Jurastudent Martin ist neu in Berlin. Es ist schwer, preiswert unterzukommen – und so landet er in einer heruntergekommenen Hinterhauswohnung. Zum Studieren findet der junge Mann bald kaum noch Zeit, da Simone, seine Vermieterin, die direkt nebenan wohnt, ein größeres Interesse bei ihm weckt. Obwohl sie einen Freund hat, verführt sie den scheuen Martin – und schlägt ihn anschließend vollends in ihren Bann. Er belauscht & beobachtet die geheimnisvolle Nachbarin, die sich in immer heftigeren Streits mit ihrem Musikerfreund ergeht. Eine andere, geistig verwirrte Nachbarin warnt den Jungen mit dunklen Prophezeiungen: „Der Teufel lauert hinter der Wand – sieh dich vor vor dem Bösen.“ Martin hört nicht auf sie, sondern er verliert sich – in Simone, seinen teuflischen vier Wänden und den Spielen aus Sex und Gewalt.
Der schüchterne Martin ist genau der Richtige für diese Verführerin, den gefallenen blonden Rauschgoldengel. „Bleib dran, dann kannst du was erleben“, rät die Titel gebende „Frau hinter der Wand“ jenem Novizen in Sachen körperliche Lust, der – endlich befreit von der fürsorglichen Kontrolle seiner Eltern – dem Leben offen und ungeschützt begegnet. „Martin wird von den Bewohnern des Hauses, allen voran Simone, vereinnahmt und lässt sich immer tiefer in die Verstrickungen des Hauses hineinziehen, bis er darin verloren geht“, umschreibt der Grzegorz Muskala die Grundsituation seines ersten Langfilms. Das ebenso faszinierende wie schreckliche Haus symbolisiert die unergründliche Großstadt. Martin folgt aber auch den Lockungen des Sexus’, er geht auf das weibliche Versprechen ein und übersieht auf dem Weg zur Mannwerdung die Gefahren, die auf ihn lauern. Liebe & Schrecken gehen Hand in Hand.
Grzegorz Muskala über „Die Frau hinter der Wand“:
„Die Kamera zieht den Zuschauer in Martins Wahrnehmung der Details hinein. Wie Martin muss auch er sich aus den beobachteten und belauschten Fragmenten eine Wirklichkeit zusammensetzen. Es geht um Projektionen. Simone, die Frau hinter der Wand, wird zur Verkörperung des Fremden, Geheimnisvollen, Verführerischen, Erotischen und Gefährlichen – des ‚Anderen’ eben.“
„Die Frau hinter der Wand“ ist der dritte Psychothriller aus der Reihe „Stunde des Bösen“, mit der das ZDF im Rahmen des „Kleinen Fernsehspiels“ jungen Autoren und Regisseuren eine Chance gibt, sich im Genrefilm auszuprobieren. Muskalla zieht mit seinem dffb-Abschlussfilm alle Register in Sachen Angstlust. Ein mysteriöses Haus, in dem sich das Wesen der Protagonisten spiegelt, wird zum Akteur. Seine Wohnung gibt der Hauptfigur Rätsel auf. Farben, Formen, Geräusche werden zu (erotischen) Symbolen verdichtet – jener Martin sieht sich Öffnungen vielerlei Art gegenüber. Mit dem Stethoskop dringt er in ein Loch in der Wand ein und hört das Murmeln, das Schreien, das wollüstige Stöhnen seiner Nachbarin ab. Der männliche Held erfährt seine Initiation als Mann. Neugierig erforscht er ein fremdes Terrain. Nicht nur das ruft Erinnerungen an David Lynchs „Blue Velvet“ wach. Bei Muskalla ist es ein rötlich schimmernder, wenig magischer Vorhang, den der großartig leise aufspielende Vincent Redetzki immer wieder beiseite schiebt, um an dieser „fremden, seltsamen Welt“ teilzuhaben. Auch er wohnt wie einst Jeffrey Beaumont alias Kyle MacLachlan einer klassischen „Schlüssel(loch)szene“ bei. Und auch für die unschuldige Phantasie gibt es wie bei Lynch zwei, drei hell überstrahlte Bilder, die das Glück mit einem Hauch von Kitsch versehen.
Der Zuschauer wird hineingezogen in diesen magischen Mikrokosmos aus Thriller-Mustern, Ängsten und psychoanalytischen Archetypen. So wie der Held kann man sich als Zuschauer diesem Kammerspiel des skurrilen Wahnsinns nur schwer entziehen. Der Film spielt fast ausschließlich in diesem schrecklichen Haus, er dauert (im Gegensatz zu anderen Filmen aus der Reihe „Stunde des Bösen“) 90 Minuten und ist keine Minute zu lang. Die Gewerke (Kamera, Szenenbild, Kostüm, Sounddesign, Schnitt) wirken kongenial zusammen. Und die starke Besetzung – Redetzki als Jüngling, der auszog, das Fürchten zu lernen, Katharina Heyer als enigmatische Psycho-Bildhauerin und Florian Panzner als diabolischer Musiker – verleiht diesem effektvollen Genre-Stück mit Splatter-Showdown einen psychologisch stimmigen Unterboden. Von Grzegorz Muskala wird man noch hören. (Text-Stand: 15.2.2014)