Die Eifelpraxis – Eine Frage des Muts

Rebecca Immanuel, Simon Schwarz, Müller, Broecker. Eine Heldin wie du und ich

Foto: Degeto / Hardy Spitz
Foto Tilmann P. Gangloff

„Eine Frage des Muts“, die vierte Episode aus der Degeto-Reihe „Die Eifelpraxis“ (ARD / UFA Fiction), bleibt dem Tenor der Reihe treu: Versorgungsassistentin Vera ist hin und her gerissen zwischen ihrem Pflichtgefühl, jedem Patienten die angemessene Aufmerksamkeit zu widmen, und dem eng getakteten Zeitplan ihres Chefs; außerdem hat sie ein schlechtes Gewissen, weil ihre Kinder zu kurz kommen. Sehenswert ist auch diese Folge vor allem wegen der in allen Lebens- und schauspielerischen Tonlagen stets glaubwürdigen Rebecca Immanuel. Gleiches gilt für Simon Schwarz; der Österreicher hat ebenfalls maßgeblichen Anteil daran, dass sich dieser Eifel-Ausflug, der gemessen an anderen Filmen des Helfergenres von existenzieller Natur ist, nicht nur für die typische Zielgruppe des Freitagsfilms im „Ersten“ lohnt.

Auch Helfer brauchen Hilfe: Das ist die unausgesprochene Botschaft des vierten „Eifelpraxis“-Films. Heldin der Reihe ist die alleinerziehende Krankenschwester Vera Mundt (Rebecca Immanuel), die im ersten Teil (2016) mit ihren Kindern aus Berlin ins schöne Eifelstädtchen Monschau gezogen ist und dort eine Stelle als Versorgungsassistentin eines Landarztes angenommen hat. Allerdings hatte Vera von Anfang an grundsätzliche Differenzen mit ihrem Chef: Die Arbeitspläne, die Chris Wegner (Simon Schwarz) ihr mit auf den Weg gibt, sind derart straff getaktet, dass pro Patient im Schnitt nur acht Minuten bleiben. Weil Vera die Bedürfnisse der Menschen nach eigenem Gutdünken bewertet, muss sie ständig Termine verschieben. Als eine alte Frau nicht zurückrufen kann, weil sie nach einem Sturz stundenlang hilflos auf dem Boden liegt, kommt es zum Eklat.

Die Eifelpraxis – Eine Frage des MutsFoto: Degeto / Hardy Spitz
Daniel (Aleksandar Radenkovic) nistet sich bei Vera (Immanuel), Mia (Mascha Schrader) & Paul (Tom Böttcher) ein. Charly (Sarah Mahita) gehört fast schon dazu.

Die Helferinnen aus vergleichbaren ZDF-Reihen wie „Lena Lorenz“ oder „Marie fängt Feuer“ haben ebenfalls Sorgen & Probleme; aber bei Vera sind sie existenzieller Natur. Deshalb steht „Die Eifelpraxis“ auch für einen anderen Anspruch: Die Versorgungsassistentin repräsentiert all das, was im Gesundheitssystem in den letzten Jahren schiefgelaufen ist. Diese Ebene rückt im vierten Film in den Vordergrund. Deshalb beschränkt sich Autorin Brigitte Müller diesmal auf eine Patientin: Försterin Hanna (Jytte-Merle Böhrnsen) droht die Erblindung. Auf einem Auge kann sie schon seit vielen Jahren nichts mehr sehen; nun löst sich auch beim anderen die Netzhaut. Eine Operation könnte helfen, aber Hanna hat panische Angst davor, dass sich ihr traumatisches Kindheitserlebnis wiederholt, als die gleiche Operation misslang; ein Gefühl, dass jeder Zuschauer nachvollziehen kann. Weil Vera alles versucht, um Hanna die Angst zu nehmen, vernachlässigt sie zwangsläufig ihre anderen Patienten. Als Wegner ihr verbietet, sich um Hanna zu kümmern, und ihr klar wird, dass sie und ihr Chef sich in dieser Grundsatzfrage wohl nie einigen werden, zieht sie die Konsequenzen.

Soundtrack: Timothy Auld („Waste Some Time“), Jack Savoretti („Nobody ‘Cept You”), Katie Melua („Wonderful Life”)

Die Eifelpraxis – Eine Frage des MutsFoto: Degeto / Hardy Spitz
Nur eine Operation kann Hanna (Böhrnsen) helfen. Aber sie hat panische Angst, weil bei ihr die gleiche OP schon mal missglückt ist. Damals war sie noch ein Kind.

