Vor Jahren noch hätte sich Lisa Taubenbaum (Anna Fischer) nicht vorstellen können, eines Tages im Bestattungsunternehmen ihres Vaters (Hartmut Volle) zu arbeiten. Doch der sitzt nach einem schweren Unfall im Rollstuhl und kann den Betrieb nicht mehr alleine führen. Die gelernte Physiotherapeutin kehrte deshalb vor einem Jahr aus Berlin in ihr Heimatdorf auf der Schwäbischen Alb zurück. Nicht nur, um dem Vater und ihrem geistig behinderten Bruder Hannes (Frederik Bott) unter die Arme zu greifen, sondern auch der eigenen Trauer wegen: Bei besagtem Unfall kam ihre Mutter ums Leben. Gestorben wird immer. Jetzt liegen binnen 24 Stunden gleich zwei Leichen auf ihrem Tisch. Da ist der Leiter der hiesigen Bankfiliale, der sich im Suff in den Kopf geschossen haben soll, und da ist die Großmutter von Anna (Caroline Junghanns), Lisas bester Freundin: offenbar vom Fahrrad gefallen! Nur woher kommen die seltsamen Flecken am Hals der Toten? Und wer schießt sich mit der eigenen Flinte das Gesicht weg? Weder der Arzt (Christof Wackernagel), der die Totenscheine ausgestellt hat, noch der Dorfkommissar (Patrick von Blume) wollen sich jedoch von der Bestatterin ihre männliche Autorität infrage stellen lassen. Und so muss erst ein Kommissar aus Stuttgart (Christoph Letkowski) kommen, damit aus den Toten ein Fall wird. Diesen Zellinger findet Lisa zwar sympathisch, aber sie ist skeptisch, ob sein „professionelles“ Vorgehen erfolgreich sein wird. Und dann ist da ja noch die Sache mit dem unaufgeklärten Unfall ihrer Eltern, bei dem der Schuldige Fahrerflucht beging und bis heute nicht gefasst werden konnte.
Landkrimis haben seit einigen Jahren Hochkonjunktur, mit Augenzwinkern präsentierte Leichen ebenso. Für „Die Bestatterin – Der Tod zahlt alle Schulden“ haben die Degeto, der SWR, die Produzenten der film gmbh und das 2017 doppelt Grimme-Preis-gekrönte Autorenduo Arne Nolting & Jan-Martin Scharf („Weinberg“ / „Club der roten Bänder“) eine narrativ stimmige Genre-Kombination aus beiden Trends entwickelt. Figuren, Situationen, Dialoge, die Erotik der Interaktion, das, was der (Provinzkrimi-)Handlung die besondere Note gibt – all das ist erkennbar überhöht und leicht komödiantisch unterfüttert. Da verbindet sich Schwarzhumoriges mit regionaler Bodenständigkeit, Witz mit Dialekt, Ernst und Emotion, und alles steht in gut getimter Ausgewogenheit zueinander. Zu diesem Tonlagenmix passt ganz vorzüglich auch Hauptdarstellerin Anna Fischer. Wie immer bringt die 32-Jährige eine besondere Farbe ins Spiel. Zwar verkörpert sie ihre komödiantisch angelegten Rollen mit der für sie so typischen Eigenart aus etwas burschikos & vorlaut, aus kess & liebenswert immer recht ähnlich, im Rahmen des Genres aber ist das gleichzeitig auch erfrischend anders. Und wie alle Fischer-Figuren muss auch jene Lisa Taubenbaum sich die Sympathien beim Zuschauer nicht schwer erarbeiten (in der Geschichte hat es die Heimkehrerin da nicht so leicht). Ehrlichkeit und Natürlichkeit, Unabhängigkeit und Lebensfreude sind in der Rolle angelegt – das alles muss die Schauspielerin „nur“ aufnehmen und schon fliegen ihrer Figur die Herzen zu. Und weil das so ist, wäre auch mehr als nur ein Einzelstück denkbar.
