Sie ist eine Frau, die überall aneckt, weil sie immer das letzte Wort haben muss. Ihre Chancen, das Leben zu meistern, sind alles andere als gut. Sie ist alleinerziehend und mal wieder arbeitslos. Außerdem wurde sie zu 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit verdonnert. Diese Jessie Fischer könnte die große Schwester von Erin Brockovich sein. Unkompliziert, loses Mundwerk und auf eine sehr charmante Weise zielgerichtet. Katja Riemann spielt sie in „Die Diebin und der General“ zwischen burschikos, klug und sexy. An ihrer Seite ein anderer Großer: Jürgen Hentsch, einst bei Breloer ein wunderbarer Heinrich Mann. In Miguel Alexandres Fernsehfilm spielt auch er einen Sturkopf, der sich dem Leben völlig verweigert.
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Im Seniorenheim, wo Jessie ihre Sozialstunden ableisten muss, heißt er nur „der General“. Schroff fährt er das Personal an, beleidigt andere Heiminsassen und weigert sich, zu essen. Ein verbitterter, alter Mann. Auch Jessie begrüßt er entsprechend: „hübsch, dumm und frech“. Doch die weiß zu kontern: „Blond haben Sie noch vergessen“. So was imponiert dem Alten. Bei ihm flippt Jessie nicht aus. Bei ihm zeigt sie dieselbe soziale Kompetenz, die sie auch bei ihrem 11-jährigen Sohn an den Tag legt. Beide spüren, dass sie sich ähnlich sind, sie kommen sich näher und lernen, sich respektvoll zu behandeln. Und die Beziehung geht bald tiefer. Bis die Kinder, die ihren Vater einst entmündigt haben, dem ein Ende setzen. Doch die kennen Jessie nicht. Heimlich holt sie den „General“ aus der Klinik & fährt mit ihm ans Meer.
„Die Diebin und der General“ ist eine ebenso bewegende wie amüsante Tragikomödie. Es muss nicht immer seicht und banal sein im ARD-Unterhaltungsfilm. Der stimmige Wechsel der Tonlage, von komödiantisch zu gefühlsbetont, ist die große Stärke dieses Films. Weil man gegen Ende die beiden Figuren gut kennt, weil man sich ihnen wohlwollend verbunden fühlt, macht man die Reise ans Meer, die eine Reise in die Vergangenheit ist, als Zuschauer gerne mit. Noch dazu, weil die (Erzähl-)Haltung stimmt: die Gefühle kommen nicht von außen, sie entwickeln sich aus dem symbiotischen Zusammensein der beiden Hauptfiguren. Nicht nur darin hat der Film mehr vom „richtigen Leben“ als andere Dramen. Auch die Geschichten am Rande, Jessies innige Beziehung zu ihrem Sohn, die Liebe zu einem seiner Lehrer, der Pflegenotstand im Altenheim, das alles macht den Film ästhetisch dicht und menschlich glaubwürdig. Martin Rauhaus hat ein kluges Buch geschrieben, und Miguel Alexandre („Grüße aus Kaschmir“) sensibel Regie geführt. Da stimmt sogar die Musik. Jemand wie Jessie steht nicht auf Kuschelrock, eine wie sie hört Sheryl Crow. (Text-Stand: 18.12.2005)