterrolle beweisen kann. Ihr Mann nimmt’s wortlos entgegen. Darauf sie: „‘Ich sag nichts‘, hat er gesagt.“ Bei diesem Paar zeigt sich: Glück ist immer auch eine Frage der Relation, von Anspruch und Erwartung. „Machen Sie einfach mal das Gegenteil von dem, was Sie sonst tun“, rät die Spielkollegin. Stichwort: den Partner überraschen. Jasper hat nicht die geringste Ahnung, wie das geht. Prompt erschreckt er seine Frau, statt sie zu überraschen, mit einer Spinne im Kühlschrank. Im Bett klappt‘s besser.
Und plötzlich werden die Beziehungsverabredungen völlig neu formuliert
Der Nerd ist also auf einem guten Weg. Die anderen weniger. Dass in einer modernen Beziehung immer einer der Dumme ist, offenbart sich den Millionären in spe erst so richtig, als sich die Rollen in ihren Beziehungen zunehmend umkehren. Denn irgendwann stehen die drei Elternteile, die ihr Hinterteil Tag für Tag auf einer Spielplatzbank platt sitzen, bei Herzinger auf der Matte – und der muss ihnen, was den Deal angeht, reinen Wein einschenken. Das hat Folgen: Die vor Jahren beschlossenen Beziehungsverabredungen werden – durch das Wissen um die nahende Million – plötzlich von der Heim-Herd-und-Kinder-Fraktion neu formuliert. Das ohnehin selbstbewusste Luxusweib Natascha legt noch einen Zahn zu und macht sich beruflich selbstständig, und der beste Papa der Welt ist wochenlang auf Tournee. Was das für den Partner bedeutet, bringt der Titel von Folge 5 auf den Punkt: „Auf den Hund gekommen.“ Auch bei Jasper und Simone kommt es zum Rollentausch, für den Hausmann ist das allerdings gar nicht mal so frustrierend. Sie arbeitet wieder als Ärztin, während er die Worte seines Sohnes zählt, wenn er nicht gerade mit mathematischen Zahlen-Kolonnen kämpft oder er sich düster seine Zukunft ausmalt. „Kann man ins Gefängnis das Laptop mitnehmen?“ ist seine größte Sorge. Ja, Jasper ist nicht ohne Grund gekündigt worden.
Erhellendes Spiel mit Möglichkeiten: Rollenumkehr und andere Wendungen
„Die Glücksspieler“ erzählt von den kleinen Dingen des Lebens, vom Familienalltag mit Kindern, den entscheidenden Fragen, die sich mit Mitte 40 stellen, von Träumen, Wünschen, Selbstverwirklichung, aber nicht präsentiert als der Wirklichkeit eins zu eins abgelauschte Handlung mit vorhersehbarer Lösungsgarantie, sondern als quirlige, lebenskluge Komödie, die einfallsreich mit Möglichkeiten spielt, mit Rollenumkehrungen, Interaktionswendungen und persönlichen Wandlungen überrascht. Und in einer guten Komödie dürfen auch mal der Zufall, Glück oder Pech den Lauf der Dinge beeinflussen. Hofmann und Koß bemühen also weder den hierzulande in Dramedys überstrapazierten gesunden Menschenverstand als Movens der Handlung, noch übertragen sie einer standardisierten Lösungsdramaturgie die Verfügungs-Gewalt über die Narration der sechs Folgen. Während in Wellness-Komödien und leichten Unterhaltungsfilmen zumeist die Einsicht am Ende das „Glück“ regelt (häufigster Dramödien-Satz: „Es tut mir leid“), geht es in „Die Glücksspieler“ nicht primär um Versöhnung und Lösung, sondern es geht um das amüsante, möglicherweise für den Zuschauer erhellende Durchspielen diverser Konstellationen und Kommunikationsmuster. Und so sitzen irgendwann die einst erfolgreich Berufstätigen auf besagter Kinderspielplatzbank und langweilen sich zu Tode: „Da wirst du ja dumm im Kopf“, jammert der insolvente Kleinunternehmer kleinlaut. „Wie haben die das nur ausgehaltenen?“, wundert er sich. Aber es geht auch anders. Anwältin Ines spielt beruflich nur noch die zweite Geige, während ihr Max endlich mal seiner Leidenschaft nachgehen kann, inklusive einer Affäre, aus der mehr werden könnte. Zwar geht er fremd, aber sie bleibt dennoch die Bestimmende in der Beziehung: „Vielleicht habe ich eine Frage im Kopf, aber wer sagt denn, dass ich sie auch fragen muss.“ Klar, es geht um die Affäre. „Und ich möchte auch keine Antwort auf eine Frage, die ich nicht gestellt habe!“
Die Dialoge charakterisieren, spiegeln Beziehungen oder sind einfach nur saukomisch
Intelligente und pointierte Dialoge sind das eine. In dieser Serie sind diese aber häufig doppelt oder dreifach brillant, weil sie auch sehr genau die Sprechenden charakterisieren und die Beziehungen mitreflektieren. Und so ist „Die Glücksspieler“ ein wahres Fest der Dialoge. „Sitzen Sie immer hier?“, fragt Herzinger die Spielplatzfraktion zu Beginn des Films. „Nachts gehen wir manchmal auch nach Hause“, merkt die gelangweilte Natascha an. Ganz beiläufig auch der Einwurf des ewigen Pessimisten: „Sie wissen schon, dass eine Million in München nicht wahnsinnig viel ist.“ Köstlich auch der abendliche Ehe-Smalltak: „Wie war der Tag, Schatz“, fragt die Anwältin. Antwort: „In der Kita ist der Wickeleimer undicht, und im Altersheim haben wir Beethoven gequält.“ Und dann gibt es die Sätze, die komisch sind, weil Branko Samarovski sie sagt: „Wenn die jetzt einfach immer nichts sagen“, echauffiert sich der Alte über das erste Zusammentreffen der drei Millionäre in spe, die zunehmend zu einer Art Selbsthilfegruppe Glückssuche werden. Und so freut sich Herzinger über die zweite Sitzung: „Das wird mein Lieblingsprogramm. Ich hab ein Jahresabo.“ Erheiterung am Rande: „Was stinkt hier so?“ Antwort: „Papa hat gekocht.“ Und den Rat der Anwältin, mal das Gegenteil vom Gewohnten zu tun, setzt Muffelkopf Jasper im Café sogleich in die Tat um, indem er zur Kellnerin sagt: „Hoffentlich haben Sie einen schönen Feierabend, und ich wünsche Ihnen, dass nichts Schlimmes passiert.“ Grandios wie das Manuel Rubey spielt, mit einem schüchternen, aber glücklichen Lächeln, völlig überzeugt davon, endlich einmal freundlich zu sein.