Soundtrack: Garbage („Only Happy When It Rains“), Cat Stevens („Wild World“), Boy („No Sleep For The Dreamer“), Al Bano & Romina Power („Felicitá“), Avril Lavigne („Head Above Water“)
Das Setting jedenfalls ist vielversprechend. Und das Bestattungswesen hat als Krimi-Bestandteil bereits ihr komisches Potenzial unter Beweis gestellt: In der ZDF-Reihe „Friesland“ sorgt das Motiv regelmäßig für Abwechslung vom Ermittlungseinerlei und in der ARD-Reihe „Nord bei Nordwest“ ist das geschäftstüchtige Bestatter-Pärchen immer gut für skurrile Augen-Blicke. Den Kampf der unbeirrbaren Heldin gegen das verkrustete Patriarchat einer traditionellen Dorfgemeinschaft auf weitere Geschichten zu verlängern, wäre durchaus vorstellbar. Denn diese Fachfrau für Thanatopraxie (die Wiederherstellung des ästhetischen Erscheinungsbildes eines Verstorbenen) teilt das glückliche Schicksal anderer Hobby-ErmittlerInnen: Sie kennt das Milieu, die Menschen, und sie hat den richtigen Riecher. In einem möglichen Reihen-Format könnte allerdings mit dem damit einhergehenden Zwang zur Ritualisierung einiges vom Charme dieser Heimatkrimikomödie verloren gehen. Es wäre aber auch denkbar, dass bei einer Fortsetzung die Geschichten noch eine Spur makabrer und böser werden. Das jedenfalls würde sich der Kritiker wünschen. Keine Frage, dafür wären Nolting und Scharf die richtigen Autoren. Und dass sie einen dörflichen Mikrokosmos auch mit etwas Mystery anreichern können, das haben sie in der Ausnahmeserie „Weinberg“ gezeigt.
„Die Bestatterin“ besticht vor allem auch durch die kluge Informationsvergabe an: So wird dem Zuschauer die Vorgeschichte der Familie Taubenbaum gut proportioniert peu à peu mitgegeben. Die Sache mit dem Unfall und der Fahrerflucht wird erst angesprochen, als es eine neue Wendung bei den aktuellen Toten gibt. Auch mit Lisas Dates zu Beginn des Films schlagen die Autoren mehrere Fliegen mit einer Klappe. Man erkennt, während sie beim Essen stolz von ihrem Umgang mit Leichen erzählt, wie begeisterungsfähig sie ist, wie sehr sie für ihre Sache brennt. Der erste Mann sucht daraufhin das Weite. Den zweiten zeichnen die Autoren als Todesromantiker mit Dracula-Faible („Ist da Knoblauch drin‘?“), der fasziniert ist von Leichen & Blut. Ob Stammtisch, ob die Abfuhr, die sich Lisa bei den Respektspersonen im Dorf holt, ob der dezente Flirt mit dem Kommissar – jede Szene hat mehrere Funktionen. Das Ganze ist dicht & kompakt, zugleich aber auch logisch & flüssig erzählt. Und immer ist was zum Schmunzeln dabei: „Lisa, ich hab‘ deine Mandeln in den Griff gekriegt, ich hab dir die Windpocken ausgetrieben, da warst du so klein, und jetzt soll ich Würgemale übersehen!“
Auch Regisseurin Isabel Braak („Magda macht das schon“) beweist ein Händchen für die Tonalität der Geschichte. Auffallend ist, dass es bei den Schauspielern bis in die kleinsten Rollen keine falschen Töne gibt. Und das, obwohl doch die Situationen ständig zwischen ernsthaft und ironisch wechseln. Patrick von Blume als der Polizist, der lieber hartgekochte Eier und Wurstsalat verschmaust, als sich mit Ermittlungen das Leben schwer zu machen, und Christof Wackernagel als Dorfarzt, der mehr Erfahrungen hat mit geistigen Getränken als mit Mord, hat man in ähnlichen Filmmilieus schon überzogener agieren sehen. So sind die beiden in ihrem Spiel bestens kompatibel mit den etwas weniger humorigen Charakteren von Thomas Huber als Sohn der Ermordeten, Caroline Junghanns (ein interessantes, ausdruckstarkes neues Gesicht!) als deren Tochter und Hartmut Volle als der im Rollstuhl sitzende Vater der Heldin. Dass der Kommissar aus Stuttgart, sympathisch gespielt von Christoph Letkowski, hochdeutsch spricht, passt im Übrigen genauso gut ins Bild wie auch Anna Fischers Nicht-Dialekt (sie berlinert ja sonst für gewöhnlich): Sie sind die Kontrastfiguren, die, die sich nur bedingt dieser kleinbürgerlichen Gemeinschaft unterordnen. Der stimmige Gesamteindruck des Films spiegelt sich auch in zahlreichen Details: Ob Lisas Jugendzimmer, die rustikale Taubenbaumstube, ob gruftiges Candle-Light-Restaurant oder der düstere Präparationsraum – das liebevoll gestaltete Szenenbild sticht ein ums andere Mal ins Auge. Emotionspolitisch klug ist der Einsatz von narrativen Symbolen: Da ist „das Kistchen“ mit den tragischen Erinnerungen an die Mutter; da ist der Pullover der Toten, den die Heldin trägt – ihre Art der Trauerarbeit (und eine sehr filmische). Auch die Kamera weiß sich eindrucksvoll zu positionieren. Die Bildsprache ist atmosphärisch, steht aber dennoch ganz im Dienst der Handlung. Und die schwäbische Landschaft wird eingesetzt wie im Leben: Sie ist einfach da.