Zwei ungleiche Brüder drehen am Riesenrad der Marktwirtschaft
Die zwei Dassler-Brüder aus dem fränkischen Ort Herzogenaurach haben Anfang der 1920er Jahre Großes vor: Adi (Christian Friedel) will den perfekten Sportschuh entwickeln, und Rudi (Hanno Koffler) will ihn unter das sportbegeisterte Volk bringen. Vater Christoph (Joachim Król), ein fleißiger Flickschuster und anfangs skeptisch ob der risikoreichen Investitionen, und Mutter Pauline (Johanna Gastdorf) können bald stolz sein auf ihre Jungs: So verschieden die beiden von ihrem Naturell her auch sind, gemeinsam sind sie fast unschlagbar. Und so expandiert die Firma unaufhaltsam und kann immer mehr Sportler für die Dassler-Produkte gewinnen. Olympische Medaillen sind auch Dassler-Medaillen. „Werbung am Mann“, so lautet die Marketingstrategie. 1936 fertigen sie sogar dem schwarzen US-Laufwunder Jesse Owens dessen Goldmedaillenschuhe. Die Nazis sind zwar verstimmt – für die Dassler-Brothers und ihre Frauen, die auf die Familie fixierte Friedl (Hannah Herzsprung) und die in der Firma mitarbeitende Käthe (Alina Levshin), bringen die Olympischen Spiele in Berlin jedoch den internationalen Durchbruch. 1939 wird die Firma zwar als „kriegswichtig“ eingestuft, muss dafür aber die Produktion umstellen auf Gasmasken und Waffen. Und dann wird Rudi auch noch eingezogen. Das ist der Anfang vom Ende der Dassler-Herrlichkeit.
Foto: Degeto / Martin Spelda
Der Aufstieg einer Firma wird zum Niedergang einer Familie
Der ARD-Zweiteiler „Die Dasslers – Pioniere, Brüder und Rivalen“ zeichnet das Leben der beiden ungleichen Brüder von 1922 bis ins Jahr 1974 nach, erzählt vom Aufstieg der Firma, von kleinen Rückschlagen und Beziehungskrisen, von der großen Katastrophe, die der Zweite Weltkrieg vor allem auch zwischenmenschlich für die Dasslers bedeutete, und von einer lebenslangen Rivalität, die sich schließlich zu einer offenen Feindschaft entwickeln sollte. Der erste Teil wirft einen erkenntnisreichen Blick auf ein deutsches Unternehmen, das sich den Zeitgeist und die nationalsozialistischen Werte zunutze macht, um eine Weltmarke zu werden. Der Erfolg überdeckt die seit Jugendjahren zwischen den Brüdern schwelenden Konflikte. Als dann aber der Konkurrenzkampf der beiden durch die Weltpolitik forciert wird, ist das Zerwürfnis unvermeidbar: Rudi muss in den Krieg und wird danach von den Amerikanern inhaftiert, Adi darf an der „Heimatfront“ dienen. Rudis Misstrauen nimmt daraufhin geradezu paranoide Züge an. „Wer hat mich angeschwärzt?“, will er wissen – und beschuldigt seinen Bruder. Als Adi zum Verhör der amerikanischen Besetzer muss, hegt er gegen Rudi den gleichen Verdacht. In dieser psychologischen Fußnote spiegelt sich ein Stück weit deutsche Geschichte, die eben immer auch eine Geschichte von Diktatur und Denunziantentum ist.
Zeit- und Sportgeschichte: die Geburtsstunde des modernen Kapitalismus’
Der zweite Teil steht im Zeichen eines grenzenlosen Konkurrenzkampfes der beiden Firmen, Adis Adidas & Rudis Puma, und einer erbitterten Feindschaft der Familien. „Die Dasslers“ erzählt also Familien- und Unternehmensgeschichte gleichermaßen – wobei die jeweiligen gesellschaftlichen und weltpolitischen Zeithorizonte mit den privaten Geschichten klar, aber nie überdeutlich in Beziehung gesetzt werden. Die Bezüge zum Dritten Reich und Zweiten Weltkrieg sind dabei nicht die einzigen: Auch die Geschichte des Sports und der Marktwirtschaft fließen in die Dassler-Chronik ein. „Die Geschichte von Puma und Adidas ist in gewisser Weise auch die Geschichte über die Geburtsstunde des Kapitalismus’, wie wir ihn heute kennen“, so die Regisseure Cyrill Boss & Philipp Stennert („Neues vom Wixxer“). Der Einstieg in den Film könnte stimmiger kaum sein: Fußball-WM 1974. Da sind sie, Beckenbauer, Netzer, Müller & Co, die westdeutschen Stars, die Adidas tragen und sich dafür gut bezahlen lassen. Es ist die erste WM, bei der das Geld für die Spieler ein öffentliches Thema wird. Produktmythos trifft auf Zeitgeist-Mythos: Die enge wirtschaftliche Verbindung von Profi-Sport und Sportindustrie („Sportartikel werden nur noch über Sportler verkauft“) fließt unaufgeregt schon in eines der ersten einprägsamen Bilder ein: Adi Dassler kontrolliert beim Einlaufen der Spieler deren Stollen. Aber das ist nicht alles: Es geht nämlich um das legendäre Spiel der Bundesrepublik gegen die DDR, also um den Kampf zweier „zerstrittener“ deutscher Nationen. Damit wird das Motiv der rivalisierenden Brüder vorweggenommen.
