Frank und Claudia sitzen auf gepackten Koffern in ihrer leer geräumten Berliner Wohnung. Am nächsten Tag beginnt für sie ein neues Leben – in Kanada. Ein Fiasko am alten Arbeitsplatz von Frank, einer Investmentfirma, hat sie zu dem Schritt veranlasst. Vielleicht ist dieser Neuanfang auch eine Chance für die von den Abnutzungserscheinungen einer 19 Jahre langen Ehe gezeichnete Beziehung? Ausgerechnet an diesem Tag steht plötzlich Romy in der Tür, Franks erste Liebe. 24 Jahre ist es her, dass sie sich das letzte Mal gesehen haben. War es ein Sommer, waren es zwei Sommer? Er hat es längst vergessen. Sie dagegen erinnert noch romantische Details und will den Treue-Schwur von damals einlösen. „Sag einfach, dass du mich noch liebst.“ Die unheimliche Frau wird vor die Tür komplimentiert, bis der Sohn der Familie sie wieder in die Wohnung schleift. „Ich hab sie umgebracht. Ich hab sie getötet.“ Was tun? Gleich kommen die Freunde zur Abschiedsparty und hier liegt diese Frau.
Foto: ZDF / Peter Hartwig
Was passieren kann, wenn ein Liebespartner aus grauer Vorzeit, das einst gegebene Versprechen der ewigen Liebe einfordert, wenn dieses romantische Ritual nicht als Ritual begriffen, sondern todernst genommen wird, davon erzählt „Die Frau von früher“. Das Kammerspiel von Andreas Kleinert nach dem Drehbuch von Stefan Kolditz ist nach dem gleichnamigen Theaterstück von Roland Schimmelpfennig entstanden. Ein paar inhaltliche Nuancierungen machen aus jener Romy weniger den wahnsinnigen Racheengel als vielmehr einen attraktiven Katalysator auf langen Beinen. Ursina Lardi spielt sie als eine Versuchung, die selbst noch halbtot einen gewissen Reiz auf den Ehemann auszuüben scheint. Auch Sohn Alex, der mit seiner Freundin Nora ähnlich verfährt wie Frank einst mit Romy („Ich werde dich für immer lieben“), ist im Film deutlicher als im Theaterstück ganz Sohn des Vaters: statt zum Nur-Opfer wird er auch zum Täter. Jonas Nay („Homevideo“) spielt ihn als pubertären Rüpel. Das Paar wird da wie dort radikal entzaubert. „Ich weiß, dass Ihre Ehe am Ende ist“, sagt die Schöne aus der Vergangenheit. Darüber lächelt die von Anna Loos gespielte Claudia noch krampfhaft hinweg. Kurz darauf sagt ihr der Mann, für den sie ihr Leben in Deutschland aufzugeben bereit ist, offen ins Gesicht: „Du bist alt, verbraucht und hässlich.“ Devid Striesows Babyface mit Bart verkommt in „Die Frau von früher“ zur boshaften Fratze, die Hilflosigkeit hinter Lügen und Kaltschnäuzigkeit versteckend. Als Börsenspekulant muss sein Frank eine große Nummer gewesen sein, emotional aber gibt er eine erbärmliche Figur ab.
Ein Störfaktor dringt in den Beziehungsalltag und setzt Urkräfte bei den Charakteren frei. So ist „Die Frau von früher“ moderne Ehegeschichte und klassische Tragödie zugleich. Formalästhetisch bewegt sich Kleinerts Film zwischen reduziertem Realismus und dezenter Stilisierung, zwischen narrativem Minimalismus und theatraler Verfremdung. Immer wieder werden Szenenpassagen doppelt gespielt, weil ausgelassene Situationen nachgereicht werden und in das bereits Gehörte und Gesehene hineinlappen. Dieses Spiel mit den Minutenhüpfern in die Vergangenheit, das auch Schimmelpfennig im Theaterstück verwendet, irritiert, nimmt der Geschichte die äußere Dramatik und ist damit eine Herausforderung an die Gewohnheit des Zuschauers – ähnlich wie die erste Freundin, die entgegen aller Liebeskonventionen handelt, eine Herausforderung für das neue Paar ist. Die Figuren bekommen dadurch etwas Marionettenhaftes, aber auch Allgemeingültiges. Der Film ist weniger Beziehungskiste, als vielmehr ein liebesphilosophischer Grundsatz-Diskurs. (Text-Stand: 16.5.2013)