Ganz schön was los in Charlottenburg und im Kiez von Neukölln. Werner Träsch (Uwe Ochsenknecht), der Müllwerker mit Herz, hat wieder alle Hände voll zu tun. Zunächst muss er dem Neuen im Führerhaus, Matthias (Marc Oliver Schulze), einst evangelischer Pastor, bei dessen Sorgerechtsstreit seelisch und bald auch praktisch zur Seite stehen. Dessen Ex Anna (Laia Alvarez) macht eigentlich einen sympathischen Eindruck. Hat sie tatsächlich zwei Gesichter? Oder ist möglicherweise auch der neue „Steuermann“ ab und an auf falschem Kurs? So wie Werners Zukünftige: Gabi (Adelheid Kleineidam) ist felsenfest davon überzeugt, dass ein anderer Mülle-Neuzugang, der Ex-Knacki Danny (David Bredin), in ihrem Späti ein nagelneues Handy hat mitgehen lassen. Auch bei Tarik (Aram Arami) ist nicht alles eitel Sonnenschein: In seiner Beziehung mit Werners Tochter Annika (Laura Louisa Garde) kriselt es. Sind die beiden doch zu verschieden? Nur gut, dass bei den Oldies – nach diversen Lebensstildifferenzen in den letzten Jahren – mittlerweile alles passt: Da die Hochzeit ins Haus steht, erinnert sich Werner an Gabis Tanzkurs-Wunsch. Dass sie dabei in einem Teenie-Anfängerkurs landen, kann sie auch nicht aus der Ruhe bringen. Hier lernt der umtriebige Netzwerker die clevere Kira (Clara Vogt) kennen, die ihm und Matthias bei dessen Sorgerechtsstreit entscheidend zur Hand gehen wird.
Foto: Degeto / Conny Klein
Was macht ein studierter Theologe am Steuer eines Müllabfuhr-Brummis? Diese Frage wird in Episoden elf und zwölf der ARD-Freitags-Reihe „Die Drei von der Müllabfuhr“ nicht eindeutig beantwortet. Das heben sich die Macher für spätere Geschichten auf. Und das ist gut so. Nicht zu viel Existentielles, zu viel Dramatisches auf einmal – das ist mehr denn je in „Der Neue“ und „Schutzgeld“ das stimmige Motto. Die soziale Wirklichkeit in ihrer ganzen Breite darzustellen, ist das Alleinstellungsmerkmal dieser Reihe, der man diesen langen Atem anfangs gar nicht zugetraut hätte. Doch Berlin bietet einfach eine Unmenge an Themen und Geschichten. Hinzu kommen die Nähe zum Alltag, die wiederkehrenden Situationen, die kleinen Beziehungshöhen und -tiefen, die wie aus dem Leben gegriffen wirken. Oder zumindest wie etwas medial Vertrautes, eine schöne Gewohnheit, jedes Jahr aufs Neue. Die Stadtreinigung sei wie eine Familie, gibt in einer köstlichen Szene der komische Sidekick Gerald (Martin Glade) dem großen Schweiger Danny wortgewaltig zu verstehen. Das mag in der Realität ein Klischee sein, für diese televisionäre Berliner Müllabfuhr wie für das märchenhaft kameradschaftliche Miteinander in dieser Reihe ist es ein passendes Bild: Die Gemeinschaft und der Glaube an sie, inklusive der liebgewonnenen Rituale, sind das Herzstück der Reihe, in der der „Käpt’n“ anfangs noch ganz allein den Ton angab.