Foto: Degeto / Martin Spelda
Hanno Koffler über Rudi Dassler: Er war Lebemann, Frauenheld, Geschäftsmann, er war ein Mann, der großen Unterhaltungswert mitbrachte, gesellig und energetisch, er konnte sehr charmant sein, und er war tüchtig und stolz. Eine schillernde Persönlichkeit. Ein Puma eben… Ein Macht- und Erfolgsmensch, den der Gedanke, zu scheitern oder unbedeutend zu werden, in große Ängste und Selbstzweifel gestürzt hat, trotz seines Erfolgs.“
Christian Friedel über Adi Dassler: „Er war ein Tüftler, nicht frei von Fehlern, aber mit großem Herz. Ein Mensch mit dem Hang zum Perfektionismus und zum ‚Einzelgängertum’, der es trotzdem geschafft hat, ein Familienmensch zu bleiben.“
„Die tragische Geschichte der Brüder erinnerte uns an Shakespeare-Dramen. Man wird mit der Frage konfrontiert, wieso wir Menschen immer wieder bereit sind, für Erfolg und Macht alles aufs Spiel zu setzen, auch die Beziehungen zu den Menschen, die wir am meisten lieben.“ (Cyrill Boss & Philipp Stennert)
Dramaturgie vorbildlich: narrative Metaphern & vielschichtige Bilder
Es ist die besondere Stärke dieses History-Zweiteilers, dass Autor Christoph Silber und die Regisseure/Koautoren Boss & Stennert die vordergründige Erzählung ständig spiegeln, verdichten, das Kleine im Großen aufscheinen lassen, dass sie viel mit narrativen Metaphern und semantisch vielschichtigen Bildern arbeiten, dass sie die Diskurse Sport, Politik und Marktwirtschaft formal klug verweben und in ihrer Interdependenz zeigen. Damit geben sie ihrer Geschichte Sinn und Relevanz, ohne die ästhetischen Möglichkeiten des Mediums zu vernachlässigen. Da ist zum Beispiel das Konkurrenz-Motiv, das sich durch den Film zieht: Einmal boxen die Brüder gegeneinander; es ist ein Fight, bei dem sich die angestaute Wut, aber wohl auch ein tief verwurzeltes Minderwertigkeitsgefühl des „Nur“-Managers gegenüber dem „kreativen Kopf“ Bahn bricht. Nicht ohne Grund kommt die Stoppuhr, Symbol für das lebenslange gegenseitige Kräftemessen der Brüder, früh im Film ins Spiel. Der Ehrgeiz der beiden ist die Quelle ihres Erfolgs. „11,3 Sekunden, so schnell war ich noch nie“, freut sich Adi, als sie nach Rudis Rückkehr in die Heimat im Wald beim Sprinten gegeneinander antreten. „Weil du immer alleine läufst“, weiß der zwei Jahre ältere Bruder. Von da ab bündeln die Dasslers ihre unterschiedlichen Talente. Weitere sinnlich-sinnträchtige Glanzstücke sind eine köstliche Szene, in der Adi von einem „Rendezvous“ statt mit der Frau mit deren Schuh nach Hause geht, und einige furiose Montagen im zweiten Teil, die das Erzählte rhythmisieren, die Tempo machen und in einem Fall ein Glanzstück ökonomischer Informationspolitik sind: die „Marken-Neuaufstellung“ von Adidas und Puma wird im Sekundentakt dem Zuschauer präsentiert und dabei gleichzeitig von der Gegenseite kommentiert. Das Ganze ereignet sich ausgerechnet 1949! Von diesem Jahr an gibt es noch zwei größere Streithähne – deutschland- wie weltpolitisch. Fünf Jahre später ein weiteres Bild, das sich einmeißelt: Rudi und seine Sippe vor dem heimischen Fernsehapparat. Schweigend, ernst, regungslos. Die einzige Familie, die sich über das (von Adidas mitbewirkte) Wunder von Bern nicht freuen kann.