Abgesehen von gelegentlichen Landschafts-, Himmels- und Tieraufnahmen konzentriert sich Josh Broecker bei seiner ersten Regie für die Reihe auf die Arbeit mit den Schauspielern. Gerade Rebecca Immanuel verkörpert die zwischen Gewissen und Pflichterfüllung hin und her gerissene Assistentin sehr glaubwürdig. Die Nebenebenen werden allerdings quasi im Vorübergehen abgehandelt. Am ehesten zu einem eigenen Strang innerhalb der Handlung taugt das Gefühlsleben von Veras Sohn Paul (Tom Böttcher), der nicht merkt, wie verliebt seine Kumpelfreundin Charly (Sarah Mahita) in ihn ist, da er nur Augen für ihre Schwester hat. Für kleine Momente der Heiterkeit sorgt Kleinstadtpolizist Volker (Tom Keune), der seine neue Freundin vor seiner giftspritzenden Mutter (Marie Anne Fliegel) versteckt; bis sich rausstellt, dass die Frau genauso ein Drachen ist. Im vierten Film ist Volker endlich nicht mehr als einziger für den akustischen Lokalkolorit zuständig: Wegners nach wie vor großzügig dekolletierte Arzthelferin Anita (von Luckwald), die sich wieder ihrer alten Rivalität gegenüber Vera besonnen hat, bekommt Verstärkung durch die alte Gerda, die schon für den Vater des Arztes gearbeitet hat; Ulrike Bliefert repräsentiert auch in der ARD-Reihe „Der Bulle und das Landei“ die typische regionale Bodenständigkeit, allerdings ganz am anderen Ende der Eifel.

Als weitere neue Rolle wird Daniel (Aleksandar Radenković) eingeführt, der für einen Liebhaber Veras eigentlich zu jung ist. Tatsächlich war er als Zivildienstleistender dabei, als ihre Mutter starb, mit der sich Vera als junge Frau unreparierbar verkracht hatte; noch ein Aspekt, der der Figur zusätzliche Tiefe verleiht. Daniel ist mittlerweile Journalist und beruflich in der Eifel; oder doch auch privat? Jedenfalls macht er sich im Hause Mundt umgehend unverzichtbar. Neu im Ensemble ist zudem René Steinke, der von Ralph Herforth die Rolle des Krankenhausarztes übernommen hat. Henning und Wegner hatten im letzten Film („Väter und Söhne“) kräftig um Veras Gunst gebuhlt. Offenbar kann der Landarzt Beruf und Privatleben gut trennen; von der Zuneigung ist jedenfalls nichts mehr zu spüren. Davon abgesehen hat Simon Schwarz erneut maßgeblichen Anteil daran, dass auch die vierte „Eifelpraxis“-Episode nicht nur für die typische Zielgruppe des Freitagsfilms im „Ersten“ sehenswert ist. Wie gut das Konzept der Reihe ist, zeigt eine kurze Szene mit großem Kitschpotenzial: Hanna trifft im Wald einen Blinden, der ihr rät, ihr Schicksal anzunehmen; Broecker inszeniert den Moment jedoch genauso sachlich wie den Rest des Films. Dass ausgerechnet die so stark wirkende Vera zwischendurch öfter den Tränen nahe ist – aus Empörung, Erschöpfung, Erleichterung –, zeigt nur, wie nah an der Wirklichkeit Drehbuchautorin Brigitte Müller diese Figur konzipiert hat: Die Krankenschwester ist keine überlebensgroße Heldin, sondern ein Mensch wie du und ich. (Text-Stand: 14.11.2017)

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Reihe

ARD Degeto

Mit Rebecca Immanuel, Simon Schwarz, Jytte-Merle Böhrnsen, Tom Böttcher, Aleksandar Radenkovic, Karolina Lodyga, Mascha Schrader, Janek Rieke, Omar El-Saeidi, René Steinke, Olga von Luckwald, Tom Keune, Marie Anne Fliegel

Kamera: Eckhard Jansen

Szenenbild: Marion Foradori

Schnitt: Regina Bärtschi

Musik: Stefan Hansen

Redaktion: Barbara Süßmann, Stefan Kruppa (ARD Degeto)

Produktionsfirma: UFA Fiction

Produktion: Markus Brunnemann, Dorothea Goldstein

Drehbuch: Brigitte Müller

Regie: Josh Broecker

Quote: 3,95 Mio. Zuschauer (13,4% MA)

EA: 08.12.2017 20:15 Uhr | ARD

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