Auf der Schwäbischen Alb sind die Büffel los. Jungbauer Max Wolf (Marc Benjamin) hat eine ganze Herde dieser genügsamen Weidetiere günstig aus Rumänien erstanden und hofft, so den Traditionshof seiner Familie retten zu können. Rückendeckung bekommt er von seiner Mutter Erika (Franziska Walser), die genauso gut zupacken kann wie Konrad (Sebastian Fritz), der jüngere Bruder von Max, der sich allerdings eher von der Muse geküsst sieht, als dass er von lebenslanger Plackerei im Stall und auf der Weide träumt. Gegenspieler der Familie Wolf sind die Bliesingers: Vater Alois (Klaus Pohl) hat das Sagen im Dorf, ihm gehört eine immer rentabler arbeitende Biogasanlage, die Dorfkneipe – und alles andere kauft er sich. Seinem Sohn Michael (Tobias van Dieken) ist sein alter Herr zu sehr Old School – der junge Mann will sich nicht zu Tode malochen, lieber outsourcen – und er hat es auf Max’ Weideflächen abgesehen. Als plötzlich ein blonder Engel, die Rumänin Sveta (Anna Unterberger), auf der Flucht vor ihrem Ausbeuter Charlie (Mario Irrek), Verkäufer von Reizwäsche & mehr, auf der Alb „abstürzt“, gehen die Phantasien mit den Mannsbildern durch. Einer macht ein unmoralisches Angebot, ein anderer kommt auf die harte Tour, und der, der Sveta verdient hat, benötigt etwas Zeit, um aus der Deckung zu kommen. Die Büffel gehen vor.
Foto: SWR / Maor Waisburd
Kamen Western-Motive und Stimmungen dieses archaischen Kinogenres im deutschen Fernsehen zuletzt immer wieder in Krimis – ob im Wilden Osten (die „Polizeirufe 110 – Vor aller Augen“ oder „Wolfsland“) oder schießwütigen Nordwesten (Holger Karsten Schmidts Hinnerk-Schönemann-Krimis à la „Mörder auf Amrum“) atmosphärisch zum Tragen, satteln nun die Cowboys bei der ARD-Degeto die Pferde und sie schießen notfalls auch. Nach dem eher dürftigen Ladies-Ausritt „Winnetous Weiber“ und der liebevoll erzählten Wildwest-Dramedy „Matthiesens Töchter“ mit Matthias Habich haben sich nun die Drehbuchautorin Carolin Hecht und der Regisseur Tomy Wigand für „Die Büffel sind los“ den Codes und insbesondere auch der Ikonografie des vermeintlichen Nur-Männergenres angenommen, in dem es um Land(schaft), Grenzen und Besitzstände geht, sie mit zeitgemäßen Subtexten (Ausverkauf der osteuropäischen Länder, Fremdenfeindlichkeit, Flüchtlingskrise) beiläufig unterfüttert und eine ironische Prise bodenständige Romantik mit ins Spiel gebracht. Das ist alles gekonnt kombiniert, genregemäß vorhersehbar geplottet im Großen, die Details aber stecken immer wieder voller Überraschungen. Insbesondere der Mut, dramaturgisch mit Schlüsselszenen aus Western zu erzählen und dennoch ernsthaft im Konflikt der Story zu bleiben, obwohl man doch den Boden des TV-Realismus’ verlässt, das ist handwerklich eine Herausforderung und für den Zuschauer eine willkommene Abwechslung am Freitagabend.
Es sind aber nicht nur die Landschaftsaufnahmen, der weite Himmel über der Alb, mal ein Sonnenuntergang, mal plastisch anmutende Wolkenformationen, es sind auch die Szenen mit Action, die Herde Büffel in Bewegung, eine Biergartenschlägerei, der obligatorische Showdown, und es sind die typischen Saloon-Scharmützel, die mit dem Western-Motiv der resoluten Frau spielen (die in Wahrheit die Hosen anhat!) – die die visuelle Qualität des Films mitbestimmen. Die Dialoge sind zumeist knapp, was den bodenständigen Charakteren entspricht, die Bilder und die Handlungen, das Nonverbale, dominiert häufig. So beantwortet die Rumänin den Antrag vom Dorf-Patriarchen zunächst mit Worten: Heirat, deutscher Pass und Abfindung für eheliche Pflichten sind ihre Bedingungen. Da muss der Schwabe erst mal schlucken, vielleicht auch im Geiste nachrechnen, doch dann folgt Sekunden später die eigentliche Antwort: ein Tanz von Max mit Sveta, alle Augen auf die beiden gerichtet und das ausgerechnet am Geburtstag des alten Bliesingers – das freilich ist die wahre Antwort der Rumänin. Bereits die Einstiegssequenz gibt ein Versprechen auf einen sehr filmisch getakteten Erzählfluss. Ersten Western-Assoziationen folgt die Einführung der fünf zentralen Figuren, geschickt narrativ miteinander verschnitten. Dazu eine geradezu kinohafte Vorstellung der Heldin auf der Flucht. Der dunkle Van, der sich kurzzeitig an ihren Ami-Schlitten hängt, entpuppt sich nicht als der des „bösen“ Charly, sondern des „bösen“ Bliesinger jun., der bald einen anderen Weg nimmt – direkt zur Weide der Wolfs, um dort Stunk zu machen. Viele Infos, die Grundkonflikte angesprochen und elegant vermittelt: eine perfekte Exposition!
