Abgesehen vom Auftakt im Herbst 2016, als Versorgungsassistentin Vera Mundt erst mal in der Eifel ankommen musste, haben die folgenden vier Episoden stets und gut nach dem gleichen Muster funktioniert, weil Brigitte Müller die Geschichten als gelungene Kombination aus medizinischen und romantischen Dramen konzipiert hat. Die Autorin hat auch das sechste Drehbuch geschrieben, Regie führte wie bei den letzten beiden Malen erneut Josh Broecker, aber dennoch fällt „Rachegelüste“ negativ aus dem Rahmen: Zum ersten Mal geht die Mischung nicht recht auf. Außerdem ist die Ausstrahlung von Film Nummer fünf, „Gebrochene Herzen“ (Dezember 2017), schlicht zu lange her, um erwarten zu können, dass die Zuschauer den verschiedenen Namen prompt das passende Gesicht zuordnen können. Es ist zwar immer ein Zeichen von mangelnder Qualität, wenn unbeholfene Informationsdialoge darüber aufklären sollen, was bisher geschah, aber so zu tun, als ob die letzte Episode erst vorige Woche ausgestrahlt worden sei, geht natürlich auch nicht; ganz abgesehen von den Zuschauern, die zum ersten Mal einschalten. Natürlich rüttelt sich das im Verlauf des Films zurecht, aber da Müller und Broecker auf jegliche Einführung verzichten, wirkt „Rachegelüste“ wie eine Serienfolge. Dazu würde auch der Produktionswert passen: Die Bilder sehen eine Nummer kleiner aus als in den bisherigen Filmen, selbst wenn es gerade im letzten Drittel einige Drohnenflüge über die herbstliche Eifel gibt.
STERNE-VERGABE: 3 für „Rachegelüste“ und 3,5 Sterne für „Aufbruch“
Foto: Degeto / Hardy Spitz
Bislang konnte Müller zudem erfolgreich kaschieren, dass das romantische Dilemma der von zwei Männern umworbenen Heldin (Rebecca Immanuel) nicht sonderlich originell ist: Weil es ihr Chef Chris (Simon Schwarz) jetzt schon geraume Zeit nicht schafft, seinem Herzen einen Stoß zu geben und der Mitarbeiterin seine Zuneigung zu gestehen, verabredet sie sich endlich mit dem Krankenhausarzt Henning (René Steinke); in dessen Leben gibt es aber noch eine „Ärztin ohne Grenzen“, die in Tansania auf ihn wartet. Auf einer zweiten durchgehenden romantischen Ebene tut sich ähnlich wenig: Veras 18jähriger Sohn Paul (Tom Böttcher) kriegt immer noch nicht mit, dass Freundin Charly (Sarah Mahita) mehr als bloß sein bester Kumpel sein möchte. Pauls Herz ist ohnehin vergeben, und das ist die eigentliche Geschichte dieses Films: Eines Tages spricht ihn eine attraktive Frau an und lädt ihn auf ihr Hotelzimmer ein. Der junge Mann erlebt vermutlich die Nacht seines Lebens und ist entsprechend verdattert, als sich Claire (Kristin Suckow) am nächsten Morgen als seine neue Lehrerin entpuppt. Paul verdankt sein Abenteuer ihrer „Bucket-List“: Claire hat Krebs und nicht mehr lange zu leben. Ähnlich wie die Helden des tragikomischen Hollywood-Films „Das Beste kommt zum Schluss“ mit Jack Nicholson und Morgan Freeman (2007) hat sie eine Liste mit Dingen aufgestellt, die sie noch erleben will, bevor sie „den Löffel abgibt“ (to kick the bucket). Die Botschaft, bis hierhin: Genieße den Rest deines Lebens, wer weiß, wie lange es noch dauert; und beschwere dich nicht ständig über lächerliche Kleinigkeiten, wenn du eigentlich keinen Grund zur Klage hast. Dann findet Chris jedoch heraus, dass Claires Leibschmerzen ganz andere Ursachen haben und heilbar sind, wenn sie eine passende Spenderin findet, und nun erklärt sich endlich der Episodentitel: Ihre Schwester (Morgane Ferru) nutzt getreu dem Goethe-Motto „Alle Schuld rächt sich auf Erden“ – eine weitere Filmbotschaft – die Gelegenheit, um eine alte Rechnung zu begleichen. Auch Veras vorübergehender Mitbewohner Daniel (Aleksandar Radenkovic) ist, wie sich rausstellt, als Rächer unterwegs: Sein Bruder ist bei einem Unfall schwer verletzt worden, der Autofahrer ist geflohen; Daniel ist überzeugt, dass Tanzschulbesitzer Hürtgen (Andreas Pietschmann) der Schuldige ist.
