Die Galoschen des Glücks

Lauenstein, von Finckh, Frier, Friedrich, Kömmerling/Brinx, Jehn. Überaus stimmig

Foto: RBB / Michael Rahn
Foto Tilmann P. Gangloff

Mit dem gleichnamigen Märchen von Hans Christian Andersen hat „Die Galoschen des Glücks“ (RBB / Neue Schönhauser Filmproduktion) mehr oder weniger nur den Titel gemein. Die düstere Geschichte des Dänen wird in der Bearbeitung durch das erfahrene Autorenduo Anja Kömmerling und Thomas Brinx zu einem fröhlichen Zeitvertreib: Küchenjunge Johann möchte gern hoch hinaus und erkennt am Ende gerade noch rechtzeitig, dass das Glück die ganze Zeit zum Greifen nahe war. Sehenswert ist der Film vor allem wegen Annette Frier und Inka Friedrich als gegensätzliches Feenpaar: die eine als Bedenkenträgerin, die andere als personifizierte Zuversicht. Aber auch die kaum bekannten jungen Darsteller überzeuegn.

Die Formulierung „Nach Motiven von…“ kann vielerlei bedeuten. Meist wird eine literarische Vorlage nur geringfügig abgewandelt, aber manchmal hat eine Adaption mit dem Original nur noch die Grundzüge der Handlung gemein. Das gilt für „Die Galoschen des Glücks“. Das ARD-Märchen basiert auf einer Geschichte von Hans Christian Andersen, dessen düstere Erzählungen nur selten ein gutes Ende nehmen. Deshalb beschränken sich die Parallelen zwischen Vorlage und Film in diesem Fall auf das Titelschuhwerk und zwei Feen. Andersens Geschichte ist eine faszinierende Parabel über die Unfähigkeit der Menschen, das eigene Glück zu erkennen. Wenn sie in die Schuhe schlüpfen, die sie an den Ort und in die Zeit ihrer Wünsche versetzen, ergeht es ihnen meist nicht gut. Einer schwärmt vom Mittelalter, was ihm schlecht bekommt, ein zweiter wird zum Vogel, den beinahe die Katze frisst, und ein Theologe, der sich an den glücklichsten Ort von allen wünscht, endet im Sarg. Das ist ein wunderbarer Filmstoff, und tatsächlich gibt es eine 1986 im ZDF ausgestrahlte tschechoslowakisch-deutsche Koproduktion von Juraj Herz, die sich enger an die Vorlage hält.

Die Galoschen des GlücksFoto: RBB / Michael Rahn
Was für ein Geschenk! Prinzessin Aurora (Josefine Voss) & Prinz Lazlos (Moritz Lehmann)

Anja Kömmerling und Thomas Brinx erzählen eine völlig andere Geschichte. Dem vielfach ausgezeichneten Autorenduo, dessen Adaptionen regelmäßig sehenswert sind (allen voran „König Drosselbart“), gelingt das Kunststück, aus dem Stoff eine romantische Komödie zu machen. Andersen-Verehrer werden sich mit Grausen abwenden: Der von Regisseurin Friederike Jehn („Draußen ist Sommer“) entsprechend munter inszenierte Film ist von Sonne durchflutet und passt sich stilistisch perfekt jenem Standard an, an dem sich fast alle Episoden der 2008 gestarteten und mittlerweile elf Staffeln umfassenden ARD-Reihe „Sechs auf einen Streich“ orientieren. Lässt man Andersen beiseite, ist „Die Galoschen des Glücks“ ein fröhlicher Zeitvertreib für die ganze Familie. Wie in der Vorlage sind es zwei Feen, die die Handlung auslösen, und schon allein wegen ihnen lohnt sich der Film, weil Annette Frier und Inka Friedrich sichtlich Spaß an ihren Rollen haben: Frau Sorge ist eine vorwiegend dunkel gekleidete Bedenkenträgerin, Frau Glück ein sonniges Gemüt und ist voller Zuversicht. Beide sind bei einer peniblen Großherzogin (Corinna Kirchhoff) beschäftigt. Die ohnehin gestrenge Arbeitgeberin ist dieser Tage besonders kritisch, denn sie erwartet ihre Großnichte, Prinzessin Aurora (Josefine Voss). Bei ihrem Anblick ist es um den ungeschickten Küchenjungen Johann (Jonas Lauenstein) auf der Stelle geschehen. Der junge Mann wünscht sich ohnehin, zu „denen da oben“ zu gehören. Als er nichts ahnend in die Glücksgaloschen steigt, verwandelt er sich tatsächlich in einen Prinzen, der erfolgreich um Aurora buhlen kann, nicht ahnend, dass sich deren hübsche Kammerzofe längst in ihn verliebt hat. Da Lisbeth (Luise von Finckh) ihn nicht erkennt, gibt sie ihm auch noch Ratschläge, wie er Aurora erobern kann. Die Prinzessin entpuppt sich allerdings recht bald und wenig überraschend als verwöhnte Ziege.

