Mit dem Tod war in letzter Zeit in Hepperlingen kein Geschäft zu machen. Deshalb konnte Lisa Taubenbaum (Anna Fischer) wieder vermehrt ihrem Beruf als Physiotherapeutin nachgehen. Die Männer im traditionsreichen Bestattungsfamilienbetrieb haben es ungleich schwerer: Ihr geistig behinderter Bruder Hannes (Frederik Bott) hat kaum noch was zu tischlern, dagegen erhofft sich Vater Alfons (Artus Maria Matthiessen) durch sein Engagement im Stadtrat mehr „Kundenbindung“, muss aber erkennen, dass man ihn zu bestechen versucht. Bald befindet er sich mitten in einem hart geführten Dorfstreit um den Bau eines Golfplatzes, den Jörg Waibel (Thomas Schmauser) und Paul Geller (Robert Schupp) mit Hilfe zahlungskräftiger Investoren unbedingt bauen wollen. Aber würden sie dafür auch einen Toten in Kauf nehmen? Jedenfalls ist Alfred Dürr, ein streitsüchtiger Raffke und mit seinem Grundstück Zünglein an der Waage des Golfplatzprojekts, spurlos verschwunden. Und dann sitzt plötzlich eine tote, unbekannte Frau an einer Bushaltestelle nahe Hepperlingen. Das Kerngeschäft der Taubenbaums kommt also wieder in Gang. Es erwacht aber auch Lisas exzellentes kriminalistisches Gespür, von dem der arbeitsscheue Dorfpolizist Andi (Helgi Schmid) jedoch so gar nichts besitzt. Also nimmt sie Kontakt zum Stuttgarter Kommissar Thomas Zellinger (Christoph Letkowski) auf, den sie ohnehin gern wiedersehen würde.
Vor eineinhalb Jahren spekulierte tittelbach.tv in der Kritik zu „Die Bestatterin – Der Tod zahlt alle Schulden“ über eine mögliche Reihe (siehe Kasten), für die dieses Landkrimi-Szenario mit dezentem Augenzwinkern ausgesprochen geeignet schien. Präsentierte die ARD diesen Film noch als ein Samstagabend-Unikat im Frühsommer (dafür mit solider Quote: 3,87 Millionen Zuschauer = 17,2% MA!), platziert der Sender „Die unbekannte Tote“ nun auf dem Donnerstagskrimi-Sendeplatz zur quotenträchtigsten Jahreszeit. Weitere Episoden sind denkbar, sicherlich auch wünschenswert, da die „Heimatkrimi“-Farbe nach dem Ende der bayerischen Variante um Kommissar Kluftinger mit „Nord bei Nordwest“ und dem „Usedom-Krimi“ derzeit bei der Degeto nur noch im Norden der Republik ein Zuhause hat. Allerdings wird das sehr hohe Niveau des Films von Isabel Braak nach dem Drehbuch der Grimme-Preisträger Arne Nolting und Jan Martin Scharf trotz ähnlicher Tonlage nicht gehalten. Der Wunsch des Kritikers, „dass bei einer Fortsetzung die Geschichten noch eine Spur makabrer und böser werden“, ging jedenfalls schon mal nicht in Erfüllung. Dem für eine Reihe befürchteten „Zwang zur Ritualisierung“ à la „Tatort“ Münster ist man zwar entgangen, doch ist dies eher zu bedauern: Denn so ist nichts geblieben von der Expertin für Thanatopraxie (die Wiederherstellung des ästhetischen Erscheinungsbildes eines Verstorbenen) und wenig von der Empathie-beseelten Leichenversteherin, die hingebungsvoll mit den Toten interagiert.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass dich keiner vermisst. Du hast doch sicher einen Freund“, versucht zu Beginn des Films die Hauptfigur, sich in die attraktive Frau auf dem Leichentisch hineinzuversetzen und deren Kommunikationsstil zu entschlüsseln. „Dir ist wichtig, was andere von dir denken. Du willst Leute beeindrucken.“ Für den weiteren Verlauf ist diese Szene nicht von Belang; aber sie deutet das Potenzial der Figur an, ein Potenzial, das ein reizvoller Kontrast zur nicht sonderlich aufregenden, da häufig gesehenen Dorfszenerie sein könnte. Dann würde auch der Titel „Die Bestatterin“ wieder besser passen; momentan wäre „Mord ist ihr Hobby“ treffender. Auch für die komödiantischen Szenen, in denen die Art der Berlin-Heimkehrerin deutlich wurde, gibt es keine Entsprechungen. Lisa Taubenbaum wirkt normaler, ja domestizierter als bei ihrem ersten Einsatz. Mit einmal den Vater anbrüllen ist es nicht getan. Und sich schmollend in sein Schneckenhaus zurückzuziehen, weil das Wiedersehen mit dem Kommissar zu einer Liebesnacht ohne Frühstück (sprich: vorerst ohne romantisches Happy End) wurde, wirkt beziehungstechnisch vorgestrig. Wenn man schon eine Schauspielerin wie Anna Fischer hat, dann sollte man deren Figur frecher, emanzipierter, nicht aufs weibliche Klischee des nur Emotionalen anlegen. Bei der Krimigeschichte funktioniert das wie beim ersten Mal ziemlich gut: Da wird etwas spürbar von dieser Ex-Berlinerin auf der Schwäbischen Alb, die kein Schwäbisch schwätzt und sich weder der kleinbürgerlichen Gemeinschaft unterordnet, noch von den arroganten Platzhirschen im Dorf einschüchtern lässt.