Foto: Degeto / Martin Spelda
Was an „Die Dasslers“ (ARD) besser ist als am „Duell der Brüder“ (RTL)
„Die Dasslers – Pioniere, Brüder und Rivalen“ dauert 180 Minuten, die Chronologie der Ereignisse dürfte – vordergründig betrachtet – der Kern der Geschichte sein. Autor Silber baut zwar eine gewisse Finalspannung dadurch auf, dass 1974 Rudi Dassler todkrank ist und so nach 26 Jahren Schweigen die Chance zur Versöhnung besteht, doch es sind vor allem die eigenwilligen Charaktere und der Konkurrenzkampf und später offene Konflikt zwischen den Brüdern und ihren Familien, die in vielen eindrucksvollen Szenen beiläufig „angespielt“ werden und den größten Reiz des Films darstellen. Das ist ähnlich auch bei dem anderen Fernsehfilm über die Sportschuh-Rivalen, „Duell der Brüder – Die Geschichte von Adidas und Puma“ (RTL). „Die Geschichte lebt von ihren Charakteren, von vier ideal besetzten Hauptdarstellern, sie kommt ohne dramaturgische Ausrufezeichen aus…“, hieß es 2016 auf tittelbach.tv. Doch im Vergleich der beiden Produktionen erkennt man dann doch entscheidende Qualitätsunterschiede. Dass der ARD-Zweiteiler weniger als das telegene RTL-Movie in der Ikonografie der Zeiten schwelgt (und beispielsweise auf die Riefenstahl-Ästhetik verzichtet), kommt ihr zugute, denn so bleibt mehr Raum für die psychologische Durchdringung der Charaktere. Auch wissen der Theaterschauspieler und Musiker Christian Friedel („Das weiße Band“) und Hanno Koffler („Meister des Todes“) noch mehr zu überzeugen als der omnipräsente Ken Duken und der gegenüber Koffler etwas hüftsteife Torben Liebrecht.
Ideales Format, stimmiger Erzählrhythmus, perfekte Altersmasken
Das größte Plus von „Die Dasslers“: Der Film hat das ideale Format für den Stoff gefunden. Bei einem Zweiteiler lässt sich tiefer in die Figuren gehen, lassen sich die Interaktionen feiner ausspinnen und die vielfältigen historischen Bezüge besser integrieren. Vordergründige Motive wie Eifersucht oder mangelndes Selbstwertgefühl stehen weniger deutlich im Vordergrund als beim RTL-Film, der insgesamt die Rivalität der Brüder stärker ins Zentrum rückt. Das 110-minütige „Duell“-Movie spielt die Konflikte offensiver aus (es wirkt jedenfalls so wegen der kürzeren Sendezeit), während die Degeto-Produktion geradezu meisterhaft ist in ihrer narrativen Akzentuierung, dem Spiel mit Andeutungen – an die im Verlauf des Films ebenso elegant erinnert wird: So findet beispielsweise Rudis permanente Untreue im Blick seiner Ehefrau („Das bist du mir für all die Jahre schuldig“) Jahrzehnte später ihre „Antwort“. Überhaupt, dieses Biopic ist makellos gestaltet: passende narrative Ellipsen, ein stimmiger Erzählrhythmus, die Sätze kurz, prägnant, gelegentlich zum Schmunzeln. „Die Nähmaschinen in der Fabrik haben ja mehr Spaß als du“, findet Rudi. Sein Vermittlungsversuch scheitert. Adi: „Ich glaube, Erika und ich sind nicht füreinander bestimmt. Die glaubt, die olympischen Ringe kann man am Finger tragen.“ Last but not least: Die Maske zur Darstellung der Alterungsprozesse ist noch nie so überzeugend (ohne Bruch in der Illusion) in einer deutschen TV-Produktion eingesetzt worden. Statt Doppelbesetzung haben sich die Regisseure für Altersmasken entschieden. „Das Älterwerden selbst ist ja ein wesentlicher Bestandteil unserer Geschichte“, so Cyrill Boss & Philipp Stennert im Presseheft-Interview. „Wir wollten beispielsweise zeigen, wie ein agiler, fröhlicher Rudi Dassler zu einem müden, starren alten Mann wird. Dafür musste man aber Hanno Koffler 40 Jahre kontinuierlich altern lassen.“