Gespielt ist das wie in den früheren Folgen ausnahmslos vorzüglich, es gibt auch bei den jungen Darstellern keinerlei Schwäche, aber abgesehen von der Episodenhandlung mit der vermeintlich krebskranken Claire und Pauls Verliebtheit, die ihm Vera vergeblich auszureden versucht, tritt die Geschichte auf der Stelle. Daran ändern auch die schönen Drehbuchideen rund um die besondere Beziehung zwischen Paul und Claire nichts: Als er wissen will, wie’s weitergeht, stellt er ihr mehrere Fragen und liefert die Antworten im Multiple-Choice-Modus einer Quizsendung gleich mit; Claire wiederum beschränkt sich auf mimische Antworten.
Foto: Degeto / Hardy Spitz
Soundtrack „Rachegelüste“: Timothy Auld („Waste Some Time“, Vorspannlied), Tom Odell („Heal”), The Lumineers („Nobody Knows”), Neil Young („Heart of Gold”), Bender & Schillinger („Rendezvous”)
Soundtrack „Aufbruch”: Timothy Auld („Waste Some Time“, Vorspannlied), Shawn Mendes („A Little to Much”), Toploader („Dancing in the Moonlight”), Abba („Dancing Queen”), The Shadowboxers („The Book of Love”), Micar („Burden Down”), Lenka („Lucky”)
Seltsam ist allerdings, dass das mäandernde Licht in ihrem Schlafzimmer nahelegt, strömender Regen würde im Licht einer Straßenlaterne die Scheiben ’runterlaufen; dabei regnet es gar nicht. Gemessen an der eine Woche später ausgestrahlten siebten Episode wirkt „Rachegelüste“ ohnehin wie ein Ausreißer nach unten. „Aufbruch“ hat dank der vielen Eifelbilder eine ganz andere Anmutung, selbst wenn die Zahl der Kameraflüge fast überhand nimmt; mitunter wirken die vielen Zwischenbilder, als müsse übrig gebliebenes Material von früheren Dreharbeiten verarbeitet werden. Obwohl die beiden Filme inhaltlich zusammengehören, weil die Erzählung der horizontalen Handlung unmittelbar fortgesetzt wird, liegen unübersehbar viele Monate zwischen den beiden Geschichten, denn „Aufbruch“ ist im Frühsommer gedreht worden. Das Drehbuch stammt erstmals nicht von Müller, sondern von der vielseitigen Autorin Martina Mouchot, die schon für Reihen wie „Kommissarin Heller“, „Katie Fforde“ und „Der Kommissar und das Meer“ gearbeitet hat. Regie führte Kerstin Ahlrichs, deren Umsetzung qualitativ nahtlos an die ersten fünf Episoden anknüpft. Die Regisseurin hat vor gut zehn Jahren mit ihrem Debüt „Sieh zu, dass du Land gewinnst“ (mit Anna Maria Mühe als Bauerntochter) auf sich aufmerksam gemacht und seither neben dem etwas ziellosen Selbstfindungs-Kinofilm „Taxi“ (2014, mit Rosalie Thomass) vor allem Serien gedreht („Lindenstraße“, „Soko Wismar“); sie wird auch die nächsten beiden „Eifelpraxis“-Folgen inszenieren. Darstellerisch hält „Aufbruch“ das Niveau der Reihe ohnehin, zumal erneut auffällt, wie ausgezeichnet gerade die jungen Schauspieler sind. Diesmal spielt sich neben Sarah Mahita vor allem Mia Kasalo in den Vordergrund. Das Mädchen hat sein großes Naturtalent bereits vor einigen Jahren als Flüchtlingsmädchen an der Seite von Wolfgang Stumph in der Tragikomödie „Blindgänger“ gezeigt. Hier spielt sie eine Tochter, die bis zur völligen Erschöpfung die Verantwortung für den Haushalt und die kleine Schwester (Greta Kasalo, Mias Schwester) übernehmen muss, als die alleinerziehende Mutter aufgrund eines mysteriösen Leidens arbeitsunfähig wird und von starken Schmerzmitteln völlig aus der Bahn geworfen wird. Die Besetzung dieser Rolle mit Christina Hecke ist ebenfalls eine interessante Wahl. Die Schauspielerin verkörpert sonst meist starke Frauen (etwa in der ZDF-Krimireihe „In Wahrheit“) und darf als entkräftete und niedergeschlagene Mutter, die schließlich mit den Nerven völlig am Ende ist, ganz andere Seiten zeigen.