„Den Kampf der unbeirrbaren Heldin gegen das verkrustete Patriarchat einer traditionellen Dorfgemeinschaft auf weitere Geschichten zu verlängern, wäre durchaus vorstellbar. Denn diese Fachfrau für Thanatopraxie (die Wiederherstellung des ästhetischen Erscheinungsbildes eines Verstorbenen) teilt das glückliche Schicksal anderer Hobbyermittler*innen: Sie kennt das Milieu, die Menschen, und sie hat den richtigen Riecher.“ (aus der tittelbach.tv-Kritik zu „Die Bestatterin – Der Tod zahlt alle Schulden“)
„Der Tod zahlt alle Schulden“ war insgesamt auch etwas dichter in seiner Erzählung und der dramaturgischen Umsetzung. Axel Buresch, bekanntlich auch ein Guter, beim Blick auf sein Werk sogar einer unserer besten Drehbuchautoren, ist vielleicht kein so gewiefter, Ironie-fixierter Genre-Mixer wie Nolting/Scharf oder Holger Karsten Schmidt. Dafür ist er in seinen Arbeiten stets befasst mit menschlichen Abgründen („Polizeiruf 110 – Und vergib uns unsere Schuld“ / „Polizeiruf 110 – Wie ist die Welt so stille“), mit moralischen Subtexten (Suter-Verfilmungen; „Jugend ohne Gott“), mit deutscher Politik („Die Akte General“), und er ist bestens vertraut mit dem Leichten im Schweren („Das wahre Leben“) dem Tragikomischen („Rose“), mit Humor („Kluftinger-Krimis“) bis hin zum Wahnwitz („Polizeiruf 110 – Fieber“). Um ästhetische Zwischentöne zu erkennen, muss man in „Die unbekannte Tote“ allerdings schon sehr genau und wohlwollend hinschauen. Dann lässt sich die selbstverständliche Art und Weise erkennen, wie der Rollstuhl des Seniors in die Handlung integriert oder wie die eine oder andere Figur vom typischen Klischee auf den ersten Blick befreit wird. Auch schleichen sich immer mal wieder originelle Details klammheimlich ein – wie beispielsweise die kurz und beiläufig im Bild erscheinende leerstehende Dorf-Videothek, die allerdings wohl eher auf das Konto von Regisseur Fabian Möhrke gehen dürfte (schließlich hieß der Laden „Möhrke-Video“). Apropos Regie: Die Inszenierung verrät bereits in der Rohfassung eine ausgewogene Mischung aus Nähe zu den Figuren und Weite der Umgebung (immer wieder: der frontale, totale Blick auf eine Landstraße) und verspricht außerdem einen alltagsnahen Umgang mit der Landschaft: Mord mit Aussicht also – aber ohne jede Natur- oder Wetterschönfärberei. Auch das „nur-net-hudle“-Tempo der Geschichte passt zur Schwäbischen Alb und dazu, dass hier sowohl auf Killer- als auch auf Ermittlerseite keine wirklichen Profis am Werke sind. Für einen kurzweiligen TV-Abend reicht’s. (Text-Stand: 29.12.2020)