Die Galoschen des GlücksFoto: RBB / Michael Rahn
Hans Christian Andersen im hellen ARD-Märchenkosmos. Kammerzofe Lisbeth (Luise von Finckh) verbindet Prinz Ludwigs (Jonas Lauenstein) verletzte Hand.

Im Grunde würde die Geschichte auch ohne die beiden Feen funktionieren, denn ihre Lektion muss die Jugend alleine lernen. Johann erkennt, dass Kleider zwar Leute machen können, dass geborgter Schein jedoch nicht glücklich macht. Deshalb wird er in den Augen von Auroras Bruder Amadeus (Lukas Rüppel), einem blasierten Blödmann, und Johanns Nebenbuhler, Amadeus’ schnöseligem Freund Lazlo (Moritz Lehmann), mehrfach zur Lachnummer; die Slapstickszenen zu Pferde wären gar nicht nötig gewesen, um diese Erkenntnis zu vermitteln. Lisbeth wiederum wagt den Schritt, ihren Traum von der Schauspielerei zu verwirklichen; die Kammerzofe kann ganze „Romeo & Julia“-Monologe auswendig. Im Gespräch mit Johann hatte sie Träume noch mit verglühenden Sternschnuppen verglichen, aber er sprach von Sternen, die als Orientierung dienen, und diese Sichtweise nimmt sich Lisbeth zu Herzen. Die Feen sind eher eine Art Zugabe, sorgen mit ihren Wortwechseln aber für den heiteren Rahmen des Märchens, weshalb Kömmerling und Brinx für Friedrich und Frier auch die besten Szenen ersonnen haben. „Galoschen des Glücks“ ist schon wegen des von den Schauspielerinnen mit großer Hingabe dargestellten Kontrasts zwischen den beiden Frauen sehenswert.

Der Rest ist Rokoko: erlesene Kleidung, hochtoupierte Frisuren, eindrucksvolle Perücken, Rouge auf Männerwangen und Schönheitsflecke; Maske, Kostüm und Ausstattung hatten viel zu tun und waren darüber vermutlich sehr erfreut. Die sichtbare Liebe zum Detail schließt zwar auch diverse amüsante Drehbucheinfälle mit ein, zumal Kömmerling und Brinx ihre Märchen stets mit sympathischer Leichtigkeit erzählen, aber dennoch gibt es ein paar Ungereimtheiten. Johann hat keine Ahnung, dass er seinen rasanten Aufstieg den Galoschen verdankt, weshalb er sich beim wenig erquicklichen Picknick mit der nörgelnden Aurora plötzlich in eine Taube verwandelt. Später wird er wieder zum Prinzen, was eigentlich nicht funktionieren kann, wie auch die Feen betonen, denn die Galoschen funktionieren nur, wenn man sie trägt. Allerdings hat sich schon Andersen in dieser Frage nicht festgelegt, und womöglich ersetzen ja auch die Ringe an den beiden Taubenbeinen das Schuhwerk. Als sich der enttarnte Hochstapler, mittlerweile ohne Galoschen, später vor Amadeus und Lazlo im Stall versteckt, entdeckt er die Schuhe an den Hufen eines Pferdes. Wie sie dahingekommen sind, bleibt offen; womöglich ist das Pferd in Wirklichkeit eine Kuh, die auch mal Lust auf einen Rollentausch hatte. Entscheidender ist ohnehin, dass die Geschichte ansonsten stimmig ist und sämtliche Mitwirkenden in ihren Rollen überzeugen, was bei Frier und Friedrich nicht weiter überrascht, aber gerade auch für die kaum bekannten jungen Schauspieler gilt. Das letzte Wort hat Frau Sorge: „Glück ist nur ein flüchtiger Augenblick“. (Text-Stand: 5.12.2018)

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

rbb

Mit Jonas Lauenstein, Luise von Finckh, Annette Frier, Inka Friedrich, Josefine Voss, Corinna Kirchhoff, Lukas Rüppel, Moritz Lehmann, Victor Schefé, Tobi B.

Kamera: Philipp Sichler

Szenenbild: Alexander Wolf

Kostüm: Polly Matthies

Schnitt: Carlotta Kittel

Musik: Marian Lux

Redaktion: Anja Hagemeier, Anke Sperl

Produktionsfirma: Neue Schönhauser Filmproduktion

Produktion: Boris Schönfelder

Drehbuch: Anja Kömmerling, Thomas Brinx

Regie: Friederike Jehn

Quote: 1,49 Mio. Zuschauer (10,4% MA)

EA: 26.12.2018 13:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach