Anscheinend wird es Zeit, dass die ARD-Tochter Degeto ihre 2016 eröffnete „Eifelpraxis“ wieder schließt. Das hatte sich schon bei der im Herbst 2018 ausgestrahlten sechsten Episode („Rachegelüste“) angedeutet: Anders als zu Beginn der 2016 gestarteten Reihe ist die Qualität mittlerweile sehr wechselhaft. Folge 7 („Aufbruch“) war zwar wieder besser, aber die achte Episode ist ein erneuter Rückschritt. Die schematische Umsetzung mit den immergleichen Kameraschwenks zu Beginn jedes Szenenwechsels (Regie: Kerstin Ahlrichs) erinnert stellenweise an die größtenteils im Studio gedrehte MDR-Serie „In aller Freundschaft“. Die regelmäßig einstreuten und musikalisch sehr angenehm untermalten Luftaufnahmen des Städtchens oder des nahen Rursees sind zwar hübsch anzuschauen, aber stilistisch ähnlich unoriginell wie die Kameraflüge über Cornwall in den „Pilcher“-Filmen des ZDF.
Während die Zielgruppe mit dieser Kritik vermutlich gut leben kann, wiegt ein zweiter Aspekt womöglich schwerer: Die Mischung aus medizinischen Herausforderungen und den privaten Problemen der Hauptfigur funktioniert nicht mehr, selbst wenn der doppeldeutige Titel „Herzenssachen“ immer noch darauf spekuliert. Natürlich wäre es einfallslos, wenn die Macher ihre Heldin immer wieder zwischen zwei Männern positionierten, aber mittlerweile gibt es im Leben von Vera Mundt (Rebecca Immanuel), Versorgungsassistentin des Eifel-Arztes Chris Wegner (Simon Schwarz), nur noch Patienten. Das macht sie als Mutter Teresa des Genres „Helferin mit Herz“ zwar zu einem bewundernswerten Vorbild für Nächstenliebe, aber den Filmen fehlt etwas.
Foto: Degeto / Hans-Joachim Pfeiffer
Ein weiterer Hinweis darauf, dass die Reihe ihren Zenit überschritten hat, ist die Verwirrung zu Beginn: Obwohl der achte Film die Ereignisse der letzten beiden Episoden zusammenfasst, fällt es schwer, sich in der Handlung zu orientieren. Immerhin knüpft Martina Mouchot, die die Reihe gemeinsam mit Kerstin Peters ab Folge sieben („Aufbruch“) von Brigitte Müller übernommen hat, nicht nur auf reizvolle Weise an die Geschichte von „Rachegelüste“ an, sie schildert auch ein dramaturgisch interessantes Dilemma: Der Journalist Daniel (Aleksandar Radenkovic) sucht immer noch nach dem Mann, der seinen kleinen Bruder Sören (Yuri Völsch) angefahren und sich aus dem Staub gemacht hat. Daniel kann nicht beweisen, dass Tanzschulbesitzer Hürtgen (Andreas Pietschmann) der Schuldige ist, aber Vieles spricht dafür. Zwischen Sören und Hürtgens Sohn Fritz (Dennis Hofmeister) hat sich mittlerweile eine tiefe Freundschaft entwickelt. Daniel will Hürtgen zwar nach wie vor zur Rechenschaft ziehen, aber das geht kaum, ohne die Beziehung der Jungs zu zerstören. Aus medizinischer Sicht ist die Geschichte fesselnd, weil Fritz mehrfach unter emotionalem Stress leblos zusammenbricht; Vera fürchtet, dass der Junge an einer seltenen Herzkrankheit leidet.
Soundtrack: (1) Timothy Auld („Waste Some Time“, Vorspannlied), Jonathan Ogden (“Friend”), Labrinth (“Jealous”), Calum Scott (“You Are The Reason”), Jasmine Thompson (“Like I’m Gonna Lose You”)
(2) Timothy Auld („Waste Some Time“, Vorspannlied), Tom Odell („Heal”), First Aid Kit („Shattered & Hollow), Lola Marsh („Wishing Girl”)
Damit der Film seinem Titel auch im übertragenen Sinn gerecht wird, setzt Mouchot die verschiedenen horizontal erzählten Geschichten fort, aber diese Stränge laufen überwiegend unverknüpft neben der Kerngeschichte her: Schulrektor Ortmann (Janek Rieke), einst auch ein Kandidat für Vera, hat sich in Altenpflegerin Danuta (Karolina Lodyga) verguckt, doch Veras beste Freundin hat daheim in Polen Mann und Kinder; Ortmanns Tochter Charly (Sarah Mahita), von Anfang an in Veras Sohn Paul (Tom Böttcher) verliebt, von ihm aber nur als bester Kumpel betrachtet, wird für ein Jahr nach Neuseeland ziehen. Schauspielerisch ist das etablierte Ensemble allerdings deutlich besser als die Episodenrollen; gerade den halbwüchsigen Darstellern von Sören und Fritz fehlt eine gewisse Leichtigkeit im Spiel, zumal ihre Dialoge mitunter klingen, als hätten sie sie schon zu oft aufsagen müssen.
Foto: Degeto / Hans-Joachim Pfeiffer
Während die Überlastung von Praxishilfe Anita (Olga von Luckwald), die ihrer Mutter nach Feierabend im Restaurant helfen muss, wenigstens noch halbwegs zur zentralen Handlung gehört, wirken andere Einschübe wie Beschaffungsmaßnahmen für den Rest der Truppe, der irgendwie durchgeschleppt werden muss, obwohl die Figuren mittlerweile überflüssig geworden sind; das gilt vor allem für den Nebenstrang mit Marie Anne Fliegel, die sich etwas unmotiviert als Tambourmajorin verkleiden muss. Sehr sympathisch sind dagegen die zunächst nur fernmündlich vorgetragenen Flirtversuche zwischen Veras Chef und Herzspezialistin Hamacher (Anja Schneider). Auf der emotionalen Ebene funktioniert der Film ohnehin am Besten, zwar nicht bei den Szenen mit Fritz, aber beim Abschied von Paul und Charly sowie gegen Ende, als Vera den unerwarteten Tod eines Patienten verkraften muss.
Selbst der Höhepunkt der Episodenhandlung, als sich Sören zu einer großen christlichen Geste durchringt, erzielt nicht die erhoffte Wirkung. Darüber hinaus ist „Herzenssachen“ weitestgehend frei von Überraschungen. Einzige originelle Idee ist ein YouTube-Format von Sören und Fritz („Science Slammer“), in dem die beiden auf witzige Weise chemische Experimente durchführen, aber der entsprechende Ausschnitt dauert nur ein paar Sekunden.
Die zweite neue Episode („Körper und Geist“) ist nach exakt dem gleichen Schema konzipiert. Zentrale Episodenfigur ist ein Bauer (Enno Hesse), der eines Tages die Kontrolle über seine Beine verliert. Wegner tippt zunächst auf Multiple Sklerose, doch dann stellen sich die Beschwerden als psychosomatisch heraus. Dass sich seine unter der Lungenkrankheit COPD leidende Mutter (Gitta Schweighöfer) weigert, ein Sauerstoffgerät zu benutzen, ist angesichts ihrer Atemnot zwar etwas absurd, soll aber wohl erklären, warum auch der Sohn jeden medizinischen Rat ablehnt.
Das Drehbuch schrieb diesmal zwar Kirsten Peters, Regie führte jedoch erneut Kerstin Ahlrichs, weshalb es stilistisch keinerlei Unterschiede zwischen den Folgen acht und neun gibt. Auch die dramaturgischen Schwächen sind die gleichen: Was nicht zur zentralen Handlung gehört, läuft nebenher, etwa die Aufmüpfigkeit von Veras kleiner Tochter Mia (Mascha Schrader), die sich für die Rechte der Kinder einsetzt, oder die Fortsetzung der in „Herzenssachen“ angerissenen Seitenstränge. Davon abgesehen tritt die Reihe mit den beiden neuen Filmen auf der Stelle. Eine echte Entwicklung macht allein Wegner durch, der prompt zur interessantesten Figur wird: Der querschnittsgelähmte Arzt neigte in den ersten Filmen zu einer gewissen Griesgrämigkeit, zumal seine großherzige Mitarbeiterin den einzelnen Patienten viel zu viel Zeit widmete, doch mittlerweile weiß er ihre Dickköpfigkeit zu schätzen. Wenn es einen Grund gibt, die beiden Episoden allen Kritikpunkten zum Trotz zu empfehlen, dann ist es das facettenreiche Spiel von Simon Schwarz. Der Wiener hat sich in den letzten Jahren im breiten Spektrum zwischen dem Inkasso-Heinzi aus dem ORF-„Tatort“, dem guten Freund Rudi aus den Eberhofer-Krimis und eben „Eifelpraxis“ zu einem der vielseitigsten und interessantesten deutschsprachigen Schauspieler entwickelt. (Text-Stand: 8.8.2019)