Foto: SWR / Maor Waisburd
Carolin Hecht war lange Zeit Autorin für Sat-1-Qualitäts-Movies wie die „Allein unter“-Reihe mit Hannes Jaenicke oder Teil 3 der Hochglanz-Mittelaltermär „Die Wanderhure“, die sich der Sender heute nicht mehr leistet. Gute Voraussetzung für „Die Büffel sind los“ war ihr Buch zu dem bemerkenswerten Event-Movie „In einem wilden Land“ (auch Sat 1) mit Emilia Schüle & Nadja Uhl, ein Western!
Nicht minder reizvoll und zum visuellen Konzept passend hat Regisseur Tomy Wigand „Die Büffel sind los“ besetzt. Da ist der attraktive, gut aussehende Blick-Schauspieler Marc Benjamin, der bereits mit seiner introvertierten Art zu spielen es in dem Top-Liebesfilm „Für eine Nacht… und immer?“ mit der gelernten Theaterschauspielerin Juliane Köhler aufnehmen konnte. Sein Max ist ein wortkarger, etwas sturköpfiger Bauer, den seine Nächsten und seine Gegner kennen mögen, Benjamin spielt ihn aber so, mit einer gelegentlich seltsam abgehackten Diktion und einem Spiel zwischen Fokussierung und Trance, dass da für den Zuschauer immer ein Geheimnis bleibt. Und einmal sitzt er am Lagerfeuer – und gibt die softe Ausgabe vom Marlboro-Mann. Dass er ein Auge auf die hübsche Rumänin geworfen hat, wird eher vom Zuschauer auf die Handlung projiziert, als dass es der „Cowboy“ sofort zum Ausdruck bringen würde. Hecht verzichtet erfreulicherweise weitgehend auf die konventionellen Was-sich-liebt-kann-sich-zunächst-nicht-ausstehen-Muster. Auch Tobias van Dieken ist typgerecht besetzt; der Widerling wird sichtbar und doch steckt in ihm auch ein vom Schicksal – sprich dem eigenen Vater – Gestrafter. „Ein armer Teufel“, bringt der Darsteller die Figur treffend auf den Punkt. Sebastian Fritz hat die etwas undankbare Rolle des leicht komischen Sidekicks und als Ansprech- und Handlungspartner seines großen Bruders Max: Sein Konrad rezitiert ständig Texte und sehnt sich nach der großen Bühne. Ob man das witzig oder überflüssig findet – das ist Geschmackssache; dramaturgisch ist die Rolle nicht mehr als ein Steigbügelhalter. Wunderbar, dass auch in der zweiten Reihe nicht gespart wurde: Franziska Walser, auch sie präzise und auf den Punkt, wenn es um Blicke geht, spielt Mutter Wolf, ein durchweg stimmiger Charakter. Eine Frau mit Erfahrung, die sich Gedanken macht, dabei auch das eine oder andere Vorurteil mitdenkt, ohne es allerdings auszusprechen.
Foto: SWR / Maor Waisburd
Tomy Wigand arbeitete in jungen Jahren als Cutter für Roland Emmerich, bevor er mit „Picknick im Schnee“ (1999) seinen ersten, sehr stimmungsvollen Fernsehfilm drehte. Sein Durchbruch gelang ihm mit der Neuverfilmung des „Fliegenden Klassenzimmers“. 2008 überraschte er mit der originellen, leider nie wiederholten Line-Dance- und Country-Komödie „Willkommen im Westerwald“ mit Lisa Martinek. Sein Gespür für Komik und Timing stellte er besonders in „Das große Comeback“ unter Beweis. Selbst das ZDF-„Herzkino“ wusste er mit zwei Komödien nach Kerstin Giers „Mütter-Mafia“ zu veredeln. Und auch „Der Kotzbrocken“ zuletzt war eine überdurchschnittliche ARD-Degeto-Dramödie.
Last but not least: Hauptdarstellerin Anna Unterberger, die mit ihrem Rollenwechselspiel dem Film seinen Glanz, seinen Zauber, seine Erotik verleiht: Sie ist das Herz von „Die Büffel sind los“. Es ist neben der Palette der Frauenbilder – der Vamp (wider Willen), das brave Rosen-Resli, die helfende Kameradin, die Selbstbewusst-Patente, das Flintenweib – mit den jeweiligen Körper-Images und markanten Blicken auch und vor allem der biographische Hintergrund ihrer Sveta, der Unterbergers Rolle so dicht und glaubwürdig macht. Und das obwohl auf den ersten Blick diese Besetzung alles andere als „authentisch“ erscheint: Eine Südtirolerin, also Italienerin, verkörpert in einem deutschen Film eine Rumänin. Der Akzent gelingt ihr einwandfrei, ebenso das Selbstverständnis einer osteuropäischen Frau, die sicherlich alles andere als einen mitteleuropäischen Gedanken von Emanzipation mitbringt. Dieser pragmatische Umgang (erst kommt das Fressen, dann die Moral) wirkt selbst im Rahmen dieses Unterhaltungsfilms glaubwürdig. Die Waffen einer Frau einzusetzen, erweist sich in diesem gesellschaftlichen Kontext durchaus als legitim und das kurze Nachdenken darüber, ob die Heldin das unmoralische Angebot annehmen solle oder nicht, beschädigt keineswegs die Integrität der Figur, im Gegenteil, sie verleiht ihr sogar mehr Realitätsnähe. Auch wenn die Autorin dieser jungen Frau trotz ihrer schwierigen sozialen Stellung als Beute der Männer verhältnismäßig viel Selbstbestimmtheit mitgibt, so umkreist eindeutig ein männlicher (Kamera-)Blick, die in jedem Frauenbild überaus charmant und sexy wirkende Unterberger und bedient das Beute-Schema auch über die Spielebene hinaus. Anders ausgedrückt: Die Schauspielerin hat’s drauf und die Kamera liebt sie. (Text-Stand: 16.9.2016)