„Der Rausch des Kampfes wird oft zu einer mächtigen und tödlichen Sucht. Denn Krieg ist eine Droge.“ Diese Erkenntnis stammt nicht von einem Soldaten, sondern von Chris Hedges, Kriegsberichterstatter der New York Times. Anja Niedringhaus könnte diesen Satz auch gesagt haben. Die 1965 geborene Westfälin zählte zu den angesehensten Kriegsfotografinnen, 2005 ist sie für ihre Dokumentation des Häuserkampfs im Irak als erste Deutsche mit dem Pulitzer-Preis geehrt worden. „Ich will den Krieg beenden“, erläutert sie einem Kollegen ihr Motiv, in den frühen Neunzigern über den Bürgerkrieg in Jugoslawien zu berichten. Später stellt sie wie Hedges fest, dass Krieg zur Sucht werden kann. Eine zweite Erkenntnis erschüttert sie weitaus mehr: Nach fast zweieinhalb Jahrzehnten an den Brennpunkten dieser Welt muss sie einsehen, dass sich durch ihre Arbeit rein gar nichts geändert hat.
Ausgerechnet dieser wichtige Moment, als die Fotoreporterin Einblicke in ihr Innerstes gewährt, ist eine der wenigen schwächeren Szenen des Films, weil es wie ein Bühnenmonolog wirkt, wenn Niedringhaus einer befreundeten Kollegin erklärt, sie habe ihr normales Leben aufgegeben, „weil ich so eine furchtbare Angst hatte, in meiner eigenen Bedeutungslosigkeit zu ersticken.“ Die Fotografin wollte mit ihrer Arbeit dokumentieren, wie die Bevölkerung unter den Folgen eines Krieges leidet, aber nun berührt sie das Schicksal der Menschen vor ihrer Kamera nicht mehr. Als sie dank des Appells einer afghanischen Politikerin neuen Lebens- und Arbeitsmut gewinnt, wird sie grundlos von einem Polizisten erschossen. Sie ist nicht mal fünfzig Jahre alt geworden. Mit ihrer Ermordung beginnt der Film, und der Schock ist umso größer, weil sie unmittelbar zuvor noch in Richtung Kamera strahlt: „I’m so happy.“
Es folgt eine Rückblende ins Jahr 1991, als Anja ihren Chef (Sahin Eryilmaz) in der Frankfurter Redaktion der europäischen Pressefotoagentur EPA davon überzeugen will, sie ins vom Bürgerkrieg zerrissene ehemalige Jugoslawien zu schicken. Der verweist auf ihre fehlende Erfahrung in Kriegsgebieten, und überhaupt: „Krieg ist was für Männer.“ Sie setzt sich durch und muss, kaum gelandet, von einem italienischen Reuters-Kollegen vor wütenden Soldaten gerettet werden, die sie ohne Erlaubnis fotografiert hat. Jetzt verheizen sie schon Praktikanten als Kanonenfutter, kommentiert Sergio ihre Anwesenheit, was ihn nicht daran hindert, eine innige und jahrelange Beziehung zu Anja entwickeln.
Neben dem ausgezeichneten Spiel von Antje Traue und Michele Cuciuffo ist es vor allem die auch handwerklich herausragend gut gelungene Kombination inszenierter und dokumentarischer Aufnahmen, die „Die Bilderkriegerin“ zu einem besondern Film macht. Weil das Budget im Unterschied zu Hollywood-Produktionen wie „Black Hawk Down“ (2001) oder „The Hurt Locker“ (2008) keine aufwändigen Rekonstruktionen von Kampfhandlungen zuließ, findet der Krieg oft nur auf der Tonspur und per Lichteffekt statt. Darüber hinaus haben sich Roman Kuhn (Regie), der das Drehbuch gemeinsam mit Yury Winterberg geschrieben hat, und Sonya Winterberg (Dokumentarregie) vieler authentischer Aufnahmen bedient. Die Übergänge sind oft unmerklich, weil auch die Spielszenen zunächst in grobkörnigem Schwarzweiß gehalten sind; eine kongeniale Leistung der Gewerke Kamera (Jürgen Rehberg) und Filmschnitt (Clemens Hübner). Ähnlich eindrucksvoll ist ein kühner Zeitsprung gestaltet. Ohnehin hat das ästhetische Konzept enormen Anteil an der Qualität des Films. Bei Anjas Einsätzen in den Kriegsgebieten hat Kuhn auf bunte Farben verzichtet; die Bilder aus Bosnien sind düster und grauweiß, die Szenen aus dem Irak hell und sandfarben. Entsprechend wirkungsvoll ist die Kolorierung der Fotos zu Beginn. Auf einer der Aufnahmen besucht Santa Claus die Soldaten in der Wüste; die im Halbkreis versammelten Soldaten tragen tarnfarbene Uniformen, der Weihnachtsmann ist selbstredend knallrot gekleidet.
Gerade angesichts der Dichte der durchaus spannenden Kriegsszenen – im Irak gerät Anja gemeinsam mit US-Marines unter Beschuss, in Afghanistan wird sie durch eine Handgranate verletzt, als sie eine kanadische Patrouille begleitet – muten die mehrfachen (und deutlich farbenfroheren) Besuche bei der Schwester (Franziska Hartmann) in der westfälischen Heimat etwas kraftlos an. Vermutlich sollen diese Momente zeigen, welches Leben die Fotografin ihrer Berufung geopfert hat, und zudem ihre Rastlosigkeit dokumentieren, weil die Stippvisiten stets nur kurz sind. Ein weiterer Wermutstropfen: Wie im Auslandskrimi donnerstags im „Ersten“ sprechen dank der Synchronisation alle Menschen ein makelloses deutsch, ganz gleich, in welchem Kriegsgebiet die Fotografin unterwegs ist. Umso aufgesetzter klingt der nordamerikanische Akzent ihrer kanadischen AP-Kollegin Kathy Gannon (Dulcie Smart), die bei dem Attentat schwer verletzt worden ist. Immerhin ist Antje Traue auch eine gute Sprecherin der aus dem Off vorgetragenen tagebuchartigen Kommentare.
Die kritischen Anmerkungen können die Gesamtqualität dieses Werks, das an die großen Auslandskorrespondentenfilme der Achtziger – „Die Fälschung“ (Volker Schlöndorff, 1981), „The Killing Fields“ (Roland Joffé, 1983) oder „Under Fire“ (Roger Spottiswoode, 1983) – anknüpft, allerdings sowieso kaum schmälern. Wegen der FSK-Freigabe ab 16 Jahren darf der von der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte koproduzierte Film nicht vor 22.00 Uhr ausgestrahlt werden. Das gilt auch für die Mediathek, es sei denn, man hat einen personalisierten Zugang.