Ein Brüller: Frau Unger, die Resolute. „Die guten Männer müssen geteilt werden“
Die (tragi)komischste Figur dürfte Frau Unger sein, die Dame von der städtischen Müll-Vergabestelle. Bettina Mittendorfer macht jeden ihrer Sätze zum Brüller. Unger hat ein Verhältnis mit Firat. Das Motiv bei ihm sein Geschäftssinn, bei ihr die pure Verzweiflung, die Angst vorm Alleinsein. Wie sie Firats Ehefrau aufsucht, um ihr unverschämte Forderungen zu stellen, das ist an Absurdität kaum zu überbieten. Mit „Ihr Mann will mich verlassen“ beginnt sie die Unterredung, und mit „Die guten Männer müssen geteilt werden“ (zugleich der Titel der vierten Folge) beendet sie sie. Diese Bayerin redet ohne Punkt und Komma. Stark auch, wie sie ihrem Lover erklärt, weshalb ein Ende der Affäre für alle Beteiligten böse Folgen hätte. Frau Unger ist eine ganz Resolute. Wer zu ihr sagt „Junge Frau, hören Sie“, der kriegt erst mal eine geklatscht, dann die passende Antwort: „Von wegen ‚junge Frau‘! Ich will mich von Ihnen nicht beleidigen lassen.“ Ganz so fordernd ist sie dann allerdings doch nicht. Ein Mal pro Woche Sex mit Firat würde ihr schon reichen. Sie hat ja noch ihre Bella. Besser: hatte. Denn nachdem das Hündchen in die Kehrmaschine geraten ist, und es vor Jaspers Bank wieder ausgespuckt wird, hat nun sein Sohn einen Spielkameraden und endlich auch etwas mehr zu sagen. Unger, eine Frau fürs Praktische, hat aber bald Ersatz. Einen neuen Hund, aber auch einen oder mehrere Männer für gewisse Stunden. „Ihr Glück ist mein Auftrag“, verspricht der freundliche Herr an der Tür. „Ich bin Ihr Host. Ich würde Sie gern ein bisschen verwöhnen.“ Unger versteht nicht so richtig: „Hä? Sie sind eine Nutte und heißen Horst?“
Dramaturgisch passt alles. Auch ohne Glücksformel macht diese Serie glücklich
„Die Glücksspieler“ hat das Zeug zur Kultkomödie – sprich: Das deutsche Massenpublikum wird womöglich nicht zu ihr durchdringen (was ihr sichtlich zum Vorteil gereicht), aber die, die die Serie mögen, werden sie umso begeisterter goutieren. Und sie werden sie womöglich mehrmals schauen oder zumindest – wie der Kritiker – noch einmal die schönsten, skurrilsten Stellen der viereinhalb Stunden. Mit der Me-diathek heute alles kein Problem. Zu einer solchen Kultserie und zu einem Fest der Dialoge wird „Die Glücksspieler“ natürlich erst durch die Schauspieler. Neben den bereits genannten, sollten besonders Katharina Schüttler, Eko Fresh und Karolina Lodyga lobend erwähnt werden; aber Lena Dörrie und Sergej Moya sind für die etwas leiseren Rollen nicht weniger gut besetzt. Und die Kids sind nicht nur vorzüglich gecastet, sondern kommen auch schön wild, alltagsnah, schlagfertig (Firat: „In meinem Haus werden keine Türen geknallt.“ Seda: „Aber dumme Bitches“) und witzig pointiert rüber. Echte Kinder eben, keine Abziehbilder. Und das, was man sonst gern bei Top-Komödien anmerkt, gute Struktur, belebende Perspektivwechsel, Detailverliebtheit plus Finalisierung (Holen sich die drei tatsächlich eine Million ab?), Wiederholungsprinzip etc., solche dramaturgischen Aspekte benötigen keiner weiteren Ausführung. Es passt einfach alles. Eines vielleicht noch: die Sache mit den drei Regeln. Auch das ist typisch: Während andere Komödien allein die Genrekonventionen bedienen, stellen Hofmann & Koß eigene Regeln auf, um der Geschichte Logik und eine Richtung zu geben. Aus all dem ergibt sich ein beglückender Sechsteiler, von dem sich glücklicherweise keine Glücksformel ableiten lässt und der viel zu individuell gut ist, als dass er Fernsehmachern eine Serienglücksformel an die Hand geben würde.