Ein Sorgerechtsstreit aus der Mitte des Stammpersonals als Hauptkonflikt erweist sich als kluger Schachzug, noch dazu, weil auf diese Weise „der Neue“ gleich umso markanter eingeführt wird. Umbesetzungen im Haupt-Cast machen Reihen und Serien selten besser. Auch im Falle von „Die Drei von der Müllabfuhr“ konnte man annehmen, dass die Reihe den Abgang von Jörn Hentschels Ralle, dessen Intellektueller ein schöner Kontrast zu Ochsenknechts Daueroptimisten war, schwer verkraften würde. Doch Marc Oliver Schulze, dessen Matthias, der nach einem Mottenangriff aus der Mülltonne den Spitznamen „Motte“ weg hat und gleichermaßen Gefühl, Vernunft, soziales Gewissen und ein abgeschlossenes Studium mitbringt, reiht sich harmonisch ein in das eingespielte, sympathische Ensemble. Überhaupt funktioniert das Miteinander besser denn je. Das mag einerseits der bereits angedeutete Langzeit- und Vertrautheitseffekt sein, hat aber auch damit zu tun, dass die vielen kleinen und größeren Konflikte dramaturgisch bestens miteinander verzahnt sind. Ein Sorgerechtsstreit ist schon hunderte Male in einem Fernsehfilm erzählt worden. Eingebunden in diesen bunten Reigen verschiedenster Temperamente hat diese vermeintliche Allerwelts-Geschichte aber nichts von einem alten Hut. Hinzu kommt die lockere Art, wie hier kommuniziert wird. Wenn der Helfer vom Dienst seiner besseren Hälfte von den Problemen erzählt, die die Freunde belasten, hat das gelegentlich etwas von einem schlichten Austauschen von Gemeinplätzen, bekommt aber durch das authentische Spiel und das Ambiente der Situation, beispielsweise ein Gespräch beim Gehen, eine schöne Beiläufigkeit. Und: Die beiden sind nun mal Vertreter des gesunden Menschenverstands, zwei Sympathieträger, die das Herz nicht nur am rechten Fleck haben, sondern auch auf der Zunge tragen.
Foto: Degeto / Conny Klein
Soundtrack: (1) Hildegard Knef („In dieser Stadt“), Melody Gardot („If You Love Me“), Doris Day (Que Sera, Sera“), Pink Martini („Amado Mio“), Cuba Vista („Havana“), Edmundo Ros („As Time Goes By“), Bee Gees („Night Fever“) / (2) Hildegard Knef („In dieser Stadt“), Gitte Haenning („Fremdes Mädchen“), Detlev Lais („Eine weiße Hochzeitskutsche“)
Mehr als sonst bewegen sich die beiden neuen Episoden raus aus der Blase der Müllwerker und der Um-die-60-Liebenden. Eine clevere Drehbuchidee von Autor Gernot Gricksch ist in „Der Neue“ die Sache mit dem Generations-Crossover und Partnerwechsel beim Tanzkurs. So lernt Werner Kira kennen, eine taffe Vertreterin einer neuen Weiblichkeit: „Wie wär’s, wenn ich mal führe?“ Werner macht große Augen. „Du hast ja offensichtlich keine Ahnung, was du tust.“ Nicht wissen, was er tut, das scheint in der zweiten Episode „Schutzgeld“ auch für den 14-jährigen Khalid (Almountaser Alchltouh) zu gelten. Er und seine Kumpels, allen voran sein älterer Neffe Ahmad (Victor Kadam), terrorisieren die kleinen Ladenbesitzer in Neukölln. Imbissbesitzer Momo (Husam Chadat) weigert sich, Schutzgeld zu bezahlen. Es fliegen Hundekot und Steine. Ein Fall für Werner und „Motte“. Mit Feingefühl nähert sich nicht nur der „Käpt’n“ dem syrischen Jungen, sondern auch Gricksch und Regisseurin Christiane Balthasar dem heißen (sozial)politischen Eisen. Besonders gelungen die Szene, in der die beiden Helfer sich durch die Betonwüste Neuköllns bewegen und dabei die Sache mit dem „Fremdheits“-Empfinden menschlich bereden. Dass sich das Ganze dem Genre entsprechend auflöst, versteht sich von selbst. „Die Drei von der Müllabfuhr“ ist ein Paradebeispiel einer sozialromantischen Wohlfühl-Filmreihe. Und weil die neuen Filme gut geschrieben und filmischer als zuletzt inszeniert sind (dazu gehören auch die originellen Finalsequenzen in Orange), unterhält man sich ohne Reue.